| # taz.de -- Twitter-Offensive der Berliner Polizei: Wir müssen reden | |
| > Die Berliner Polizei will mithilfe eines eigenen Social-Media-Teams | |
| > nahbar, transparent und gemocht werden. Wird es doch noch Liebe sein? | |
| Bild: Im Gegensatz zu diesen Herren soll das Twitterteam das Image der Berliner… | |
| „Tatort Museum: Kulturaffine Touristen treffen auf geldbörsenaffinen Dieb.“ | |
| Oder: „War es ein Anti-Biotika? Lila Handtasche einer Biomarkt-Verkäuferin | |
| in [1][#XBerg] aus Fahrradkorb entwendet.“ So sehen Twittermeldungen der | |
| Polizei Berlin aus. Von Amtsstubendeutsch oder Formulierungskopfständen ist | |
| das weit entfernt. Der Ort, an dem diese ungewohnte Kommunikation der | |
| Berliner Polizei mit der Online-Community entsteht, wirkt nicht so, als | |
| würde hier Kreativität freigesetzt. | |
| Berlin Tempelhof, Platz der Luftbrücke, beinahe ganz am Ende eines langen | |
| Korridors befinden sich die Büroräume des fünfköpfigen Social-Media-Teams | |
| der Berliner Polizei. Schreibtisch, PC, hier eine Topfpflanze, dort der | |
| selbstironische Zeitungsausschnitt. Es riecht nach Kaffee. Neben einem | |
| Facebook-Profil und einem Dauerkanal auf Twitter ([2][@polizeiberlin]) | |
| betreiben die Beamten hier einen Einsatzkanal ([3][@PolizeiBerlin_E]). Auf | |
| Letzterem verbreiteten sie Mitte September unter [4][#pickpocket] zehn Tage | |
| lang die Taten von Taschendieben. | |
| ## „Ein unbestellter Acker“ | |
| Am großen Tisch im Konferenzzimmer sitzt Teamleiterin Yvonne Tamborini. Die | |
| 47-Jährige trägt Jeans und Shirt, sieht eher aus wie Mitte dreißig und | |
| zollt mit ihrer kantigen Hornbrille der Zielgruppe Tribut, die sie mit | |
| ihrer Arbeit erreichen will: Jugendliche, potentieller Polizeinachwuchs, | |
| Medienvertreter. Tamborini ergreift sofort das Wort, wie noch oft während | |
| des Gesprächs. Sie klingt sicher und genau, fast hart. „Die sozialen Medien | |
| waren lange für die Polizei ein unbestellter Acker“, sagt Tamborini. „Ein | |
| Acker, den wir jetzt so richtig bestellen wollen.“ Die konkreten Ziele? | |
| Bürgernähe, Nachwuchsgewinnung und Aufklärung der Bevölkerung. Das Mittel: | |
| „So transparent wie möglich über die sozialen Medien an die Bürger | |
| herantreten und informieren, erklären und Empfehlungen aussprechen“, sagt | |
| die Beamtin. | |
| Schon lange bevor Polizisten wie Tamborini die digitale Gemeinschaft über | |
| kriminelle Taten in Tweets wie: „Rempelnder Rolltreppentäter ringt | |
| reisendem türkischen Touristen am Regionalbahnhof Reisekasse ab“ | |
| aufklärten, gab es im Ausland polizeiliche Onlineaktionen, die auf breites | |
| Interesse stießen. Vor allem Beamte in den Niederlanden und Großbritannien | |
| machten früh vor, wie sich durch die Nutzung der Kommunikationsplattformen | |
| größere Bürgernähe schaffen, aber auch Zeugen suchen oder | |
| Ermittlungshinweise sammeln lassen. | |
| Bekannt wurde auch der getwitterte Fahndungsaufruf amerikanischer Behörden | |
| eines sehr attraktiven Räubers – dem Mann wurde daraufhin ein Modelvertrag | |
| angeboten. Inzwischen holen auch in Deutschland die Polizeipräsidien im | |
| Bereich Internetpräsenz auf, etliche Polizeibehörden sind auf Facebook oder | |
| Twitter unterwegs, doch das Team um Tamborini sieht die Polizei Berlin als | |
| Vorreiter. | |
| In morgendlichen Runden werden die Themen für den Tag besprochen, bei | |
| größeren Veranstaltungen wie Demonstrationen steht das Team dann in Kontakt | |
| zu den Beamten vor Ort. „Sozusagen die Lagebesprechung 2.0“, sagt Monique | |
| Pilgrimm, eine Social-Media-Kollegin Tamborinis. Der Spaß daran liegt für | |
| die 38-Jährige im Kreieren der Tweets – gern mit Alliterationen und Reimen. | |
| ## Es gibt auch Kritik | |
| Allerdings gibt es, trotz all der neuen, so gar nicht spießbürgerlichen | |
| Polizeikommunikation, die hier so locker lustig reformiert wird, auch Dinge | |
| die sie und das Team stören. Nämlich: Es allen Recht machen zu müssen. „Die | |
| Persönlichkeitsrechte sind in Deutschland viel stärker ausgebildet als | |
| anderswo. Deshalb wird unsere Arbeit ganz besonders unter die Lupe | |
| genommen“, sagt Pilgrimm. | |
| In einer schriftliche Anfrage der Linken beim Abgeordnetenhaus im | |
| vergangenen Juni heißt es zwar: „Das Social-Media-Team fotografiert keine | |
| Versammlungsteilnehmerinnen und Versammlungsteilnehmer und stellt keine | |
| personenbezogenen Daten ohne ausdrückliche Zustimmung der Betroffenen in | |
| die sozialen Medien.“ Doch die Follower sind kritisch. Moniert werden da | |
| jene Fotos, die ihr Team direkt nach Festnahmen postete. | |
| Hinter dem Rücken in Handschellen gefesselte Hände sind darauf zu sehen, | |
| aber auch die Kleidung der Festgenommenen, die Hautfarbe. Da meckert Nutzer | |
| @BackCath: [5][“Liebe Polizei Berlin, ich brauche keine Bildbeweise von | |
| Menschen in Handschellen, damit ich weiß, dass Sie arbeiten.“] Und | |
| @BrunoKausche kontert: [6][„Doch, bitte mit Porträtaufnahme. Haben’s | |
| verdient. Die beklauen sogar Behinderte & Alte, wenn du die Tweets | |
| verfolgst.“] | |
| Für das Berliner Polizeiteam im Online-Einsatz sind diese Bilder schon ein | |
| Kompromiss, wie sie sagen. Zeigen die Bilder doch nur einen Ausschnitt der | |
| Opfer, keine Gesichter, keine Ganzkörperaufnahmen. Die Nutzer seien „in dem | |
| Punkt der fotografischen Darstellung von Tätern wohl sehr empfindlich“, | |
| sagt Tamborini. | |
| Sie argumentiert wie eine Unternehmerin, der es in erster Linie darum geht, | |
| die Kunden, in diesem Fall die Nutzer, in ihrem Bedürfnis nach Unterhaltung | |
| zufriedenzustellen: „Die Meinung der Community ist uns wichtig.“ Auch | |
| stellt die Polizistin klar: „Das mit den Fotos haben wir deshalb geändert. | |
| Statt dem Täter haben wir die Beute gezeigt, da war die Skepsis in den | |
| Kommentaren auch nicht so groß.“ Diese Reaktion passt gut in den Versuch | |
| der Polizei, eine neue Beziehung zwischen Behörde und Bürger zu schaffen – | |
| und Nutzer @OssiMarzahn kommentiert: [7][“Verstehe, Maulkorb von oben! | |
| Trotzdem, gute Arbeit, weiter so!“] | |
| Matthias Monroy sieht das anders. Er ist Mitarbeiter des | |
| Linken-Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko und Experte für die | |
| technologische Aufrüstung von Polizei und Militär. „Dies ist alles ein | |
| Versuch der Polizei, die Informationshoheit über Sachlagen zu gewinnen“, | |
| sagt er. | |
| ## „Durchaus manipulativ“ | |
| Monroy sieht darin eine Gefahrenquelle. „Die Polizei nutzt Twitter als | |
| Werkzeug für die Durchführung von Polizeimaßnahmen – das ist die kritische | |
| Grenze“, sagt er. „Selbst Tweets wie ‚Die Versammlung ist nicht genehmigt… | |
| oder ‚Die Versammlung ist beendet‘ sind durchaus manipulativ. Da wird auf | |
| das Versammlungsrecht Einfluss genommen und für mich hat das nichts mehr | |
| mit Öffentlichkeitsarbeit zu tun.“ Er plädiert für mehr Skepsis: „Wir | |
| müssen da hellhörig werden. Getwitterte Fotos verstärken die Tendenz der | |
| Manipulation, Bilder von Handschellen ja noch mehr. Aber auch | |
| Überblickaufnahmen von Demonstrationen, wo nur ein Teil der Demonstranten | |
| gezeigt werden – andere nicht.“ | |
| Es ist eine Gratwanderung. Die Polizei versucht gerade, die Wandlung vom | |
| biederen Ordnungshüter zum sympathischen Freund und Helfer. Klappt das über | |
| die Nutzung der Web-Kommunikationskanäle? Den Polizistinnen am | |
| Konferenztisch traut man es zu, weil sie durch ihre Tweets Gutmütigkeit | |
| suggerieren. | |
| Da sich Aktionen wie [8][#pickpocket] jedoch noch in der Auswertungsphase | |
| befinden, können die Beamtinnen über die Effektivität ihrer Maßnahmen aber | |
| nicht viel sagen. Allerdings folgen ihnen auf dem Twitter-Dauerkanal schon | |
| rund 56.000 Nutzer. Auf dem Einsatzkanal sind es sogar 73.000. Doch wo ist | |
| die Grenze für Tamborinis Team? Für Follower @Valentin_Marcus ist die klar | |
| gezogen: [9][“Solange Bushido aus euren Tweets keinen Song komponiert, ist | |
| alles in Butter.“] | |
| 21 Oct 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://twitter.com/search?q=%23Xberg&src=typd | |
| [2] https://twitter.com/polizeiberlin | |
| [3] https://twitter.com/polizeiberlin_e | |
| [4] https://twitter.com/search?q=%23pickpocket%20from%3APolizeiBerlin_E%2C%20OR… | |
| [5] https://twitter.com/BeckCath/status/646998727035625472 | |
| [6] https://twitter.com/Bruno_Kausche/status/647000566195990528 | |
| [7] https://twitter.com/OssiMarzahn/status/645996491849494532 | |
| [8] https://twitter.com/search?q=%23pickpocket%20from%3APolizeiBerlin_E%2C%20OR… | |
| [9] https://twitter.com/Valentin_Marcus/status/646286263214063616 | |
| ## AUTOREN | |
| Tatjana Kennedy | |
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