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# taz.de -- Die Wahrheit: Liaison mit Dingen
> Wer einen Stimmhammer ins Haus geschickt kriegt, braucht sich über
> Liebeserklärung nicht zu wundern.
Eigentlich hatte ich nur einen Stimmhammer bestellen wollen. Jawohl, einen
Stimmhammer. Das ist ein gebogenes Teil, mit dessen Hilfe man Klaviere
stimmt. Also nicht ich, aber Leute, die das eben können.
In meiner Wohn- und Arbeitsumgebung befinden sich zwei bedürftige Klaviere,
die mindestens zweimal im Jahr kläglich zu klingen beginnen und nach dem
Stimmer verlangen. Dieser wiederum möchte hundert Euro pro Sitzung und hält
die Termine ungern ein.
So war ich hoch erfreut, von einem Freund zu hören, er könne Klaviere
stimmen, vorausgesetzt, das Werkzeug würde gestellt. Ich begab mich in die
Abgründe des Musikalienzubehörhandels im Internet. Wo die Stimmhämmer
hängen, war leicht herauszufinden. Auch Preisunterschiede von bis zu 1.000
Prozent verwunderten mich nicht. Man vergleicht ja auch keine Kindergeige
mit einer Stradivari.
Nur schien auf meiner geplanten Liaison mit dem Stimmhammer trotzdem kein
Segen zu liegen. Der erste Anbieter billigte meine Kreditkarte nicht. Der
Zweite, ein Privatverkäufer, meldete sich gleich gar nicht mehr. Beim
Dritten krachte mein Rechner zusammen.
Nach vielen, vielen Zwischenschritten gelang mir endlich der
Geschäftsabschluss mit der Firma Thoman. Das Werkzeug erreichte mich schon
zwei Tage später. Richtig gerührt aber war ich von der Mail der Firma nach
Abwicklung unseres kleinen Techtelmechtels: „War’s für Sie auch so schön
wie für uns?“ Das hat mich seit der Adoleszenz niemand mehr gefragt. Ich
hab dann geantwortet, dass es ganz doll schön war für mich, auch wenn ich’s
aus Schüchternheit nicht so hätte zeigen können.
Einen ganz anderen Ton hingegen schlägt der Optiker Metzger aus Tübingen
an. Nix mit Hallöchen und „Wie war’s für dich“. Hier wird Orwell zitier…
„Die Zeit vergeht nicht schneller als früher, aber wir laufen eiliger an
ihr vorbei.“ Und während man noch überlegt, ob ein Optiker, der Metzger
heißt, einem Uhren verticken will, outet er sich als eine Art
Beziehungsberater: „Unglaublich, aber nun sind Sie schon fast 24 Monate ein
Paar – Sie und ihre Brille. Gönnen Sie sich eine gemeinsame Auszeit. Dazu
laden wir Sie und ihre Brille zu uns ein.“
Eheberatung für mich und Brille quasi. So mit Tangokurs und Champagner für
zwei? Was man so macht, wenn es öde zu werden beginnt? Und alles
organisiert vom Optiker Metzger in Tübingen? So großzügig kenne ich meine
Schwaben ja gar nicht!
Am Haus gegenüber versucht derweil eine Firma mit strengem Ton
Eigentumswohnungen zu verkaufen. Täglich schreit mich ein Plakat an, auf
dem die harschen Worte stehen: „Verlass sie endlich!“ Das Kleingedruckte
erklärt, was gemeint ist: Man solle seine Mietwohnung verlassen und
Eigentum erwerben. Weil „die Neue“ viel geiler sei. Die Gekaufte, versteht
sich. Ich will aber meine Mietwohnung gar nicht verlassen. Sollte ich das
je müssen, werde ich ihr sagen: Es war genauso schön für mich wie für dich.
Wirklich.
15 Mar 2016
## AUTOREN
Ulrike Stöhring
## TAGS
Online-Shopping
Onlinehandel
Unternehmen
Luft und Liebe
Schönheitswettbewerb
Ostberlin
Tod
Versicherung
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