| # taz.de -- Die Wahrheit: Sicher nicht versichert | |
| > Warum der Beruf des Versicherungsvertreters junge Leute anzieht, ist | |
| > genauso rätselhaft wie das Versicherungswesen an sich. | |
| Neulich belauschte ich im Bus das Gespräch einer kleinen Rotte männlicher | |
| Adoleszenter, das sich neben wichtigen Fragen der Deo-Auswahl um ihre | |
| berufliche Zukunft drehte. Bald war man sich einig: Kohleverdiener! Das | |
| sollte es sein … | |
| Niemand in der Gruppe schien von Beruf reicher Sohn, sonst hätten sie ja | |
| auch nicht dickhosig den öffentlichen Nahverkehr verstopfen müssen. | |
| Lautstark wurde der Weg zum Ziel erörtert. Zu meiner Verwunderung einigte | |
| man sich nicht auf die beliebten Berufsfelder Drogendealer, HipHopper oder | |
| Herzchirurg, sondern auf – Versicherungsvertreter. | |
| Habe ich was verpasst? Sind Versicherungsvertreter nicht die, die nach | |
| ihrer Stasikarriere nichts anderes mehr bekommen haben? Die die | |
| Einkommensquelle von Hotels in Bahnhofsnähe sind? Die bis zum Abschluss der | |
| Verträge Rosengärten mit Champagnerquellen und im Schadensfalle überhaupt | |
| nichts mehr versprechen? | |
| Im Sommer machte die Fluggesellschaft Air Lituanica pleite. Leider nachdem | |
| ich dort drei Flüge gebucht und bezahlt hatte. Das Geschäft lief über | |
| Opodo, das Online-Reisebüro mit der Telefonhotline, die nur als legendär zu | |
| bezeichnen ist. Egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit sagt Opodo: No way, | |
| ruf später oder am besten nie wieder an! | |
| Irgendwann, wenn man halsstarrig bleibt, erbarmt sich ein eindeutig | |
| ungeschulter Mitarbeiter das Abwimmeln persönlich zu übernehmen. Und so | |
| erfuhr ich, dass Reisende, die direkt bei der Fluggesellschaft gebucht | |
| haben, aus der Konkursmasse entschädigt werden, Kunden wie ich dagegen, an | |
| denen Opodo mitverdient hat, nicht. „Sind Sie versichert gegen die | |
| Insolvenz von Fluggesellschaften?“, wurde ich streng gefragt. Klar! Und | |
| gegen Bisse durch Uhus in der Innenstadt und gegen Trunkenheit in Kneipen | |
| und dann noch gegen Liebeskummer. Letzteres aber nur von März bis Mai. | |
| Länger kann ich es mir nicht leisten … | |
| Aber ich will mich nicht beklagen. Die größten Lebensrisiken sind für mich | |
| als Angestellte durch die Unfallkasse Berlin prima abgesichert. Ein | |
| Vertreter weihte mich jüngst wieder in die Feinheiten ein. So bin ich | |
| während der Arbeitszeit für den Weg zum Klo versichert, nicht aber auf | |
| selbigem. Breche ich mir beim Pinkeln ein Bein, tue ich gut daran, auf den | |
| Flur zurück zu robben und um den Durchgangsarzt zu flehen. | |
| In jedem Büro und in jeder Werkstatt muss ein sogenanntes Verbandbuch | |
| vorgehalten werden, wo noch die kleinsten Verletzungen eingetragen werden | |
| sollen. Hat man sich also an der Büroklammer gepiekst und muss deshalb der | |
| Arm amputiert werden, ist man nur versichert, wenn der Vorfall umgehend | |
| dokumentiert wurde. Neuerdings sollen aber auch seelische Verletzungen im | |
| Buch notiert werden. Je nach Temperament, Gruppendynamik und Bürogröße | |
| dürfte da kein Mangel herrschen. Wen kümmert schon Datenschutz. | |
| Meine Jungs aus dem Bus jedenfalls nicht. Ob sie es je zum | |
| Versicherungsvertreter bringen werden? Gerochen haben sie immerhin schon | |
| so. | |
| 18 Nov 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrike Stöhring | |
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