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# taz.de -- US-Studenten in Deutschland: Zu arm für die Universität
> Bis zu 55.000 Euro kostet ein Bachelor-Studium in den USA – pro Jahr.
> Immer mehr Amerikaner zieht es deshalb nach Deutschland.
Bild: Studenten protestieren in den USA gegen Kürzungen im Bildungssektor.
Jay Malone hat den Trend erkannt und direkt ein Geschäft daraus gemacht.
Der US-Amerikaner aus Ohio ist vor drei Jahren für sein Masterstudium ins
nordrhein-westfälische Siegen gekommen. Obwohl er damals schon ganz gut
Deutsch sprach, hatte Malone anfangs große Probleme, sich an der
Universität im neuen Umfeld zurechtzufinden.
Wer aus den verschulten Colleges mit Rundumbetreuung an eine deutsche
Großuniversität kommt, fühlt sich erst einmal verloren. Malone berät gegen
Bezahlung Landsleute, die in Deutschland studieren wollen, aber das
Hochschulsystem nicht verstehen. „Wir helfen ihnen herauszufinden, welche
Uni zu ihnen passt.“ Malone hat viel zu tun in letzter Zeit, die Nachfrage
ist groß.
An deutschen Hochschulen sind derzeit knapp 4.300 Studenten aus den USA
eingeschrieben. Aus deutscher Sicht ist das nicht viel. Bei der Anzahl
ausländischer Studierender liegen die Amerikaner noch hinter Kamerun, Iran
oder Marokko. Aus amerikanischer Sicht ist es aber eine beachtliche Zahl,
bedenkt man, dass gerade einmal 0,3 Prozent aller US-Studenten überhaupt im
Ausland studieren. Nach Großbritannien und Kanada ist Deutschland
mittlerweile das drittbeliebteste Exil für Studenten.
Das hat viele Gründe. Ein Grund ist, dass deutsche Hochschulen mehr und
mehr Studiengänge auf Englisch anbieten. Den wichtigsten aber können viele
Amerikaner gar nicht glauben, wenn sie das erste Mal davon hören: Studieren
in Deutschland ist quasi umsonst.
Wie viel man in den USA für einen Abschluss zahlt, hängt vom jeweiligen
College ab. Private kosten in der Regel dreimal so viel wie öffentliche.
Cienna Davies hat ihren Bachelor an der öffentlichen University of
California in San Diego gemacht. Für das Studium hat Davies im Jahr rund
11.000 Euro aufbringen müssen. Fast noch mal so viel fielen für Unterkunft
und Verpflegung an.
Die Campuserfahrung hat sich dennoch bezahlt gemacht, sagt die 22-Jährige
heute: „Man lebt zusammen, feiert zusammen, hat das Gefühl, Teil von etwas
zu sein.“ Sie hätte zwar auch bei ihrer Mutter wohnen können, doch wie fast
alle College-Studenten zog es sie „on campus“. Denn dort, das suggerieren
nicht nur Hollywood-Streifen, sondern auch die glänzenden Werbebroschüren
der Hochschulen, beginne das wahre Leben.
„Viele Jugendliche sind dort zum ersten Mal wirklich auf sich allein
gestellt, machen ihre ersten Erfahrungen mit Alkohol und Sexualität“, sagt
Martin Klepper, Professor für Amerikanistik an der Humboldt-Universität in
Berlin. Erfahrungen, die kaum ein Amerikaner verpassen will, auch wenn sie
ein kleines Vermögen kosten.
## Berlin doppelt günstig
Für ihren Master ist Davies nun nach Berlin gezogen. Hier fallen nicht nur
die Studiengebühren weg, auch das Leben ist günstiger. Außerdem mag sie das
entspannte Flair der Stadt, dass es U-Bahnen gibt, dass sie keine
Fernbeziehung mehr mit ihrem deutschen Freund hat. Davies ist eine von etwa
2.500 Amerikanern, die nicht nur ein oder zwei Auslandssemester in
Deutschland bleiben, sondern einen deutschen Hochschulabschluss anstreben.
Seit einigen Jahren steigt ihre Zahl kontinuierlich, belegt eine Studie des
Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Ein Abwanderungsgrund: die
steigenden College-Gebühren seit Beginn der Finanzkrise im Jahr 2008. Die
Jahre danach waren einschneidend für den amerikanischen Bildungssektor.
Die Stiftungsvermögen der Universitäten schrumpften. Zudem kürzten viele
US-Bundesstaaten die [1][Finanzierung der öffentlichen Colleges]. Um die
Finanzierungslücke zu schließen, baten die Colleges die Studierenden zur
Kasse. Die Universität Berkeley beispielsweise schlug von einem Semester
aufs nächste auf ihre Gebühren 50 Prozent drauf. Heute investieren wieder
mehr Bundesstaaten in Bildung und auch die Stiftungsvermögen haben sich
erholt. Doch die Studiengebühren bleiben unverändert hoch oder steigen
sogar weiter.
## Extreme soziale Spaltung
Das macht es gerade für ärmere Familien schwer, ihre Kinder aufs College zu
schicken, trotz zahlreicher Stipendienprogramme. Daniel Cook studiert heute
an der Humboldt-Universität in Berlin Neurowissenschaften. Er ist in einem
der gefährlichsten Viertel der Ostküstenstadt Philadelphia aufgewachsen,
wie er sagt. Hätte er nicht Hegel und die Philosophie für sich entdeckt,
wäre er vielleicht nie auf eine Hochschule gegangen.
Über Umwege landete er am Ende auf einem privaten College in Florida, das
sich auf Geisteswissenschaften spezialisiert hat. Besonders angesehen ist
es nicht, im Ranking mit vergleichbaren Schulen landet es im Mittelfeld.
Trotzdem kostete es ihn fast 30.000 Euro im Jahr. Er musste Schulden
aufnehmen.
Die USA haben laut internationalen Rankings mit die besten und
renommiertesten Hochschulen der Welt. Aber auch die teuersten. Die Brown
University ist eine jener altehrwürdigen Ivy-League-Schulen an der
amerikanischen Ostküste, zu denen auch Harvard, Princeton oder Yale
gehören. Sie rangiert in dem für die USA viel beachteten [2][QS World
University Ranking] weit vorn auf dem 52. Platz.
## Gleiche Qualität fast kostenlos
Den teilt sie sich mit der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München.
Ein Bachelor an der Brown University kostet, wenn er in Regelstudienzeit
absolviert wird, 170.000 Euro. Die LMU verlangt seit der Abschaffung der
Studiengebühren in Bayern nur eine Verwaltungsgebühr von rund 200 Euro pro
Jahr inklusive Semesterticket für Bus und U-Bahn.
Er ist nicht nur wegen des Geldes gekommen, sagt Neurowissenschaftsstudent
Cook. „Mein Masterstudienplatz in den USA hätte mir zwar mehr Schulden,
aber auch einen sicheren Job garantiert. Das Studium hier ist ein Risiko.
Aber das Institut ist verdammt gut, eines der besten.“ Dass deutsche
Hochschulen in den USA einen guten Ruf haben, bestätigt auch Jay Malone von
der Vermittlungsagentur. „Die Qualität lässt sich in der Breite auf jeden
Fall mit den USA vergleichen.“ Die geringen Gebühren würden nur das erste
Interesse wecken.
Trotzdem ist auch vieles hierzulande anders. „Es ist deine Entscheidung, ob
du viel oder wenig Arbeit in dein Studium steckst. Da ist niemand, der dich
pusht“, sagt Cienna Davies. Auch versteht sie nicht, warum es Deadlines
gibt, wenn man den Professoren dann hinterherlaufen muss, damit sie die
Arbeiten lesen. „Aber vielleicht bin ich auch nur einen anderen Service
gewohnt, weil ich in den USA ein wandelnder Dollarschein war.“
## Studieren auf Englisch
Dass überhaupt so viele Ausländer in Deutschland studieren, hat auch mit
dem wachsenden Angebot an englischsprachigen Studiengängen zu tun.
Mittlerweile werden deutschlandweit 880 Masterprogramme komplett auf
Englisch unterrichtet. Das ist gut für Studenten wie Davies und Cook, die
kaum Deutsch sprechen.
Ludwig Eichinger, Direktor des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim,
sieht diese Entwicklung hingegen kritisch: „Nur wenige Hochschullehrer
können auf Englisch so gut unterrichten wie auf Deutsch. Zudem besteht die
Gefahr, dass sich eine rein englischsprachige Wissenschaft vom
gesellschaftlichen Diskurs entfernt.“
Eichinger fordert mehr Engagement von DAAD oder der Humboldt-Stiftung, um
bei ausländischen Studierenden mehr Neugierde für die deutsche Sprache zu
wecken. Allein um besser in Kontakt zu Einheimischen zu kommen. Auch Jay
Malone rät seinen Kunden, die Landessprache zu lernen. „Abseits der fünf,
sechs großen Städte wird es sonst schwierig, sich zu integrieren.“
Tatsächlich wünschen sich einer [3][DAAD-Studie] zufolge 45 Prozent der
ausländischen Studierenden mehr Kontakt zu Einheimischen.
## Studienkosten über Steuern eintreiben
Vor allem für diejenigen, die später in Deutschland arbeiten wollen, sind
Sprachkenntnisse erforderlich. Dass möglichst viele Hochqualifizierte nach
dem Studium in Deutschland bleiben, ist erklärtes Ziel der Bundesregierung.
13.000 Euro kostet den Steuerzahler jeder ausländische Student.
Das Geld soll idealerweise auch bei ausländischen Studierenden wieder
hereingeholt werden. „Wenn nur 30 Prozent der Studierenden nach ihrem
Abschluss für fünf Jahre in Deutschland arbeiten, haben wir schon mehr Geld
über Steuern eingeholt, als die Ausbildung gekostet hat“, sagte
Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) auf einer Pressekonferenz zur
Entwicklung der Studierendenzahlen. Nach einer DAAD-Umfrage könnte sich das
rund die Hälfte aller ausländischen Studierenden vorstellen.
So wirklich glücklich ist Cienna Davies mit ihrem Studiengang bislang
nicht. Ob sie bleibt, hängt davon ab, ob sie nach dem Studium einen Job
findet. „Wenn ich mein Deutsch verbessere, habe ich vielleicht gute
Chancen.“ 18 Monate hat sie nach ihrem Abschluss Zeit, einen Arbeitsplatz
zu finden. Wenn das klappt, könnte sie auch endlich damit beginnen, ihre
College-Schulden abzubezahlen. Dabei hat sie noch Glück: Mit 15.000 Euro
liegt sie weit [4][unter dem US-Durchschnitt.]
23 Aug 2015
## LINKS
[1] http://www.cbpp.org/research/state-by-state-fact-sheets-higher-education-cu…
[2] http://www.topuniversities.com/university-rankings/world-university-ranking…
[3] http://wissenschaft-weltoffen.de/
[4] http://ticas.org/posd/map-state-data
## AUTOREN
Timo Nicolas
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