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# taz.de -- Übersetzer im Exil: Flucht vor den Taliban
> Weil sie in Afghanistan für die Bundeswehr übersetzt haben, mussten sie
> vor den Taliban fliehen. Es bleibt die Angst um jene, die sie
> zurückgelassen haben.
Bild: Weil sie in Afghanistan für die Bundeswehr übersetzt haben, mussten sie…
Hamburg taz | Es ist der 29. September, dreiviertel sechs. Im Haus von
Asadullah Rezwans Eltern klingelt das Telefon. Der Vater greift zum Hörer,
nur zögerlich, man muss vorsichtig sein in diesen Tagen. Aber es könnte ja
Asadullah sein, der da anruft: Jeden Tag meldet sich der 23-Jährige, der
seit acht Monaten in Deutschland lebt, bei seiner Familie in Kundus. Aber
an diesem Abend ist nicht Asadullah am Telefon. Eine fremde Stimme erklingt
am anderen Ende der Leitung: „Wo ist dein Sohn?“, fragt sie. Immer wieder.
„Du wirst sterben“, sagt sie dann und weiter: „Du, deine ganze Familie. W…
werden euch finden, wir werden euch töten.“
Zwei Tage später, rund 6.000 Kilometer entfernt. Asadullah Rezwan steht vor
dem Hamburger Rathaus, in seinen Händen hält er einen weißen Papierzettel.
„Wir möchten unsere Familien in Sicherheit haben“, steht darauf. Der junge
Mann spricht mit leiser Stimme, als er von dem Drohanruf bei seinen Eltern
erzählt. Nur seine Augen verraten die Angst: Immer wieder driftet sein
Blick ins Leere.
„Meine Eltern haben Türen und Fenster verbarrikadiert, sie verlassen ihr
Haus nicht mehr, haben keinen Kontakt zur Außenwelt. Sie sind umzingelt von
den Taliban“, sagt Asadullah. Am Mittwochabend habe er ein letztes Mal mit
seinem Vater telefoniert. Inzwischen ist jede Verbindung nach Kundus
abgebrochen, die Stromversorgung funktioniert nicht mehr, seit die Gefechte
zwischen Regierungstruppen und Taliban wieder stärker geworden sind. „Ich
weiß nicht, ob meine Eltern leben oder bereits tot sind“, sagt Asadullah,
die Hände zu Fäusten geballt. „Und ich kann nichts tun, ich komme nicht zur
Ruhe.“
## Sorge und Ohnmacht
Die Sorge um die Angehörigen, das Gefühl der Hilflosigkeit verbindet den
jungen Afghanen mit einem Dutzend Landsleute, die sich an diesem Nachmittag
auf dem Hamburger Rathausmarkt versammelt haben. Sie kommen aus der Provinz
Kundus, aus der Stadt Masar-i-Scharif oder der Nachbarprovinz Tachar. Sie
alle haben in Afghanistan als Dolmetscher für die Bundeswehr gearbeitet,
waren an der Seite deutscher Offiziere, haben zwischen ihnen und der
afghanischen Nationalarmee oder der Landbevölkerung übersetzt.
Eine Arbeit, verbunden mit hohem Risiko: Wer für die ausländischen Truppen
arbeitet, gilt in den Augen radikaler Islamisten als Kollaborateur. Immer
wieder bekamen Übersetzer Todesdrohungen, vor allem nachdem sich die
Sicherheitslage im Land mit dem Abzug der Nato-Kampftruppen verschärfte.
Am Ende mussten die Männer Afghanistan verlassen. Familienmitglieder,
Freunde blieben zurück. Und ist die Lage für Zivilisten in der umkämpften
Taliban-Hochburg Kundus derzeit ohnehin dramatisch, gelten die Angehörigen
der ehemaligen Übersetzer nochmal als besonders gefährdet: Gerade ihnen
haben die Taliban Vergeltung angedroht.
## „Wichtige Arbeit für die Deutschen“
Organisiert hat den stillen Protest vor dem Rathaus der 28-jährige Aliullah
Nazary. Er wirkt ernst und konzentriert, jedes Wort scheint mit Bedacht
gewählt. Vier Jahre hat er für die Bundeswehr gearbeitet, im Februar 2014
ist er nach Hamburg gekommen, bereits 2013 hatte er seinen Ausreiseantrag
gestellt, bei den Truppen in Kundus. Heute lebt er in einer kleinen Wohnung
in Hamburg-Eidelstedt. Die hat er sich selbst organisiert, genau so wie die
Teilnahme an einem Sprachkurs. Mit Unterstützung der Bundeswehr konnte er
nach Deutschland reisen, Asyl beantragen, Hilfe bei den vielen
Behördengängen hätte er sich dennoch gewünscht, sagt Aliullah.
Seit Monaten schon wendet er sich immer wieder an die Presse, richtet
dramatische Appelle an die Bundesregierung. „Wir haben wichtige Arbeit für
die Deutschen geleistet, sie waren auf uns angewiesen“, sagt er. „Dass
unsere Familien wegen unserer Arbeit vielleicht sterben müssen, ist einfach
furchtbar.“ Er bange vor allem um seinen Onkel, der noch in Kundus lebt.
Seine Eltern, den jüngeren Bruder und die jüngere Schwester konnte Aliullah
vor sechs Wochen nach Deutschland holen, heute lebt die Familie auf dem
Wohnschiff „Transit“ im Hafen von Hamburg-Harburg. „Ich bin sehr, sehr
dankbar“, sagt der 28-Jährige. „Dass wir zusammen an einem Ort sind, ist
ein großes Glück.“
Fast 1.700 ehemalige afghanische Hilfskräfte suchen derzeit Schutz in
Deutschland. Laut dem Bundesinnenministerium wird nur jedem zweiten Antrag
zugestimmt. Mehr als 600 frühere Mitarbeiter konnten bisher nach
Deutschland einreisen und hier Asyl beantragen. Andere warten vergebens auf
eine Ausreiseerlaubnis. Die sogenannten Gefährdungsanzeigen werden in
langwierigen Verfahren überprüft, die Bearbeitung von Visaanträgen kann
sich über Monate hinziehen. „Wir sind da einfach zu langsam“, hatte
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im April vor dem
Bundestag zugegeben. „Wir haben diesen Männern und Frauen in Afghanistan
vertraut, wie sollten ihnen jetzt auch weiterhin vertrauen.“
Ende 2013 wurde ein einheitliches Verfahren eingeführt, wonach die
afghanischen Helfer in drei Gefährdungsstufen – „konkret“, „latent“ …
„abstrakt“ gefährdet – eingeteilt werden. Wer in die ersten beiden
Kategorien fällt, soll eine Aufnahmezusage und schließlich ein Visum für
Deutschland erhalten können. Bei der Beschleunigung der Verfahren aber
hapert es offenbar noch immer.
## Das Problem ist der Nachweis der Bedrohung
Ebrahimi Zaman etwa sorgt sich um seinen jüngeren Bruder: Der hatte von
2007 bis 2012, so wie er selbst, für die Bundeswehr als Übersetzer
gearbeitet. Während Ebrahimis Asylantrag im vergangenen Jahr nach wenigen
Monaten stattgegeben wurde, wartet sein Bruder seit über einem Jahr
vergebens auf eine Ausreiseerlaubnis. Er wisse nicht, woran diese
Verzögerung liege, sagt Ebrahimi nun, sein Bruder bekomme von den Behörden
vor Ort keine Informationen.
Irgendwann hat Ebrahimi sich an die Bundeswehr in Deutschland gewandt,
E-Mails geschrieben, angerufen. Doch bis heute habe er keine Antwort
bekommen, sagt der 23-Jährige. Seine Mutter und zwei weitere Geschwister
leben noch in Kundus, aber schon seit drei Tagen hat Ebrahimi nichts von
seiner Familie gehört: „Ich kann nichts mehr essen, nicht schlafen, ich
habe nur noch Angst.“
Ein Problem: Damit Familie, Freunde oder Kollegen ausreisen können, muss
eine akute Bedrohung nachgewiesen werden können. Doch nicht immer kündigen
die Taliban einen Angriff vorher mit ausdrücklichen Drohungen an. Der Tag,
der für Asadullah Rezwan alles veränderte, kam sehr plötzlich, ohne jede
Vorwarnung: Auf offener Straße wurde er Anfang des Jahres in Kundus von
einer Gruppe vermummter Männer überfallen, mitten am Tag. Sie kamen aus
einem Hinterhalt, stachen mit Messern auf ihn ein. Nur weil
Sicherheitskräfte dazwischengingen, überlebte er. Die Narbe an seiner
rechten Hand erinnert Asahdulla noch heute an den Tag, der ihm schließlich
die Ausreise aus Afghanistan ermöglichte.
Fragt man nach ihrer Motivation, für die Bundeswehr zu arbeiten, lautet die
Antwort der ehemaligen Dolmetscher ähnlich. „Ich liebe mein Land“, sagt
Asadullah, „und wollte beim Wiederaufbau helfen.“ Er habe großes Vertrauen
in das deutsche Militär gehabt, gehofft, dass die Truppen Frieden und
Sicherheit bringen. Diese Hoffnung habe er verloren: „In Kundus ist die
Hölle losgebrochen. Es gibt keine Sicherheit mehr, nur noch Chaos.“
Ende Dezember vergangenen Jahres ging der Kampfeinsatz der Bundeswehr zu
Ende. Nach gut 13 Jahren aber zu früh, wenn es nach Aliullah Nazary geht:
„Für Afghanistan war diese Entscheidung nicht gut“, sagt er, wieder um die
richtigen Worte bemüht. „Die afghanische Regierung ist schwach, sie hat
viele Fehler gemacht. Wäre die Bundeswehr noch in Kundus, hätten die
Taliban die Stadt nicht wieder einnehmen können. Viele Zivilisten fühlen
sich allein gelassen.“
## Das Heimweh bleibt trotz allem
Für Aliullah ist klar: Seine Zukunft liegt in Hamburg, hier will er sich
ein neues Leben aufbauen. „Ich will mein Deutsch verbessern, studieren,
unabhängig in Frieden leben“, sagt er. „Ich vermisse mein Land, aber unter
diesen Umständen kann und will ich dort nicht leben.“ Asadulla Rezwan kann
ein Gefühl trotz allem nicht unterdrücken: Heimweh. „Wenn ich könnte, wür…
ich zurückgehen“, sagt er. „Afghanistan braucht doch junge Leute wie mich.
Sonst ist das Land verloren.“
5 Oct 2015
## AUTOREN
Annika Lasarzik
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