# taz.de -- Athletenförderung und Sportlotterie: Kein Glück im Spiel | |
> Die lausige Athletenförderung soll durch die Deutsche Sportlotterie | |
> erhöht werden. Eine erste Bilanz offenbart aber grobe Fehleinschätzungen. | |
Bild: Robert Harting blickt unbesorgt auf die Zukunft seiner Deutschen Sportlot… | |
Er glaubt immer noch an das ganz große Geld. Heinz Georg Sundermann denkt | |
sowieso gern groß. „Wir haben 46 Jahre später die große Chance, was Neues | |
aufzuziehen“, sagt der Geschäftsführer von Lotto Hessen in Erinnerung an | |
eine für ihn epochale Erfindung. | |
Vor den Olympischen Spielen 1972 in München war der Bedarf an zusätzlichen | |
Finanzmitteln immens groß. So kam der organisierte Sport gemeinsam mit dem | |
deutschen Lotto- und Totoblock und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen auf | |
die Idee, mit der Glücksspirale eine Nummernlotterie einzuführen. Bis heute | |
gehen bis zu 500 Millionen Euro, ein Teilerlös der Gewinne, an den Sport in | |
Deutschland. | |
Weil aber davon bei den Spitzensportlern zu wenig hängen bleibt und die | |
deutschen Medaillengewinne bei Olympischen Spielen zuletzt immer kläglicher | |
ausfielen, wurde dieses Jahr im Februar mit der [1][Deutschen | |
Sportlotterie] ein neues Glücksspielmodell aufgelegt, das ausschließlich | |
dem Spitzensport dienen soll. Dieses Mal wurde das Ganze allerdings durch | |
eine Privatinitiative angestoßen. Der Diskuswerfer und Olympiasieger Robert | |
Harting entwickelte im Verbund mit zwei Geschäftsleuten die Idee. | |
Und Sundermann, der Lottomann aus Hessen, ist bislang ein einsamer Fan | |
dieses visionären Projekts. Denn nur an den etwa 2.000 Annahmestellen | |
seines Bundeslandes wird das neue Glücksspiel angeboten. Die anderen 15 | |
Lottogesellschaften der Bundesländer aus dem Lotto- und Totoblock konnten | |
bislang nicht vom Konzept der Deutschen Sportlotterie überzeugt werden. Ein | |
Grund, weshalb das Projekt in arge finanzielle Schieflage geraten ist, wie | |
die WDR-Sendung [2][“sport inside“ kürzlich dokumentierte]. | |
## Wilde Zahlenjonglage | |
Mehr als 25 Millionen Euro Gesamtumsatz waren für das Jahr 2015 angepeilt. | |
Bislang hat man seit Februar nur 500.000 Euro umgesetzt. Zudem weist die | |
Geschäftsbilanz einen Fehlbetrag von gut 3,8 Millionen Euro auf. Geld, das | |
die Gesellschafter per Darlehen vorgestreckt haben. Im Sommer wurde fast | |
allen Mitarbeitern der Deutschen Sportlotterie gekündigt, die | |
Geschäftsstelle in Krefeld abgewickelt und das operative Geschäft Lotto | |
Hessen übertragen. Aber Sundermann sagt unverdrossen: „Ich glaube an die | |
Idee.“ | |
Im Handumdrehen vermag er das derzeit desaströse Zwischenergebnis wieder in | |
die Sphären einstiger Wunschzahlen zurückzurechnen. Jüngste positive | |
Entwicklungen, sagt er, machen es möglich. Mit einfachen Werbemaßnahmen | |
(drei Wochen zahlen, vier Wochen spielen) habe man den Umsatz zuletzt auf | |
wöchentlich 40.000 Euro steigern können. Auf ein ganzes Jahr besehen, | |
multipliziert mit der Anzahl von bundesweit allen Lottogesellschaften, | |
könnte man so theoretisch in ganz Deutschland 25 Millionen Euro erzielen. | |
Wenn man also die störenden Variablen in der Rechnung außer Acht lässt, ist | |
die Deutsche Sporthilfe voll im Plan und könnte wie beabsichtigt für einen | |
ausgewählten Athletenkreis den bisherigen monatlichen Sporthilfefördersatz | |
von 300 Euro auf 1.000 Euro in die Höhe schrauben. | |
Silvio Schirrmeister, Deutscher Meister über 400 Meter Hürden von 2013, | |
sagt: „Hätte ich dieses Geld bekommen, hätte ich definitiv nicht | |
aufgehört.“ Anfang September erst verkündete der 26-Jährige überraschend | |
seinen Rücktritt vom Leistungssport und formulierte harsche Kritik am | |
deutschen Sportfördersystem. Die duale Karriere, die Doppelbelastung von | |
Leistungssport und Berufsleben, bezeichnete er als die „schrecklichste | |
Kreatur, die der Deutsche Sport geschaffen hat“. | |
## Kostenlose Medaillen | |
Wenn man sowohl im Beruf oder im Studium als auch im Leistungssport 100 | |
Prozent Leistung erbringen soll, könne man mit der internationalen | |
Konkurrenz nicht mithalten, erklärt Schirrmeister. Das sei höchstens | |
Sportlern, die Förderplätze bei der Bundeswehr oder bei der Bundespolizei | |
haben, möglich. Schirrmeister hat viele Ideen, wie das System verbessert | |
werden könnte, aber erst einmal, sagt er, müsse der Innen- und | |
Sportminister Thomas de Maizière eine grundsätzliche Frage beantworten: | |
„Was ist uns denn der Leistungssport wert?“ | |
Die Erwartungen an die deutschen Athleten hat der Innenminister bereits | |
recht genau taxiert. Mindestens 30 Prozent mehr Medaillen als bei den | |
Sommerspielen 2012 in London sollen künftig das deutsches Prestige in der | |
Welt aufwerten. Markus Deibler, 25, der vergangenen Winter neun Tage nach | |
seinem Weltrekord (100 Meter Lagen) bei den | |
Schwimm-Kurzbahnweltmeisterschaften in Doha zurücktrat und nun eine | |
Eisdiele in Hamburg betreibt, sagt: „Die Deutschen wollen immer Medaillen | |
haben, die aber bitte schön nichts kosten sollen.“ | |
Im Vergleich zu anderen Ländern seien die Anreize für eine Sportlerkarriere | |
viel zu gering. „In China steigt man mit herausragenden sportlichen | |
Leistungen sozial auf. In Deutschland ist die Entscheidung für den | |
Leistungssport eher mit einem sozialem Abstieg verbunden.“ | |
De Maizière könnte eigentlich dagegenhalten: Dadurch sind auch die Anreize, | |
Leistung durch Doping zu manipulieren, nicht so hoch. Mit seinen | |
exorbitanten Erfolgserwartungen beraubt er sich allerdings dieses | |
Arguments. Deibler wird wie Schirrmeister grundsätzlich. Er sagt: „Wir | |
müssen überlegen: Wollen wir überhaupt Leistungssport?“ | |
## Kannibalisierung der Glücksspirale | |
Gerald Wagener, der Gründungsunternehmer der Deutschen Sportlotterie, | |
klagt: „Wir treten als Start-up gegen Staatsmonopolisten an. Leider fehlt | |
der gemeinsame Spirit für die gute Sache.“ Bei den Landeslotterien sieht | |
man sich dagegen durch die schlechten Zahlen bei der Deutschen | |
Sportlotterie in der Skepsis bestätigt. Dass das Format des Glücksspiels, | |
eine schwer verständlich zu treffende Auswahl von Farben, Sportarten und | |
Medaillenkombinationen, viel zu kompliziert konzipiert wurde, räumen selbst | |
die Verantwortlichen ein. | |
Aber im Unterschied zu diesen glauben die Kritiker nicht an die | |
Reformierbarkeit des Produkts. Unter vorgehaltener Hand sprechen sie von | |
einem „totgerittenen Gaul“. Michael Burkert, der Geschäftsführer von | |
Saartoto und momentan Vorsitzender des Deutschen Lotto- und Totoblocks, | |
sagt: „Der Plan, über das Internet eine neue Zielgruppe für die Lotterie zu | |
begeistern, ist offenbar gescheitert. Da man sich nun aber doch auf die | |
klassischen Vertriebswege besinnt, besteht die Gefahr der Kannibalisierung | |
mit der Glücksspirale“. Beide Lotterien, die dem Sport zugutekommen sollen, | |
nehmen sich die Kunden weg. | |
Sundermann entgegnet, die jeweiligen Gruppen seien nicht deckungsgleich. | |
Die Glücksspirale sei als Rentnerlotterie bekannt. Bei der Deutschen | |
Sportlotterie liege das Durchschnittsalter der Teilnehmer bei Mitte | |
dreißig. | |
Es scheint so, als ob die Unternehmer der Deutschen Sportlotterie die | |
Komplexität ihres neuen Geschäftsfelds maßlos unterschätzt haben. Die | |
Lotto-Toto-Gesellschaft von Rheinland-Pfalz führt gar rechtliche Argumente | |
an, weshalb sie der Deutschen Sportlotterie nicht unter die Arme greifen | |
können. | |
## Angela Merkel soll helfen | |
„Da die Deutsche Sportlotterie nicht von unserem Unternehmen oder vom Land | |
Rheinland-Pfalz veranstaltet wird, müssten wir die Rechtsposition eines | |
gewerblichen Spielvermittlers einnehmen, um die Lose der Deutschen | |
Sportlotterie zu vertreiben.“ Der Geschäftsführer Jürgen Häfner erklärt … | |
taz: „Der Paragraf 8, Absatz 2 des rheinland-pfälzischen | |
Landesglücksspielgesetzes verbietet die gewerbliche Spielvermittlung von | |
Lotterien und Sportwetten über örtliche Verkaufsstellen. Folglich können | |
wir die Lotterie aus rechtlichen Gründen nicht vertreiben.“ | |
Sundermann setzt seine Hoffnungen auf die Lottogesellschaften im Nordosten | |
des Landes. Einige, so behauptet er, würden mit dem Gedanken spielen, | |
Hessen zu folgen. Zudem sei man mit dem DOSB in guten Gesprächen. Das | |
wiederum behaupten auch Vertreter der Lotto- und Toto-Gesellschaften, die | |
ein völlig neues Produkt auflegen wollen angesichts der Olympiabewerbung in | |
Hamburg. | |
Eine zusätzliche Prämienziehung bei der Glücksspirale, deren Gewinne auch | |
an den Sport gehen sollen, ist bereits beschlossene Sache. Sie soll in der | |
ersten Hälfte des kommenden Jahres eingeführt werden. | |
Für Sundermann sind die zu erwartenden Gewinne nur Peanuts. Mit Robert | |
Harting und Co. will er die Deutsche Sportlotterie retten. Mittlerweile | |
soll sie zur Kanzlerinnensache gemacht werden. Der prominente | |
Sportlotterie-Botschafter und ehemalige Kapitän der | |
Fußballnationalmannschaft Philipp Lahm, heißt es, habe Angela Merkel um ein | |
Gespräch gebeten. Es soll am ganz großen Rad gedreht werden, weil die | |
kleinen nicht ins Rollen kommen. | |
18 Oct 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.deutsche-sportlotterie.de/pfe/controller/InfoController/showHome… | |
[2] http://www.wdr.de/fernsehen/information/sport_inside/sendungen/sportlotteri… | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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