| # taz.de -- Ilija Trojanows neuer Roman: Folterer und Opfer | |
| > Ilija Trojanow erzählt in „Macht und Widerstand“ die Geschichte von | |
| > Bulgariens Gewaltherrschaft – gründlich recherchiert. | |
| Bild: Der Eingang des Hauses der kommunistischen Partei Bulgariens in Busludsch… | |
| Zu den vielen erschreckenden Einsichten, die dieser Roman bereithält, | |
| gehört die, dass Folterer gleichzeitig sture Handwerker und aufmerksame | |
| Leser sein müssen. „Nicht kreativ werden“, das ist eine der Vorgaben, die | |
| Metodi, der sich selbst als „Michelangelo des Verhörs“ bezeichnet und eine | |
| der beiden Hauptfiguren in Ilija Trojanows Roman „Macht und Widerstand“ | |
| ist, an einer Stelle rekapituliert. | |
| Stattdessen gilt es für ihn immer, sich an die drei Stufen des Verhörs zu | |
| halten. Erste Stufe: Isolation und Reduktion. Zweite Phase: Druck aufbauen, | |
| Belastung kontinuierlich erhöhen. Wenn das nicht ausreicht, dritte Phase: | |
| erst einmal erholen lassen, Hoffnung gewähren, dann Schock auslösen. Um | |
| Effizienz geht es halt bei Folterungen. | |
| Und an einer anderen Stelle formuliert Metodi eine weitere Vorgabe für | |
| Verhörspezialisten: „Wir sind Detaillisten […] Ihr müsst das Gesicht so | |
| aufmerksam lesen wie ein dickes Buch, bei dem ihr nicht wisst, auf welcher | |
| Seite die entscheidende Information vorkommt.“ | |
| Das Bulgarien, das Trojanow beschreibt, war zwischen dem Zweiten Weltkrieg | |
| und der sogenannten Wende 1989 eine Spitzelgesellschaft. Die Zahl der | |
| Denunzianten wird auf drei Millionen geschätzt. Das lässt Trojanow, der | |
| viele Fakten in seinen Roman eingebaut hat, einen Generalstaatsanwalt | |
| sagen, um kurz darauf Konstantin, seine zweite Hauptfigur, der als | |
| Anarchist dem kommunistischen Regime Widerstand leistete und gefoltert | |
| wurde, resümieren zu lassen: „Wenn so viele Verrat begehen, dann ist Verrat | |
| normal, was soll man dagegen unternehmen?“ | |
| ## Eine glänzende Karriere | |
| Folterer und Gefolterte – wer dieses dicke Buch aufmerksam liest, stößt | |
| auch noch auf viel mehr Geschichten. Da ist die junge Frau, Tochter einer | |
| Inhaftierten, die herausbekommen möchte, ob der Folterer ihr Vater ist. Da | |
| sind die vielen Repräsentanten des alten Regimes, die nach 1989 als | |
| „Biznismänner“ eine glänzende Karriere im Kapitalismus machten. Da sind d… | |
| Hintergründe eines Anschlags auf ein Stalin-Denkmal 1953, die | |
| furchterregenden Haftbedingungen, die Geschichte des Archivs für | |
| Staatssicherheit, das sich in Bulgarien – während in Deutschland das | |
| Stasi-Archiv sorgfältig ausgewertet wird – als Aktengrab erweist, und viele | |
| andere Geschichten mehr. | |
| „Macht und Widerstand“ ist ein Geschichts-Buch im doppelten Sinne. Es | |
| enthält die Rückseite der kommunistischen Herrschaft in Bulgarien seit dem | |
| Zweiten Weltkrieg. Und es sammelt viele der teils wahnwitzigen, teils | |
| hanebüchenen Geschichten ein, die dieses Regime im Alltag der Menschen | |
| hinterlassen hat. Dabei achtet Ilija Trojanow sehr auf Ambivalenzen. | |
| Macht und Widerstand sind im gelebten Leben bei ihm nicht so klar zu | |
| trennen, wie es der Titel suggeriert. Verstrickungen sind die Regel, und | |
| auch die positiv besetzten Figuren laufen in diesem Roman immer Gefahr, | |
| sich bei ihrem Kampf um die eigene Erinnerung zu täuschen, weil sie sich | |
| selbst zu gut dastehen lassen. | |
| ## 20 Jahre Arbeit | |
| Diese Fülle an Geschichten verdankt sich intensiver Recherche. Im Alter von | |
| sechs Jahren ist der 1965 geborene Ilija Trojanow mit seiner Familie nach | |
| Westeuropa und schließlich nach Deutschland geflohen (und später, als sein | |
| Vater dort Arbeit bekam, nach Nairobi weitergezogen). Den Kontakt mit | |
| seinem Geburtsland hat er aufrechterhalten. In einem Radiointerview | |
| erwähnte er kürzlich, dass er seit 20 Jahren immer wieder für den aktuellen | |
| Roman recherchiert und inzwischen mit Dutzenden Zeitzeugen Interviews | |
| geführt habe. | |
| Die Frage ist natürlich, wie man solche Stofffülle literarisch organisiert. | |
| Trojanow hat sich für ein radikales Vorgehen mit weitreichenden | |
| Konsequenzen für die Anmutung des Romans entschieden. Immer wieder druckt | |
| er Akten der Staatssicherheit eins zu eins ab. Außerdem strukturieren kurze | |
| Erzählungen über einzelne Jahre in vielen verschiedenen Genres den Text. | |
| Vor allem aber erzählt er seinen Roman als Duell zweier innerer Monologe. | |
| Abwechselnd lässt er den Folterer Metodi und den ehemaligen Häftling | |
| Konstantin die Geschehnisse aus ihrer jeweiligen Ich-Perspektive | |
| ausführlich Revue passieren. | |
| ## Erzählen statt zeigen | |
| Das hat den Vorteil großer erzählerischer Gelenkigkeit. Um ein Thema | |
| vorkommen zu lassen – die Auswirkungen von Schlaflosigkeit etwa oder die | |
| Motive, warum man sich nach dem Zweiten Weltkrieg von den bulgarischen | |
| Sicherheitsbehörden rekrutieren ließ –, braucht Trojanow nur einen seiner | |
| beiden Ich-Erzähler darüber nachdenken zu lassen. Der Nachteil besteht in | |
| der Gefahr, dass damit ein Thema nur angesprochen, keineswegs aber | |
| literarisch gestaltet ist, und in diese Falle tappt Trojanow oft. Die | |
| Maxime „don’t tell, show“ scheint ihn nicht herauszufordern. Vieles wird … | |
| diesem Roman nur erzählt, nicht gezeigt. | |
| Zumal beide Ich-Erzähler inzwischen ältere Herren sind und aus großem | |
| Abstand zurückblicken, selbst auf die eigenen Folterungen – ob aktiv | |
| ausgeführt bei Metodi, ob passiv erlitten bei Konstantin. Außerdem benutzt | |
| Trojanow die beiden Ich-Perspektiven als Lizenz, ausführlich Phrasen und | |
| Gemeinplätze in die jeweiligen Erinnerungs-Suadas einzubauen. | |
| „Behaglich haben sich die meisten mit dem eigenen Verrat arrangiert. Der | |
| erste Verstoß gegen die eigenen Überzeugungen fällt einem schwer. Danach | |
| läuft es wie geschmiert.“ So etwas mag stimmen. Eindringlicher aber wäre es | |
| gewesen, man bekäme es als Leser aus dem Inneren einer Figur vorgeführt. | |
| Dieser Roman hat schon euphorische Besprechungen bekommen, und in der Tat | |
| ist er ein interessanter Versuch, das Thema der Gewaltherrschaft | |
| literarisch in den Griff zu bekommen. Dass Trojanow sich als Autor sich | |
| hinter zwei alten Männern versteckt, die über ihre Rolle im vergangenen | |
| Jahrhundert nachdenken, hat aber letztlich etwas so Redliches wie am | |
| Reißbrett Entworfenes. | |
| Anstatt den existenziellen Riss deutlich und durchfühlbar zu machen, der in | |
| einer Gesellschaft wie der bulgarischen bis heute herrschen muss, umkreist | |
| Trojanow das Thema, um den Preis, es zugleich in eine historische Ferne zu | |
| rücken. | |
| 22 Sep 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Dirk Knipphals | |
| ## TAGS | |
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| Juli Zeh | |
| Ilija Trojanow | |
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