# taz.de -- Fluchterlebnisse eines Jugendlichen: Was habe ich falsch gemacht? | |
> Jawad war vier Jahre alt, als er mit seinen Eltern aus Afghanistan | |
> flüchtete. Nun ist er in Hamburg und hat seine Geschichte aufgeschrieben. | |
Bild: „Ich bin immer ans Meer gegangen und schaute aufs Wasser“, sagt Jawad… | |
Hallo, ich bin Jawad. Ich komme aus Afghanistan und ich möchte die | |
Geschichte erzählen, wie ich nach Hamburg gekommen bin. Es ist eine lange | |
Geschichte. Dass ich von meinem Land weggegangen bin, war nicht meine | |
Entscheidung. Und es war auch nicht meine Entscheidung, dass ich in diesem | |
Land geboren wurde. | |
Als ich vier Jahre alt war, musste ich mit meinen Eltern mein Dorf | |
verlassen – wegen des Kriegs in Afghanistan. Wir sind in den Iran geflohen. | |
Im Iran war die Situation für Flüchtlinge nicht gut. Wir durften nicht zur | |
Schule gehen, nicht arbeiten und nichts in unserem Namen kaufen. Sie | |
machten Druck, damit wir so schnell wie möglich wieder zurückgehen. Wenn | |
sie uns auf der Straße gesehen haben, wurden wir kontrolliert. | |
Im Iran hat mein Vater schwarzgearbeitet. Als ich zehn Jahre alt war, habe | |
auch ich angefangen zu arbeiten. Ich half auf Tomatenfeldern. Mein Vater | |
wollte unbedingt, dass ich zur Schule gehe, aber es hat nie geklappt. Die | |
Behörden haben das immer abgelehnt. Später habe ich als Tierarzthelfer | |
gearbeitet. Dann als Tischler. Ich war Analphabet, aber mein Vater brachte | |
mir ein bisschen Lesen und Schreiben bei. | |
Einmal sind wir nach Afghanistan zurückgekehrt. Wir waren total müde und | |
wollten einfach weg aus dem Iran. In Afghanistan angekommen, waren wir | |
schockiert. Es war immer noch Krieg. Blut, Probleme. Nach zweieinhalb | |
Monaten verließen wir Afghanistan wieder. Wir sind zurück in den Iran | |
geflohen. Aber die Situation dort war immer noch schrecklich. Und es wurde | |
noch schrecklicher. Sie kontrollierten überall, manchmal auch aus Spaß. | |
## Angst vor Polizisten und Rassisten | |
Ich entschied mich, das Land zu verlassen. Ich habe mich mehrere Monate | |
lang erkundigt und ich fand jemanden, der mir und meinen Freunden half. Wir | |
sind dann in die Türkei gekommen. Auch da war es schrecklich. Von der | |
Türkei sind wir zu fünft mit dem Schlauchboot nach Mytilini gekommen. Dann | |
bin ich weitergegangen nach Athen. Ich wollte in Griechenland bleiben und | |
die Sprache lernen. Ich bin nach Kreta in ein Heim für minderjährige und | |
unbegleitete Flüchtlinge gegangen. | |
Es war komisch, ich dachte, die Sprache wäre Englisch. Ich hatte ein paar | |
Wörter Englisch gelernt. Als ich ankam, war ich ganz überrascht, wie die | |
Griechen redeten. Nach zwei Jahren konnte ich gut Griechisch reden und half | |
dem Dolmetscher im Heim. Dann bin ich nach Athen gegangen, um zu arbeiten, | |
aber die Behörden halfen mir nicht dabei. Ich wollte auch meine Familie | |
besuchen, aber ich durfte nicht reisen. Deswegen entschied ich mich, | |
Griechenland zu verlassen. | |
Ich bin nach Patras gegangen. Wie man sich die ganze Zeit versteckt vor der | |
Polizei, vor Rassisten, möchte ich gar nicht beschreiben. Man war ganz | |
alleine und gar nichts wert. Was mich motiviert hat, war meine Hoffnung. | |
Die hat mich angetrieben. Von Korinth aus bin ich dann nach Italien gelangt | |
– in einem Lkw, auf einem Schiff, zwei Tage und Nächte. Von Venedig bin ich | |
dann nach Österreich gekommen. Dort hat die Polizei uns kontrolliert und | |
verhaftet. Sie sagten, wir müssten zurück nach Griechenland. | |
Ich wollte nicht und sagte das. Sie brachten uns in ein Abschiebelager und | |
ich ging in einen zehntägigen Hungerstreik. Ich habe nur wenig Wasser in | |
der Nacht getrunken. 15 bis 16 Kilo habe ich in diesen Tagen verloren. Die | |
Ärzte haben entschieden, mich freizulassen. Es war ein Trick. Sie haben | |
gesagt, hier ihr seid frei, ihr könnt Asyl beantragen. Als wir in die | |
Behörde gegangen sind, brachten sie uns Essen. Danach kamen zwei Polizisten | |
mit Handschellen und sagten, ihr müsst wieder ins Gefängnis, zum | |
Abschieben. | |
## Fast wie eine Familie | |
Drei Monate waren wir im Gefängnis in Wien. Es kam der Tag, an dem sie mich | |
zum Flughafen bringen wollten. Ich habe mich geweigert. Sie sind gekommen | |
und haben geschrien und mich geschlagen, aber ich konnte nicht raus. Dann | |
kamen so zehn bis zwölf Polizisten und schlugen mich zusammen. Sie setzten | |
mich in ein Auto und brachen mich zum Flughafen. Einige Stunden später war | |
ich wieder in Athen. | |
Ich hatte keine Lust mehr zu leben. Zum Glück traf ich einen Freund auf der | |
Straße, er nahm mich nach Hause. Manchmal verließ ich das Haus zum | |
Spazieren. Manchmal ging ich so weit, dass ich nicht mehr wusste, wo ich | |
war. Ich bin immer ans Meer gegangen und schaute aufs Wasser. Ich schaute | |
auch auf die Menschen neben mir und wollte immer wissen, was der | |
Unterschied war zwischen mir und denen. Was habe ich falsch gemacht? Warum | |
ist das Leben so hart für manche Menschen? | |
Nach drei Monaten habe ich einen Platz in einem Haus für Flüchtlinge | |
bekommen. Dann habe ich versucht, mein Griechisch zu verbessern, und ich | |
spielte wieder Fußball mit Freunden. | |
Ich habe das Angebot bekommen, in Mytilini als Dolmetscher zu arbeiten. Da | |
habe ich zwei Jahre lang gearbeitet. Es war eine gute Zeit. Aber ich konnte | |
nicht in Griechenland bleiben, weil ich immer noch nicht reisen durfte und | |
meine Familie im Iran nicht besuchen konnte. | |
Ich habe mich entschieden, nach Deutschland zu gehen. Ich bin illegal nach | |
Deutschland geflogen. Ich dachte, ich würde vielleicht wieder nach Mytilini | |
zurückgehen, aber dann bin ich doch in Deutschland geblieben. Ich bin zur | |
Schule gegangen, und jetzt mache ich eine Ausbildung. Ich habe tolle | |
Menschen dort getroffen, die mir helfen. Es ist fast wie eine Familie. Sie | |
unterstützen mich immer, überall. Und ich fühle mich richtig gut in | |
Hamburg. | |
22 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Jawad | |
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