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# taz.de -- Glasrecycling: Systemkonfrontation der Flaschen
> Das Duale System Deutschland dirigiert in Berlin die Altglas-Entsorgung
> und würde das seit langem bewährte System am liebsten umkrempeln. Warum?
Bild: Hinter den gläsernen Bergen ... wartet schon der Laster zur Sortieranlage
Ein fuseliger Hauch umweht den Berg von Grünglas. Kein Wunder: Hier türmen
sich Tausende Wein- und Sektflaschen, deren Restinhalt in der Sonne
verdunstet. Der Alkoholgeruch ist dann aber schon die größte Zumutung für
sensible Gemüter. Denn auf dem Altglasumschlagplatz der Firma Berlin
Recycling (BR) im Westhafen geht es sehr geordnet zu: Halden aus weißem,
grünem und braunem Glas lagern gut sortiert zwischen Trennmauern aus
riesigen Leichtbeton-Legosteinen. Der Asphalt auf den Fahrwegen ist sauber
gefegt, sogar mit dem Fahrrad kann man bedenkenlos auf den Hof rollen.
Ein Lastwagen in weiß-orangem Karodesign nähert sich im Rückwärtsgang, die
Ladefläche hebt sich, mit ohrenbetäubendem Klirren ergießt sich eine neue
Ladung auf den Flaschenberg. BR-Mitarbeiter Michel Görke trägt Stöpsel in
den Ohren und kümmert sich gleich ums Grobe: Mit einer langen Forke fischt
der hellblonde junge Mann Plastiktüten heraus, die hier definitiv nicht
hineingehören. So kommt man den Betreibern der Sortieranlagen entgegen, die
das Glas hier abholen. Eine Woche lang nur weißes, eine Woche nur farbiges,
damit nichts durcheinandergerät.
## Miese Qualität
Wie es aussieht, ist die Welt des Altglasrecyclings säuberlich geordnet.
Abläufe und Zuständigkeiten, alles ist geregelt und eingespielt.
Aber nicht alle sind damit glücklich. Die Duale System Holding GmbH (DSD),
die die Entsorgung des Berliner Verpackungsmülls organisiert, stemmt sich
gegen den Status quo: Die Qualität des Altglases sei mies, fast schon
unverkäuflich, argumentiert das Unternehmen und fordert seit geraumer Zeit
einen Systemwechsel.
Was ist das Problem? Die Glasindustrie moniere den Zustand des
Sekundärrohstoffs seit Jahren, argumentiert die DSD GmbH: Das Altglas
enthalte zu viele Verunreinigungen. Groben Restmüll, wie ihn Michel Görke
gerade per Hand entfernt, vor allem aber „Fehlwürfe“ wie Geschirr aus
Porzellan oder Keramik.
Diese Stoffe bereiten beim Recycling massive Probleme. Sie haben einen
höheren Schmelzpunkt als Glas, ihre Splitter formen winzige Einschlüsse in
den neuen Glasbehältern, die wie Sollbruchstellen wirken: Im schlimmsten
Fall fliegen den Mitarbeitern einer Abfüllanlage die Flaschen um die Ohren.
## „Wirtschaftlich sinnlos“
Die DSD GmbH beruft sich dabei auf Abnehmer wie die Ardagh-Gruppe, die in
Neuenhagen bei Berlin und Drebkau bei Cottbus täglich rund eine Million
Glasbehälter herstellt. „Die Glasaufbereitungsanlagen müssen das Berliner
Glas bereits zweimal durch die Produktionsanlage laufen lassen, um für die
Glasschmelze verwertbare Scherben zu erzeugen“, klagte Ardagh schon vor
Jahren in einem Schreiben, das die DSD GmbH als Beleg präsentiert. Dadurch,
so die Glasproduzenten, werde der Einsatz von Recyclingglas „wirtschaftlich
sinnlos“ – neues Glas lasse sich billiger aus den Primärrohstoffen wie
Quarzsand herstellen.
Die DSD GmbH weiß auch, wer das Altglas verdirbt – es ist das „Berliner
System“ bzw. „Holsystem“: Zwei Drittel der BerlinerInnen müssen ihre lee…
Flaschen nicht wie der Rest der Republik zum Altglasiglu schleppen. Sie
haben dafür Tonnen im Hinterhof, deren Inhalt vom Entsorger abgeholt wird.
In diese Behälter aber – so die Argumentation der DSD GmbH – fliegt oft
alles, was woanders gerade nicht reinpasst. Zu den Iglus – auch
„Bringsystem“ genannt – trügen die Leute dagegen vor allem das, was auch
hineingehört. Außerdem, erklärt DSD-Sprecher Norbert Völl, sorge die
Fahrzeugtechnik des Holsystems dafür, dass das Glas zu stark zersplittert
bei den Abnehmern ankomme. Die aber müssen unterschiedliche Glasfarben vor
dem Einschmelzen entmischen. Und vor feinem Glasmehl kapituliert die
modernste Sortieranlage.
Vor knapp zwei Jahren wähnte man sich siegreich bei der DSD GmbH: Auf ihr
Drängen hin wurde das „Holsystem“ im BE 104, dem östlichen der vier
Berliner Vertragsgebiete, um mehr als die Hälfte eingedampft. Die Berlin
Recycling, eine 100-prozentige Tochter der landeseigenen BSR, zog zum 1.
Januar 2014 über 8.000 Hoftonnen ab. Jeder, der nicht mehr als 300 Meter
Wegstrecke zu einem Iglu hatte, musste nun mit dem Altglasbeutel dorthin
pilgern. Das Ganze war als Versuch konzipiert, sollte ausgewertet und bei
Erfolg auf ganz Berlin ausgeweitet werden.
Aber die Aktion sorgte für Empörung bei den Betroffenen – und ihren
Volksvertretern. Im Umweltausschuss des Abgeordnetenhauses musste sich
Staatssekretär Christian Gaebler (SPD), der alles mit eingefädelt hatte,
scharfe Kritik anhören – auch aus den eigenen Reihen. Der umweltpolitische
Sprecher der SPD-Fraktion, Daniel Buchholz, sprach von „Chaos“ und einer
„überstürzten Aktion“, die Opposition warnte, dass künftig mehr Altglas …
Bequemlichkeit im Restmüll landen werde.
## Bringt die Tonnen zurück
Wenige Themen schaffen so viel Einigkeit über Parteigrenzen hinweg. Im März
wurde ein Antrag der Linksfraktion in leicht veränderter Fassung einstimmig
vom Plenum beschlossen. Er forderte den Senat auf, die „seit Jahrzehnten
bewährte und verbraucherfreundliche haushaltsnahe Altglassammlung“ zu
sichern und die abgezogenen Hoftonnen so schnell wie möglich wieder
aufstellen zu lassen. Die DSD GmbH dürfe „ungelöste Qualitätsfragen nicht
für eine Einschränkung des Sammelangebots missbrauchen“. Mache das Duale
System nicht mit, sei „zu prüfen, ob die Altglassammlung auf dem Wege der
Ersatzvornahme im Auftrag des Landes Berlin ergänzt wird“. Sprich: Man
solle der DSD GmbH das Geschäft wegnehmen, indem man ihr die Kontrolle über
die Entsorgung entziehe.
Ganz so heiß gegessen wurde aber nicht. Erst galt es, das
Sachverständigengutachten abzuwarten, das die Senatsverwaltung bestellt
hatte, um die Teilumstellung zu begleiten. Von März bis Dezember 2014
besuchten die Sachverständigen der auf Entsorgungsfragen spezialisierten
Cyclos GmbH Umschlagplätze, schauten in Müllbehälter und befragten
Mitarbeiter der beteiligten Firmen.
Das Gutachten liegt inzwischen vor, allein: Die Konfliktparteien lesen es
ganz unterschiedlich. Die DSD GmbH findet darin Belege für ihre Thesen und
leitet daraus ab, das „Bringsystem“ müsse zum Standard werden. Wenn auch
nicht zur alleinigen Lösung, wie Sprecher Norbert Völl einräumt: „In der
Innenstadt wollen wir die Hoftonnen erhalten, weil es dort viel zu wenige
Stellplätze für die Iglus gibt.“ Deswegen will das Duale System die
Vertragsgebiete neu zuschneiden: Im S-Bahn-Ring bliebe ein Mix erhalten,
außerhalb stünden nur noch Iglus.
Ganz anders die Lesart der Fraktionen: Sie beziehen sich vor allem auf eine
Zahl: 19 Prozent. Um so viel ist die im Vertragsgebiet BE 104 gesammelte
Glasmenge laut Gutachten gesunken. In zwei weiteren der vier
Vertragsgebiete war der Rückgang deutlich kleiner, im vierten stieg die
erfasste Menge sogar leicht.
## Schlecht fürs Klima
„Das zeigt, dass wir mit unserer Befürchtung recht hatten“, sagt Silke
Gebel, umweltpolitische Sprecherin der Grünenfraktion: Ohne die
entsprechenden Hoftonnen werde einfach weniger getrennt. Für „ganz
eindeutig“ hält das Ergebnis auch ihr SPD-Kollege Daniel Buchholz: „Es gab
einen massiven Rückgang der Glasmenge. Wenn Sie das in CO2-Äquivalente
umrechnen, würde es Berlins Klimabilanz erheblich verschlechtern.“
Bei der DSD GmbH glaubt man an einen methodischen Fehler: Es gebe „keine
endgültige plausible Erklärung“, so Sprecher Völl, aber Anhaltspunkte
dafür, dass die Gebietsgrenzen beim Einsammeln nicht klar eingehalten
wurden. Im Restmüll oder in den Wertstofftonnen habe man jedenfalls nicht
mehr Glas gefunden als sonst. „Das spricht für die These, dass es sich vor
allem um ein Dokumentationsproblem handelt.“
Aber die Fraktionen blieben hart und einigten sich darauf, an ihrem
Ursprungsbeschluss festzuhalten: keine Veränderung des „Berliner Systems“,
kein Neuzuschnitt der Vertragsgebiete, Rücknahme der bereits erfolgten
Umstellung.
Die Qualität des Altglases wollen sie mit anderen Mitteln verbessern: etwa
neue Hoftonnen mit Einwurflöchern und abschließbaren Deckeln, auf dass die
kaputte Mikrowelle oder die Altkleidertüte nicht mehr im Glas lande. Dazu
eine Informationskampagne und häufigere Abholtermine.
Zum Leidwesen des DSD ging die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
d’accord: Man betrachte diesen Beschluss als Grundlage für alle weiteren
Verhandlungen, teilte Senator Andreas Geisel im Sommer mit. Die Sache sei
„erledigt“.
Vorerst geht also alles seinen gewohnten Gang. Gerade läuft die
Ausschreibung für das Vertragsgebiet BE 103 (Friedrichshain-Kreuzberg,
Neukölln und Tempelhof-Schöneberg), dort bleibt das Gerumpel der Glastonne
auch 2016 Teil des vertrauten Hinterhof-Soundtracks. Und für die Marzahner,
Lichtenberger und Köpenicker endet das Igluexperiment Anfang 2017. Ein
„ärgerlicher“ Fehler, findet Norbert Völl: „Die Glasqualität in Berlin
bleibt damit schlecht.“ Man wisse genau, wie man sie verbessern könnte,
„aber jetzt ist der Weg dorthin auf Jahre verstellt“.
## „Sehen Sie den Unterschied?“
Damit könnte die Geschichte ihr Bewenden haben – läge da nicht ein unguter
Verdacht in der Luft: Stimmt das mit dem minderwertigen Glas überhaupt?
Auf dem Umschlagplatz von Berlin Recycling steht Vertriebsleiter Stephan
Hartramph und zeigt auf mehrere Glasberge. Hier der Inhalt der Hoftonnen,
dort der von Altglasiglus. „Sehen Sie einen Unterschied?“, fragt er.
„Verunreinigungen kommen in beiden Systemen vor, und was die Bruchgröße
betrifft, gibt es keinen Unterschied.“
Warum auch – in beiden Systemen werde gleich oft umgeladen. Weil die Iglus
vom Sammelfahrzeug mit einem Kranarm hochgehoben und ausgeleert werden, sei
dabei die Fallhöhe sogar größer, so Hartramph. Tiefer Fall gleich mehr
Bruch, das leuchtet auch Laien ein. Umgekehrt komme das Presswerk der
Lastwagen bei der Hoftonnen-Sammlung gar nicht zum Einsatz.
Welches Interesse sollte das Duale System daran haben, einen Mythos zu
schaffen? SPD-Umweltexperte Daniel Buchholz nimmt kein Blatt vor den Mund:
Für ihn ist die DSD GmbH ein „Zombie, der nach Luft schnappt“. Ein
Unternehmen, das schon mehrfach vor dem Kollaps gestanden habe, weil sein
Geschäftsmodell nicht aufgehe. Ein genuines Interesse an Ökologie habe es
ohnehin nicht, es müsse „knallhart kalkulieren“. Und hier liege ein Grund
für den Versuch, das bewährte System zu kippen: Es ist zeit- und
personalintensiver – und damit einfach teurer.
Im Westhafen kommt der Lkw einer polnischen Sortieranlage an. Die Arbeiter
von Berlin Recycling lassen aus einer Radladerschaufel ein paar Tonnen
Weißglas auf seine Ladefläche prasseln. Ein paar Verunreinigungen sind im
Gegenlicht noch zu erkennen.
Vertriebsleiter Stephan Hartramph bringt es auf die folgende Formel: „Der
Berliner hat ein ganz gut entwickeltes Recyclingbewusstsein, aber er ist
auch nur ein Mensch.“
22 Oct 2015
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Bildung
Recycling
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Kreislaufwirtschaft
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Recycling
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Silke Gebel
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