# taz.de -- Die Wahrheit: Lasst alte Männer um mich sein | |
> Mein Mann hatte eine Affäre. Ich plane jetzt, mich zu rächen. Stilvoll | |
> mit Arno Schmidt. Ein Nachtrag zum 100. Geburtstag des Dichters. | |
Bild: Arno Schmidt war also nicht nur ein Schriftsteller – er war ein Guru, e… | |
Als Anfang des Jahres allerorten der 100. Geburtstag Arno Schmidts gefeiert | |
wurde, kam kaum ein Feuilleton ohne die Erwähnung der Originalausgabe von | |
„Zettels Traum“ aus. Literarisch, aber auch physisch wiegt der Schinken so | |
schwer, dass er als unlesbar gilt. Arno Schmidt, der nicht reiste, packte | |
damit seinen Lesern ein grabsteingroßes Buch auf die Liste, das sich selbst | |
dem Gutwilligsten als Urlaubslektüre verweigerte. Wie wunderbar eigensinnig | |
und rücksichtslos! | |
In einer Familie von Viellesern aufgewachsen, kenne ich es nämlich nur so: | |
Das Badezeug wurde um die jeweilige Gesamtausgabe, die meine Eltern in zwei | |
Wochen am See durchzuarbeiten gedachten, herumgestopft. Pro | |
Familienmitglied gab es einen entsprechend steinschweren Koffer und los | |
ging es. Jeder Sommer trug einen anderen Namen, obwohl wir am immer selben | |
Ufer lagen. Die „Fontane-Ferien“ beispielsweise hätten bei meinem Bruder um | |
ein Haar eine lebenslange Allergie gegen alles Gedruckte ausgelöst. Als | |
Fünfzehnjähriger fieberte er mit dem Schicksal der Gründerzeitdame Effi | |
Briest nicht unbedingt mit … | |
Mittlerweile einigermaßen erwachsen geworden, verfolgt mich die familiäre | |
Prägung. Zu jeder Reiseplanung gehören Gedanken um die passende Lektüre. Im | |
vergangenen Sommer schien es zunächst schön einfach. Wir fahren nach Sankt | |
Petersburg, beschlossen wir. Klar wie Kloßbrühe beziehungsweise Borschtsch | |
schien zu sein, dass wir nach Betrachtung der Stadt an der Newa in der | |
anschließenden Sommerfrische Dostojewski und Achmatowa lesen würden. Die | |
Bücher würden wir selbstverständlich untereinander tauschen und uns hin und | |
wieder verliebt etwas vorlesen. Alles klang nach bester ehelicher Harmonie. | |
Es kam, wie immer, etwas dazwischen, diesmal in Form eines roten Klotzes. | |
Peter Kurzecks „Vorabend“ hat 1.015 Seiten und wiegt ein gutes Kilo | |
Übergepäck. Der Roman setzt im Jahre 1982 in Frankfurt-Eschersheim ein und | |
hat mit östlichen Weiten nur vermittelt zu tun. Wies das Verhältnis des | |
Gatten zum Buch zunächst die Symptome einer heimlichen Affäre auf | |
(freundliche Zerstreutheit während gemeinsamer Mahlzeiten mit mir plus | |
gelegentlicher Blicke zur Uhr), gab es schon nach wenigen Tagen kein Halten | |
mehr. Buch und Mann waren verschweißt und verschwunden. | |
Ein Elch am Gartenzaun? Finnische Sauna mit frischen Birkenzweigen und | |
Selbstgebranntem? Dreiundzwanzig Berner Sennenbabys? Alles, was ich sah und | |
erlebte an Sensationen, interessierte ihn, der im Liebesurlaub mit dem | |
Roman die Zeit vergaß, nicht die Bohne … Kein Grollen half und auch kein | |
hilfloses Drohen, mit Fjodor Michailowitsch Dostojewski durchzubrennen. | |
In einem Nachruf auf den im Herbst 2013 gestorbenen Peter Kurzeck las ich: | |
„’Vorabend‘ macht süchtig und glücklich.“ Mein Reden, dachte ich, mei… | |
hatte eine Affäre. Ich plane jetzt, mich zu rächen. Stilvoll mit Arno | |
Schmidt. Zettels Traum dann doch im Reisegepäck – also, ich trage die | |
Koffer nicht. | |
13 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Stöhring | |
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