# taz.de -- Nach Rücktritt der Regierung in Portugal: Die mageren Jahre sollen… | |
> Portugal könnte nun von Sozialisten, Kommunisten und Grünen regiert | |
> werden. Das gemeinsame Programm: Löhne rauf und Reiche besteuern. | |
Bild: Das Programm des neuen Bündnisses dürfte Gewerkschaftler freuen. | |
MADRID taz | „Sieg! Sieg!“, jubelten Tausende Menschen in Lissabon, die | |
einem Aufruf der portugiesischen Gewerkschaft CGTP gefolgt waren. Sie | |
feierten die Parlamentsabstimmung, die den konservativen Regierungschef | |
Pedro Passos Coelho am Dienstagabend zu Fall brachte. Getrennt von einem | |
Polizeispalier standen seine Unterstützer. Sie verließen den Platz mit | |
langen Gesichtern. | |
Die zweite Amtszeit von Pedro Passos Coelho hatte gerade einmal elf Tage | |
gedauert, bis er bei der Vorstellung seines neuen Sparprogramms von der | |
linken Parlamentsmehrheit aus Sozialisten (PS), dem Linksbündnis Bloco de | |
Esquerda (BE) und der kommunistisch-grünen CDU abgewählt wurde. | |
Zwar hatte Passos Coelho, der Portugal in den vergangenen vier Jahren mit | |
hartem Sparkurs regierte, die Wahlen Anfang Oktober mit seinem | |
Mitte-rechts-Bündnis „Portugal voran“ (PaF) gewonnen, allerdings verlor er | |
dabei die absolute Mehrheit. Obwohl der ebenfalls konservative | |
Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva seinen Parteifreund Passos Coelho | |
erneut mit der Regierungsbildung beauftragt hatte, war das nahe Ende | |
absehbar. | |
Jetzt steht – wenn Cavaco Silva dies absegnet – dem Generalsekretär der | |
Sozialisten, António Costa, die Tür zum Amt des Ministerpräsidenten offen. | |
Der Exbürgermeister von Lissabon hat in den letzten Wochen ein Bündnis | |
links der Mitte geschmiedet und kann dabei auf 122 der insgesamt 230 | |
Abgeordneten setzen. „Die Portugiesen wollen Veränderung“, erklärte Costa | |
nach der Abstimmung. | |
## Pakt mit langer Liste von Maßnahmen | |
Erstmals seit 40 Jahren einigten sich die Sozialisten mit den Kommunisten. | |
Grundlage für seine Regierung sind drei Abkommen, die Costa mit dem Bloco | |
de Esquerda, der kommunistischen PCP und deren Partner, der Ökologischen | |
Partei Os Verdes (Die Grünen), ausgehandelt hat. Allen gemein ist der | |
Wunsch, dass der Pakt die „Perspektive einer Legislatur“ habe. | |
Die Partner der Sozialisten verpflichten sich ausdrücklich, an keinem | |
Misstrauensvotum gegen Costa teilzunehmen, egal was geschieht. Costa wird | |
unter Duldung der drei Partner regieren. Der Bloco, ein Sammelbecken | |
radikaler Linker, ähnlich der griechischen Syriza, sowie die als sehr | |
orthodox geltenden Kommunisten, die auf ihre umstrittenen Programmpunkte | |
wie den Euro- und den Nato-Austritt verzichteten, erreichten im Gegenzug | |
die Zusage Costas, nichts zu unternehmen, „was der Arbeiterklasse und den | |
Rentnern schadet“. | |
Das Herzstück des Abkommens ist eine lange Liste von Maßnahmen. Weite Teile | |
des Austeritätsprogramms, das in den vergangenen Jahren unter Druck der | |
Troika im Gegenzug für ein Rettungspaket von 78 Milliarden Euro | |
durchgeführt wurde, sollen zurückgenommen werden. | |
So sollen unter anderem die Renten ab dem 1. Januar wieder an die | |
Preissteigerung angepasst, Steuerabgaben für Rentner gestrichen, | |
Sozialhilfe für Schlechtverdienende wiedereingeführt und die Lohn- und | |
Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst schrittweise zurückgenommen sowie | |
die 35-Stunden-Woche für Staatsbedienstete eingeführt werden. | |
## Kostenfreie Abtreibungen, höherer Mindestlohn | |
Außerdem soll der Mindestlohn bis Ende der Legislatur von bisher 505 Euro | |
schrittweise auf 600 Euro angehoben werden. Teile der Arbeitsmarktreformen | |
der Vorgängerregierung werden überarbeitet. Die Gewerkschaften werden | |
künftig wieder mehr Rechte haben, Tarifverträge werden wieder | |
verpflichtend. Vier Feiertage, die im Laufe der Sparmaßnahmen gestrichen | |
wurden, werden wieder eingeführt. | |
Auch im Gesundheitswesen wird sich einiges ändern: Zuzahlungen im | |
Krankenhaus entfallen; Abtreibungen sind künftig wieder kostenfrei. | |
Geplante Privatisierungen, wie die der Wasserversorgung, des Fernbussystems | |
oder der U-Bahn in Oporto, werden nicht stattfinden. Der Verkauf der | |
staatlichen Fluggesellschaft TAP wird gestoppt. | |
All das soll von einer Steuerreform begleitet werden. Die Lohn- und | |
Einkommensteuer für Besserverdienende wird steigen. Passos Coelho hatte die | |
Steuerprogression von acht auf fünf Stufen gesenkt. Jetzt soll wieder mehr | |
Progressivität Einzug halten. Außerdem wird bald eine Erbschaftsteuer für | |
Vermögen von mehr als einer Million Euro fällig. Nur bei der Mehrwertsteuer | |
will das Bündnis von Costa Erleichterung verschaffen. Eine Senkung des | |
Betrags von 23 auf 13 Prozent im Hotel- und Gaststättengewerbe soll die | |
Wirtschaft ankurbeln. | |
Nach dem Fiasko seines Parteifreundes Passos Coelho vor dem Parlament wird | |
Staatspräsident Cavaco Silva jetzt alle Parteien erneut zu Gesprächen | |
laden. Es gilt als wahrscheinlich, dass er Costa tatsächlich mit der | |
Regierungsbildung beauftragt. Denn Passos Coelho bis zu vorgezogenen | |
Neuwahlen, die laut Verfassung erst im Mai möglich wären, kommissarisch im | |
Amt zu belassen, wäre der Stabilität alles andere als dienlich. | |
11 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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