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# taz.de -- Debatte Recht auf Asyl: Die Barbaren sind da
> In der EU wird das Recht auf Asyl immer weiter eingeschränkt. Und was
> machen wir? Wir sehen dem Abbau dieses Grundrechts zu. Das sagt viel über
> uns aus.
Bild: Keine Gnade: tunesische Flüchtlinge an Italiens Küste.
Und ich sage euch, wenn ein Verlorener zu euch kommt, gewährt ihm Zuflucht,
nehmt ihn auf, verköstigt ihn, lasst ihn teilhaben an der Wärme eures
Herdes und eures Herzens …
Etwa so oder so ähnlich, jeweils unterschiedlich beschworen, im Kern aber
gleich, wird seit Menschengedenken das Prinzip formuliert, das bei Homer
die Barbaren von den Zivilisierten trennt: das Asyl, laut Ovid der
ruhmreichste Akt der Menschlichkeit. Flüchtende müssen in Frieden empfangen
werden, müssen Schutz erhalten, egal ob es sich um Benachteiligte oder
Unterdrückte, um Verbannte oder Geächtete, um geflohene Sklaven oder
ausgerissene Gefangene handelt.
Das Asyl birgt die letzte Hoffnung für all jene, die jede Aussicht auf
Gerechtigkeit verloren haben; das Asyl verkündet: Es gibt ein Leben nach
der Niederlage, nach dem Untergang.
Was sagt es also über unsere Gesellschaft aus, dass in der Europäischen
Union das Recht auf Asyl nur noch eingeschränkt gilt und wir dem Abbau
dieses Grundrechts über die vergangenen Jahre und Jahrzehnte hinweg
lethargisch zusahen?
## Wir stöhnen, während andere die Last tragen
44 Millionen Menschen sind gegenwärtig auf der Flucht. Während ihre Zahl
weltweit zunimmt, nimmt sie in Europa ab. Die Entwicklungsländer
beherbergen vier Fünftel aller Flüchtlinge. Nur zwei Prozent der Menschen,
die im ersten Halbjahr dieses Jahres aus Libyen geflohen sind, haben den
Weg nach Europa eingeschlagen. Mit anderen Worten: Wir stöhnen, während
andere die Last tragen.
Allein im Frühjahr dieses Jahres sind mehr als 1.500 Flüchtlinge im
Mittelmeer ertrunken. Das ist ein Skandalon, dessen schmerzliche Konturen
man in abstrakten Diskursen auflösen kann, ohne dass sich dadurch etwas an
der Verwerflichkeit der Zustände ändern würde.
Wir führen gerne Wörter wie Menschenrechte ("Die Würde des Menschen ist
unantastbar") im Mund, wir haben es uns in Nischen der Humanität gemütlich
gemacht; was unser System und unser Wirken verwerflich macht, blenden wir
aus, rationalisieren es weg. Könnten wir gemeinschaftlich in den Spiegel
schauen, würden wir das Zerrbild einer Gesellschaft erkennen, die sich von
dem Gedanken der Solidarität und Empathie zunehmend verabschiedet.
Liegt es daran, dass wir den Flüchtling nicht am heimischen Herd empfangen
und nicht in unserer Kirche beherbergen, weil wir ihn gar nicht zu Gesicht
bekommen, weil er aufgefangen wird, bevor er uns erreichen kann? Liegt es
also daran, dass Schutzgeber und Flüchtling kaum mehr aufeinandertreffen
und unsere Reflexe und Instinkte nicht wirken können? Wenn zwei Menschen
sich jenseits behördlicher Strukturen begegnen, öffnen sich meist die
Schranken der Voreingenommenheit, der Ignoranz. Man sieht den anderen,
sieht ihn wirklich und erkennt mit einem Blick in der Differenz zwischen
zwei Leben schmerzhafte Unterschiede. Solche Begegnungen entlarven die
brüchige Beschaffenheit des Wortes "Mitmensch".
## Berüchtigte Sperranlagen
Es gibt Ungerechtigkeiten, die von einem einzelnen Foto eingefangen werden
können - links Kinder im Schwimmbecken, rechts Frauen mit Kanistern vor
einer Wasserpumpe -, doch für das Aufeinanderprallen von Flüchtlingen und
Alteingesessenen braucht es viel mehr als ein Bild, weil es nicht
unmittelbar stattfindet. Das Versagen der Asylpolitik und der zivilisierten
moralischen Impulse erkennt man an den Mauern und Zäunen, die weltweit
errichtet werden.
Manche sind berühmt und berüchtigt, wie die Sperranlagen (759 km lang)
zwischen Israel und dem Westjordanland oder der Zaun zwischen den USA und
Mexiko (1.078 km lang), andere weniger, wie etwa die 4.000 Kilometer lange
Barriere zwischen Indien und Bangladesch, und wiederum andere sind erst in
Planung, wie der 206 Kilometer lange Grenzzaun zwischen Griechenland und
der Türkei. Diese Trennungen leisten Ghettoisierungen Vorschub, und das
Ghetto ist bekanntlich die Brutstätte von Ressentiments und Vorurteilen,
und zwar auf beiden Seiten der Mauer.
Zudem geht von jedem Flüchtling eine Irritation aus, denn so machtlos und
entrechtet er ist, so sehr beunruhigt er uns, indem er die Ordnungsmuster
unseres gesellschaftlichen Alltags infrage stellt. "Lieber nicht
einmischen", sind wir geneigt zu denken. Wir wissen zwar einiges, denn die
Medien berichten doch immer wieder punktuell aus den Vorhöfen der Hölle an
unseren Grenzen, und doch wollen wir diese Einblicke in eine unvorstellbare
Verzweiflungslandschaft wie so vieles andere nicht wahrhaben.
## Die Verzweiflungslandschaft
Wir nehmen es hin, weil wir glauben, dass es gegenwärtig anders nicht sein
kann. Die Not der Flüchtlinge ertragen wir mit großer Abgeklärtheit. Das
dürfte nicht sein, aus vielerlei Gründen, von denen vielleicht keiner
schwerwiegender ist als die begründete Sorge, dass wir dadurch selbst
Schaden nehmen könnten. Die Unmenschlichkeit, die wir dulden,
entmenschlicht uns selbst.
Dies früh erkannt zu haben und von Anfang an für ein Menschenrecht auf Asyl
gekämpft zu haben ist das große Verdienst der Organisation Pro Asyl, die
diese Woche ihr 25-jähriges Jubiläum feiert. So verroht sind inzwischen die
behördlichen und paramilitärischen Gepflogenheiten, dass diese NGO für die
Einzelfallprüfung für minimale rechtliche Standards kämpfen muss.
Die Mitarbeiter mussten als Journalisten und Detektive tätig werden, vor
allem in Griechenland, wo die Recherchen von Pro Asyl unzumutbar
menschenverachtende Zustände in den dortigen Auffanglagern detailliert
dokumentiert haben, was wiederum entscheidend das Urteil des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 21. Januar 2011 beeinflusste,
die Abschiebung von Asylbewerbern von Belgien nach Griechenland als
Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu verurteilen.
Es wäre schöner, wir bräuchten eine Organisation wie Pro Asyl nicht, aber
solange Flüchtlinge als vogelfrei gelten und kaum jemand sich um ihren
Schutz kümmert, ist es wunderbar, dass es Pro Asyl gibt.
7 Sep 2011
## AUTOREN
Ilija Trojanow
## TAGS
Literatur
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