# taz.de -- Videoinstallation im Sprengel Museum: Allzu positive Gefühle | |
> Die Braunschweiger Künstlerin Corinna Schnitt zeigt im Sprengel Museum | |
> Videos von Menschen, die Blumen in Vasen sortieren. | |
Bild: Die Installation „Schnitt Blumen Flüstern“ kommt über die Werbeäst… | |
HANNOVER taz | Man läuft vom Foyer des Sprengel Museums eine unebene | |
Pflastersteintreppe hinunter und steht mitten in der Ausstellung. Das | |
Gefühl dabei ist seltsam, denn von der Weite des Raumes und dem vielen | |
Tageslicht könnte man auch noch draußen auf dem Platz vor dem Museum sein. | |
Allerdings ist da kein Laub und kein Wind, auch kein Regen. Im Moment sind | |
in dieser Halle Videoarbeiten der Braunschweiger Künstlerin Corinna Schnitt | |
zu sehen. In vielen ihrer Werke geht es auch genau um das Verhältnis von | |
äußerer Natur und Innenraum. | |
An einer weiten weißen Wand hängen nebeneinander fünf schlichte | |
Flachbildschirme. Mit ihren dunklen Rahmen wirken die leuchtenden Bilder | |
darin, als seien es Fotografien. Nur sind es bewegte Fotografien, also | |
Videos. Man sieht auf den Screens fünf Personen – drei Frauen und zwei | |
Männer – Blumen in einer Vase sortieren. „Schnitt Blumen flüstern“ ist … | |
Titel von Schnitts Arbeit aus diesem Jahr. Tatsächlich hört man die fünf | |
Personen etwas unverständliches Murmeln. Dieses Gemurmel mischt sich zu | |
einem Rauschen im Raum. Am Ende weiß man nicht mehr, wie die Stimmen | |
zuzuordnen sind. Ähnlich den Stimmen, verhalten sich die Blumen auf den | |
Bildschirmen. Sie werden von den Händen gehalten und geordnet und fallen in | |
die Vasen und verkeilen sich ineinander. | |
Dass es um das Triggern positiver Gefühle gehen solle, erfahren wir aus dem | |
Ausstellungstext. Dass auf Schirmen Dinge zu sehen sind, die dies für | |
gewöhnlich tun, sehen wir auch. Die Blüten erstrahlen in leuchtenden | |
Farben, so wie die lackierten Nägel der Hände, die sie streicheln. Das mag | |
ja stimmen, jedoch vermittelt sich nicht viel über das Bildmaterial. Es ist | |
dann doch zu unspezifisch, viel zu egal. | |
Über den Trigger-Gedanken wird eine Art der Kritik behauptet: an medialer | |
Wirklichkeit, an Werbung und an unseren Reaktionsweisen. Bloß sind diese | |
Erkenntnisse so sehr zu Allgemeinplätzen geronnen, dass von Kritik längst | |
nicht mehr die Rede sein kann. Das ästhetische Material hingegen ist nicht | |
stark genug, um eine Eigenständigkeit diesem programmatischen Wollen | |
gegenüber zu behauten. So illustriert es einzig eine Handvoll Thesen, die | |
nicht spannend sind. | |
Auf einer angrenzenden Wand hängt ein weiterer, etwas größerer Schirm. | |
„Epirrhema“ ist der Titel der Arbeit aus dem vorigen Jahr. Man sieht Äste | |
und Blätter in Nahaufnahme in einer Drehbewegung. Das Grün schmiegt sich | |
aneinander. | |
Die Installation ist atmosphärisch. Aber leider auch etwas langweilig. | |
Vielleicht soll hier etwas Utopisches dargestellt werden? In seiner | |
Eigenständigkeit gegenüber den missbrauchten Schnittblumen? | |
Natur spielt überhaupt in der Kunst inzwischen eine viel zu große Rolle. | |
Auch in der Videokunst, die uns ja schließlich auch die Schönheit der | |
Künstlichkeit zeigen könnte. Oder die Hässlichkeit des gesellschaftlich | |
Realen. Erst im Frühjahr war in Hannover in der Kestner Gesellschaft ein | |
ganzer Raum der Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist eingerichtet. Auf dem | |
Boden lagen Kissen, um einen herum schwirrten in einer 180-Grad-Projektion | |
Insekten durch das grüne Gras. Oder zeigen uns Videos wie die von Schmitt | |
und Rist vielleicht erst die Künstlichkeit und Entfremdung der Natur? Mag | |
es bei Rist noch starke Momente des Fantastischen und Absurden geben und | |
ihre Video-Pflanzen die Betrachter überwältigen– bei Schnitt ist das Ganze | |
leider ästhetisch wie inhaltlich schlicht uninteressant. | |
Nehmen wir noch einmal das „Epirrhema“. Der Titel ist griechisch und | |
bedeutet soviel wie das Dazugesprochene. Schmitt hatte den Titel einem | |
Gedicht von Goethe entlehnt. Auch da geht es um Natur: „Müsset im | |
Naturbetrachten / Immer eins wie alles achten./ Nichts ist drinnen, nichts | |
ist draußen; / denn was innen, das ist außen. / So ergreifet ohne Säumnis / | |
Heilig öffentlich Geheimnis (…)„. Auch hier geht es um kontemplative | |
Erfahrung von Natur. So wie sie in der Romantik gegen die Aufklärer | |
gewendet wurde – ein großes Programm, mit dem die Bilder nicht mithalten. | |
In der Ausstellung ist auch eine Arbeit zu sehen, die mit Natur zunächst | |
nicht so viel zu tun hat. „Living a Beautiful Life“ ist bereits von 2004. | |
Abwechselnd sieht man einen Mann und eine Frau in den sauberen und leblosen | |
Zimmern ihres Bungalows posieren und von ihrem öden und perfekten Leben | |
erzählen. Sie wirken wie Barbie und Ken. Selbstverständlich sind sie ein | |
Paar in Amerika. Denn desto mehr Kritik zum Allgemeinplatz wird, umso | |
wahrscheinlicher die Wandlung zum Ressentiment. | |
Er erzählt von seiner Zeit bei der Army, seiner wunderbaren Frau. Sie | |
schwärmt von ihrem Familienleben und ihren beiden Kindern. Er berichtet von | |
der Wohngegend, in der es keine Kriminalität gibt und stets die Sonne | |
scheint. Am Sonntag gehen sie immer in die Kirche. Es sind Pappkameraden, | |
die Schnitt hier aufbaut, um gegen sie zu schießen. Selbst in das | |
Repertoire der Werbung haben es solcherart Klischees längst geschafft. | |
Und dann versucht die Künstlerin einen Bruch. Der ist so offensichtlich | |
kalkuliert, dass er misslingen muss. Der brave Ehemann erzählt, nur hin und | |
wieder bräuchte er eine Geliebte. Das sei aber nichts Ernstes. Seine Frau | |
verstünde das. Sie sei sexy und würde hart dafür arbeiten. Eine beinahe | |
schon selbst zum Klischee gewordene Entlarvung. Sie ist nicht skandalös. | |
Und Spaß macht sie auch nicht. | |
24 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Radek Krolczyk | |
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