# taz.de -- Familiensynode in Rom: Reformen? Nein danke! | |
> Drei Wochen sprachen die katholischen Bischöfe über Familie, Sex und | |
> Kommunion. Die Ergebnisse? Nicht berauschend für die Reformer. | |
Bild: Viel geredet, wenig bewirkt: die Familiensynode im Vatikan | |
BERLIN taz | Die Realität der Familie brach kurz ein in die Synode, als am | |
Freitag morgen ein Baby schrie. Das im weißen Strampler herausgeputzte | |
Mädchen, etwa ein halbes Jahr alt, fühlte sich offenbar unwohl auf dem | |
Schoß des Vaters. Der blickte auf die Stirnseite des düsteren, engen | |
Hörsaals, in den gleich der Heilige Vater kommen sollte. Kein Wunder, denn | |
neben dem nicht so heiligen Vater und seinem Baby saßen über 250 alte | |
Männer in Talaren mit violetten oder purpurroten Kopfbedeckungen. | |
Vielleicht etwas zu viele Weihnachtsmänner. Der junge Vater schien | |
überfordert und hob also die schreiende Süße auf den Schoß seiner Frau, die | |
neben ihm saß. Leicht genervt schaute die Gemahlin den scheiternden Vater | |
an. Das Baby aber war beruhigt. Familienleben im Jahr 2015, könnte man | |
sagen – Familie, wie sie eben so ist und vielleicht seit Adam und Eva immer | |
war. | |
Darüber gibt es viel zu sagen, und wenig – die katholischen Bischöfe der | |
Welt haben sich für Ersteres entschieden. Auf Einladung des Papstes haben | |
sie bis zum Samstag Abend drei lange Wochen im ersten Stock der | |
Audienzhalle am Petersdom in Rom über das Thema Familie gesprochen. Das ist | |
auf dem ersten Blick nicht das heißeste Thema des Globus, zumal die | |
Bischöfe und der Papst nur für etwa ein Siebtel der Menschheit reden | |
können, rund 1,2 Milliarden Menschen. | |
Auf dem zweiten Blick aber stecken in der Familienkiste tatsächlich viele | |
der derzeit großen Fragen der Menschheit: Was macht große Armut mit | |
Familien? Wie überleben Familien Flucht und Vertreibung? Zerreißt nicht der | |
globalisierte Kapitalismus alle Familienbande? Sind Familien die letzte | |
Bastion für Solidarität und Werte? Und so weiter. | |
## Fast demokratisch | |
Als der umtriebige Papst Franziskus vor etwa zwei Jahren das Thema | |
„Familie“ aufs Tapet setzte, dämmerte vielen Bischöfen und dem Kirchenvolk | |
die auch innerkirchliche Brisanz dieses Vorstoßes nicht sofort. Das änderte | |
sich aber schnell, als das Verfahren dieses von oben angeregten | |
Diskussionsprozesses deutlich wurde: Eine erste weltweite Befragung der | |
Gläubigen über ihre Sicht zur Familie, dann eine erste mehrwöchige | |
Vorsynode in Rom vor gut einem Jahr, dann eine weitere Befragung der | |
katholischen Laien, schließlich die zweite Synode seit Anfang Oktober. Das | |
alles verbunden mit unglaublich viel Papier, das auf der ganzen Welt zum | |
Thema veröffentlicht wurde. Fast so etwas wie ein demokratischer Prozess, | |
ganz ungewohnt für Katholiken! | |
Und dazu die Einsicht: Wenn man über Familie redet, muss man auch über Sex | |
reden, über Patchwork-Familien, über Gewalt an Frauen in der Ehe – und über | |
homosexuelle Partnerschaften. Die deutsche Diskussion spitzte sich bald vor | |
allem darauf zu: Sagt die katholische Kirche etwas Neues zu Homosexuellen, | |
also zu rund 100 Millionen schwulen und lesbischen Katholikinnen und | |
Katholiken weltweit (geht man von einer üblichen Quote von mindestens zehn | |
Prozent gleichgeschlechtlich Liebenden in einer durchschnittlichen | |
Bevölkerungsgruppe aus)? | |
Und wie sieht das eigentlich aus mit den katholischen Eheleuten, die sich | |
haben scheiden lassen, aber in ziviler Ehe wieder geheiratet haben: Dürfen | |
sie zur Kommunion gehen, obwohl sie in einem Status der „Sünde“ leben, ist | |
die Ehe doch ein Sakrament und unauflöslich im katholischen Verständnis? | |
Es mag absurd sein, wenn zur sexuellen Enthaltsamkeit verpflichtete Männer | |
über Kinder, Sex und Ehe reden – also Themen, bei denen sie nicht per se | |
Experten sind. Das hinderte die katholischen Bischöfe der Welt aber nicht | |
daran, sich bei der Vorsynode vor einem Jahr vor allem über die Homo- und | |
Kommunionsfrage für die Geschiedenen so zu fetzen, dass das Bischofstreffen | |
kurz vor dem Scheitern stand. | |
## Fast hasserfüllt | |
Zeitweise fast hasserfüllt standen sich bei der Kommunionsfrage die | |
Anhänger der beiden Flügel der Kirche gegenüber: die Fans des | |
reformorientierten Kardinals Walter Kasper und die des eisenhart | |
doktrinären Kardinals Gerhard Ludwig Müller, der als Präfekt der | |
Glaubenskongregation im Vatikan so etwas wie der Lord Siegelbewahrer der | |
katholischen Lehre ist. Dass beide Deutsche sind, machte die Sache nicht | |
besser. | |
Papst Franziskus ließ die Debatte laufen – er wollte ausdrücklich Bewegung, | |
ja Diskussion in der Kirche. Mal gab er den Kasper-Leuten positive Signale, | |
dann wieder dem Müller-Gefolge. Wo aber sein Herz schlug, wurde schon | |
deutlich: Kaspers Ansatz bei der Kommunionsfrage lobte er überschwänglich – | |
und bei der Homo-Frage setzte er öffentlich eindeutige Zeichen, worauf der | |
Vatikan-Experte Marco Politi, ein Meister seines Fachs, in diesen Tagen in | |
Rom hinwies: Papst Franziskus empfing einen transsexuellen Spanier, der | |
früher eine Frau gewesen war – mit dessen Verlobten. | |
Bei seiner jüngsten USA-Reise traf sich der Pontifex Maximus zudem mit | |
einem ehemaligen Studenten, der mit seinem schwulen Freund gekommen war. | |
Gerade im Sumpf der erzkatholischen Websites gab es weltweit ein empörtes | |
Aufheulen. | |
## Ein tölpelhafter Versuch | |
Apropos Heulen: Marco Politi hat gerade in Deutsch sein Buch „Franziskus | |
unter Wölfen: Der Papst und seine Feinde“ vorgelegt: Wer auch nur einen | |
Teil der vergangenen drei Synoden-Wochen in Rom verbracht hat, wird den | |
Titel eher für untertrieben halten. Denn gerade die Konservativen schossen | |
gegen die Reformer aus allen publizistischen Rohren, und, in Andeutungen, | |
auch gegen den Papst. | |
Nicht zufällig kam das sofort offiziell dementierte Gerücht auf, Franziskus | |
habe einen Hirntumor. Der Subtext ist: Ihm zuliebe muss man nichts ändern, | |
der ist eh‘ bald weg. „Das ist doch nur ein tölpelhafter Versuch, die | |
Arbeiten der Synode zu beeinflussen“, erklärte Kasper italienischen | |
Zeitungen. Wer Zweifel an der Gesundheit des Papstes streue, habe in | |
Wirklichkeit andere Motive. „Manche Personen sind nervös angesichts des zu | |
erwartenden Ergebnisses der Synode“, außerhalb wie innerhalb der Kirche. | |
„Übrigens passt dieser Papst einigen nicht, das scheint mir | |
offensichtlich.“ | |
Aber was waren nun die Ergebnisses der Synode? Nun, berauschend für die | |
Reformer sind sie nicht: Das Wort Kommunion für die Wiederverheirateten | |
taucht nicht auf – aber die Formulierungen in dem Absatz über die | |
Geschiedenen sind so vage und zugleich wohlwollend ihnen gegenüber, dass | |
die reformorientierten Bischöfe meinen: Da kann man im Alltag und vor Ort - | |
„pastoral“ genannt - doch einiges machen, zumindest zukünftig. | |
## Relativ riesig | |
So erklärte es etwas Kardinal Reinhard Marx aus München, der zugleich der | |
Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz ist. Auf einer Pressekonferenz | |
der deutschsprachigen Bischöfe betonte er Samstag Nacht in einer von Nonnen | |
geführten Pension: Auf den ersten Blick scheine das „relativ wenig“ sein. | |
Für die Kirche aber sei das ein „riesiger Schritt“. | |
Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn argumentierte ähnlich bei der | |
Homosexuellen-Frage: Nach Ansicht der Synodenväter soll sich an der | |
kirchlichen Lehre in dieser Frage nichts ändern, also: Respekt für Schwulen | |
und Lesben, aber keine Akzeptanz ihrer sexuellen Praxis und keine | |
rechtlichen Gleichstellung ihrer Partnerschaft mit der Ehe von Mann und | |
Frau. | |
Aber die Bischofsversammlung habe das Thema eigentlich nicht wirklich | |
verhandelt. Auch weil das im Rund der Bischöfe aus aller Welt schlicht | |
nicht durchsetzbar gewesen sei. Denn gerade in den Staaten des Südens der | |
Welt seien homosexuelle Partnerschaften heiß umkämpft und derzeit politisch | |
„praktisch untragbar“. | |
Schönborn war es auch, dem auf der nächtlichen Pressekonferenz bei der | |
gefühlt fünften Frage zur Kommunion für die Wiederverheirateten die | |
Hutschnur platzte: Derzeit strömten fast täglich Tausende Flüchtlinge nach | |
Österreich und nach Deutschland – mit und ohne ihre Familien, echauffierte | |
sich der Kardinal, vielleicht etwas künstlich. Und die deutschsprachigen | |
Medien bissen sich so an der Kommunionsfrage fest! Da könne er gut Gläubige | |
aus anderen Ländern, etwa aus dem Nahen Osten, verstehen, die sagten: „Wir | |
haben, weiß Gott!, andere Probleme!“ | |
Wie auch immer, in der deutschsprachigen Diskussionsrunde war während der | |
Synode jedenfalls etwas Erstaunliches passiert: Die Kardinäle Müller und | |
Kasper, Duzfreunde übrigens, konnten sich dank Schönborns sprachlicher und | |
theologischer Kraft immer auf gemeinsame Entwürfe für das Abschlussdokument | |
der Synode einigen. Nur die Gesamtsynode hat sie höchstens in | |
Spurenelementen übernommen. Aber am Ende ist das auch egal. Denn der Papst | |
muss sich an keine der Empfehlungen seiner Synodenväter halten. Das | |
fürchten einige. Und andere hoffen darauf. | |
25 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
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