# taz.de -- Wohnungsmarkt für Studierende: Entspannt in Chemnitz | |
> In vielen ostdeutschen Städten sind die Mieten günstig. Wer hier | |
> studiert, kann sich seine Wohnung aussuchen – und ein besonderes Flair | |
> erleben. | |
Bild: Erste Geschäfte sind schon da, Laufkundschaft fehlt noch: der Brühl in … | |
Chemnitz taz | Schicke Altbauten, Fußgängerzone, ausreichend Platz für | |
Ladenlokale. Keine zehn Gehminuten vom Chemnitzer Stadtzentrum entfernt | |
liegt der Brühl, einer der beliebtesten Einkaufsstraßen der DDR. In Städten | |
wie Freiburg, Münster oder Leipzig würde so ein prachtvoller Boulevard vor | |
Studenten-WGs, Cafés und kleinen Boutiquen heute wohl aus allen Nähten | |
platzen. | |
Nicht so in Chemnitz. Jahrzehntelang lag der Brühl brach, weil der 240.000 | |
Einwohner zählenden Stadt im Westen Sachsens ein schlüssiges Konzept für | |
die einstige Vorzeigemeile fehlte. Nun langsam ändert sie sich – und mit | |
ihr die Stadt. Das liegt auch an den mehr als 11.000 Studenten. Von Jahr zu | |
Jahr werden es mehr. Seitdem günstiger Wohnraum knapp ist, ziehen | |
ostdeutsche Städte Studierende aus ganz Deutschland an. | |
Bisher gingen die meisten nach Leipzig oder Dresden. Aber auch in Chemnitz | |
ist die Zahl der Erstsemester in den vergangenen fünf Jahren um ein Drittel | |
gestiegen. Mit den Studierenden ist auch auf dem Brühl Leben eingekehrt. | |
„Wenn man den Standort vor eineinhalb Jahren gesehen hat, hätten nur noch | |
die wehenden Heubüschel aus den Westernfilmen gefehlt“, lacht Laura | |
Tzschätzsch. | |
Die 28-jährige Berlinerin zog 2012 zum Studieren nach Chemnitz. In | |
Frankfurt (Oder) bekam sie keinen Studienplatz. Über die | |
Studienrestplatzbörse kam sie an die Technische Universität Chemnitz. | |
Mittlerweile studiert sie Interkulturelle Kommunikation und Kompetenz. Von | |
der Stadt war sie sofort positiv überrascht. Schnell hat sie den Brühl für | |
sich entdeckt: „Die Häuser haben mich fasziniert. Wenn abends die Lichter | |
angehen. Das ist ein Charme, den hast du nirgends.“ | |
Laura Tzschätzsch zog in eine Wohngemeinschaft ganz in der Nähe. Die | |
Wohnungssuche war kein Problem. Gerade mal drei, vier WGs habe sie sich | |
angeguckt und eine Wohnung gefunden, die sie sich in Berlin nie hätte | |
leisten können. „Das ist schon ein gewisser Luxus, den man hier hat“, | |
schwärmt sie. | |
## Günstiger Wohnen im Osten | |
Ein Luxus, von dem Studierende in vielen anderen Städten nur träumen | |
können. [1][Laut einer Studie des Immobilienentwicklers GBI] ist der | |
studentische Wohnungsmarkt in 39 von 87 Universitätsstädten mit mehr als | |
5.000 Studierenden angespannt. Die WG-Suche ist schwierig, die Mieten sind | |
stark gestiegen und die Wohnheime der Anfrage nicht mehr gewachsen. [2][Die | |
Linkspartei forderte daher in der vergangenen Woche im Bundestag] 45.000 | |
neue Wohnheimplätze für Studierende innerhalb der nächsten vier Jahre. | |
Außerdem eine Anpassung des BAföG-Satzes an die steigenden Mieten. | |
In Chemnitz ist wie in den meisten anderen Städten im Osten Deutschlands | |
von diesen Problemen noch wenig zu spüren. Der Wohnungsmarktreport 2015 des | |
Chemnitzer FOG-Instituts verrät: Je nach Stadtteil steht jede zehnte bis | |
jede dritte Wohnung leer, die Durchschnittskaltmiete liegt bei 4,85 Euro | |
pro Quadratmeter. In München liegt der Preis viermal so hoch. In keiner | |
deutschen Uni-Stadt zahlen Studierende weniger. Im Schnitt sind das 211 | |
Euro. Fast so günstig sind Mieten in Dresden, Erfurt und Halle. Auch die | |
Lebenshaltungskosten sprechen für ein Studium im Osten.[3][Nach einem | |
Ranking des Magazins Unicum] liegen neun der zehn günstigsten Städte in | |
ostdeutschen Bundesländern. | |
Der freie Wohnraum und die günstigen Kosten sprechen also deutlich für ein | |
Studium im Osten. Auch mit ihrem Studium und ihren Professoren ist Laura | |
Tzschätzsch zufrieden. 96 Studiengänge bietet die Technische Universität | |
mittlerweile an. Tzschätzsch hat zwischenzeitlich Europäische Integration | |
studiert. Dass sie die Umstellung von Berlin auf Chemnitz als hart | |
bezeichnet, liegt an der fehlenden kosmopolitischen Stimmung. | |
Besonders vermisse sie die MigrantInnen und Leute aus fremden Ländern. | |
„Hier ist alles sehr konform und homogen. Wenn ich mich hier bunt anziehe, | |
falle ich schon unheimlich auf.“ Vielen Chemnitzern unterstellt Tzschätzsch | |
eine negative Einstellung zu ihrer Stadt. Das sei schlecht fürs Image und | |
fürs Selbstbewusstsein. „Wenn man sich immer sagt ‚Ich bin hässlich‘, d… | |
strahlt man das auch aus.“ Gleichzeitig stellt sie anerkennend fest: „Es | |
entwickelt sich was.“ | |
## Chemnitz am Beginn einer Entwicklung | |
Das beste Beispiel ist sie selbst. Seit rund eineinhalb Jahren betreibt | |
Tzschätzsch zusammen mit einem gelernten Systemgastronomen das [4][Café | |
Brühlaffe]. Das Konzept: alles bio, alles regional und alle Speisen vegan | |
oder vegetarisch. Auf 65 Quadratmetern stehen scheinbar bunt | |
zusammengewürfelte Tische, Stühle und Sofas. Erdige und sandfarbene Töne | |
dominieren Boden und Wände. Große Grünpflanzen und leere Kaffeesäcke an | |
Wänden und Türrahmen schaffen Gemütlichkeit. In Berlin würden Tschätzsch | |
und ihr Mitstreiter mit diesem Konzept nicht auffallen, in Chemnitz gehören | |
sie zu den Vorreitern. Speziell auf dem Brühl gibt es bislang nur wenige | |
Lokale, die für Belebung sorgen. In den sanierten Häusern siedeln sich | |
Geschäfte und Kreative an. Aber für Lokale fehlt noch Laufkundschaft. Der | |
Campus liegt am anderen Ende der Stadt. | |
Die Stadt will die Studierenden ins Zentrum locken. In der Nähe zu | |
Tzschätzschs Café wird derzeit eine neue Uni-Bibliothek gebaut. 2018 soll | |
sie eröffnet werden. Und dann wird sich auch bald die steigende Zahl | |
Studierender aus westdeutschen Bundesländern bemerkbar machen. Im Gegensatz | |
zu vielen KommilitonInnen aus der Umgebung fahren diese nicht für das | |
Wochenende nach Hause. Potenzielle Kundschaft für Tzschätzsch: „In fünf | |
Jahren ist Chemnitz eine buntere Stadt als jetzt.“ | |
Chemnitz, da ist sich die Studentin sicher, steht erst am Anfang einer | |
Entwicklung. Der Brühl soll seinen Teil dazu beitragen. | |
25 Oct 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.gbi.ag/2015/09/wohnsituation-fu%CC%88r-studenten-wird-zum-semest… | |
[2] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/045/1804512.pdf | |
[3] http://www.unicum.de/studienzeit/service/lebenskostenrechner/toplist.php | |
[4] http://www.bruehlaffe.de/wordpress/ | |
## AUTOREN | |
Ronny Müller | |
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