# taz.de -- Die Wahrheit: Helmut gegen Helmut | |
> Kampf der Titanen: Die Altkanzler Helmut Schmidt und Helmut Kohl | |
> lieferten sich im Sommer 2015 ein unerbittliches Duell. | |
Für einen Moment scheint die Zeit stillzustehen. Die Vögel im Park hören | |
auf zu singen, sogar das raue Gelächter der mannshohen Krankenschwestern, | |
die bis eben noch im Schwesternzimmer ihre grausamen Späße mit einem | |
unerfahrenen Stationsarzt trieben, verebbt schlagartig, als sich die beiden | |
Rollstühle einander nähern. | |
Von fleckigen Altmännerhänden angetrieben, quietschen die Gefährte | |
aufeinander zu, im Gefolge ihrer greisen Fahrer drängen sich Paladine, | |
Hofdamen und Herolde. Hier sieht man Kai Diekmanns Haupthaar im Neonlicht | |
echsenhaft schimmern, da wippt Giovanni di Lorenzos schön gefönte Tolle. | |
Die beiden treuen Haus- und Hofschreiber schicken sich an, den feindlichen | |
Reihen Invektiven entgegenzuschleudern, doch bringt sie ein Wink ihrer | |
Herren zum Schweigen. Ihre Dienste werden heute nicht gebraucht. | |
Man könnte eine Stecknadel auf den blank gebohnerten Parkettboden der | |
geriatrisch-medizinischen Privatklinik von Bad Wimpfen fallen hören. Doch | |
sind die Sicherheitsvorkehrungen in diesem, der Öffentlichkeit reichlich | |
unbekannten medizinischen Etablissement derart streng, dass selbst eine | |
solche Nadel vom Sicherheitspersonal als Angriffswaffe konfisziert worden | |
wäre. | |
Denn die prominente Klientel der Institution ist ebenso | |
sicherheitsbedürftig wie auf Diskretion bedacht: In dieser Klinik soll sich | |
der greise Diktator Robert Mugabe inkognito alle paar Jahre Frischzellen | |
blutjunger Oppositioneller ins Rückenmark spritzen lassen, um seine | |
politischen Abwehrkräfte zu stärken. Hier hat sich Boris Jelzin womöglich | |
seinerzeit jene legendäre Leber aus Titan einsetzen lassen, die er bei | |
seinem Nachfolger Putin gegen juristische Immunität auf Lebenszeit | |
eintauschte, die ohne Wunderleber dann freilich recht bescheiden ausfiel. | |
Hier soll sogar Madonna regelmäßig in Jungfrauenmilch baden oder Eselstuten | |
schänden, um ihre ewige Jugend zu erhalten. Aber das können auch bloß | |
dunkle Gerüchte sein, mit denen sich krebskranke Kassenpatienten an ihren | |
Lagerfeuern die monatelange Wartezeit auf den Termin beim Onkologen | |
vertreiben. | |
## Stecknadel als Waffe | |
Ganz sicher aber weht nun mit den beiden bedeutenden Patienten, die hier | |
zufällig aufeinandertreffen, der Atem der Geschichte durch den Klinikflur – | |
oder der Ge’chichte, wie der jüngere der beiden Männer zu sagen pflegte, | |
als man ihn noch halbwegs verstehen konnte. | |
Zum Mobilitätstraining in Zimmer 45 bei Schwester Erdmuthe sind nämlich | |
zeitgleich die beiden Tagespatienten Schmidt und Kohl eingetragen. Ein | |
fauler Rezeptionist hatte bloß „Kanzler“ in den Terminblock gekritzelt – | |
und diesen Titel reklamieren nach wie vor beide ausschließlich für sich. | |
Da sitzen sie nun Aug in Aug auf dem Klinikflur, beim ersten leibhaftigen | |
Treffen seit Jahren. Kühl lauernd der eine, mit wilder Wut im Blick der | |
andere. Und wie unter dem Brennglas entlädt sich ein Konflikt, der seit den | |
achtziger Jahren schwelt und nun in einem letzten Duell ausgefochten werden | |
muss: Mann gegen Mann, Rollstuhl gegen Rollstuhl, Altkanzler gegen | |
Uraltkanzler, Konservativer gegen Reaktionär, Raucher gegen Trinker, | |
Schnösel gegen Plumpsack, Schnauze gegen Birne, Schmidt gegen Kohl. | |
## Tyrannosaurier der Bundesrepublik | |
Welcher dieser beiden Tyrannosaurier der alten Bundesrepublik als letzter | |
übrig bleiben wird, lautete die unausgesprochene Frage, die über diesem | |
Sommer 2015 hing, unterbrochen nur von Petitessen wie dem ein oder anderen | |
Flüchtlingsgedöns. Denn das Duell der beiden greisen Giganten ist erst | |
vorbei, wenn es wirklich vorbei ist. Es kann nur einen geben – es gibt ja | |
auch nur einen Termin. | |
Kohl bringt zwar immer noch deutlich mehr Kampfgewicht auf die Waage, doch | |
warf seine bislang als robust gerühmte Konstitution zuletzt Fragen auf. Die | |
Welt wollte gar Kunde von seinem Exitus aufgeschnappt haben und posaunte | |
sie online in der Nacht zum 10. Juli 2015 heraus. Ein Tag des Triumphs für | |
das Schmidt-Lager, das die perfide, 102 Sekunden lang verbreitete | |
Falschmeldung zweifellos lanciert hatte. In den Redaktionsbunkern der Zeit | |
sollen die Korken geknallt haben. | |
Einen Monat später folgte der Gegenschlag der Kohlgetreuen: Man schrieb | |
Schmidt mit einer beherzten Pressemeldung ins Krankenhaus: „Altkanzler | |
wegen Austrocknung in Klinik“ musste der alte SPD-Kämpe am 8. August 2015 | |
bei AFP über sich lesen und rauchte vor Wut. Über den Sommer wurden ihm | |
außerdem „Gefäßverschlüsse“ (AFP, 1. September 2015) und „Blutgerinns… | |
(dpa, 2. September 2015) an den Hals geschrieben – harmlose Malaisen, die | |
Schmidt keines Dementis würdigte. Doch im September dann der Paukenschlag: | |
„Helmut Schmidt raucht nicht mehr“, flüsterten Parteigänger Kohls der dpa | |
am 11. September 2015 ins Ohr. | |
Schmidt, der in wildem Konkubinat mit einer Handvoll Pflegerinnen, Peer | |
Steinbrück und einem Zigarettenautomaten mit D-Mark-Einwurf lebt, stellte | |
wenige Tage später vergrätzt klar: „Helmut Schmidt muss nicht mit dem | |
Rauchen aufhören.“ Und genauso schrieb es dpa am 15. September 2015 | |
kleinlaut. Die Eskalation kam nicht von ungefähr. Zuvor hatte Schmidt | |
sibyllinisch verlauten lassen: „Strauß hatte das Zeug zum Kanzler“ (epd, 2. | |
September 2015) – wohl wissend, dass Kohl solche Bemerkungen noch mehr in | |
Rage bringen als Fragen nach Angela Merkel und Wolfgang Schäuble. Oder | |
Fragen überhaupt. | |
## Kollernde Gerölllawine | |
Eine Neonröhre flackert unbotmäßig, wird aber von einem strengen Blick des | |
Hanseaten zur Räson gebracht. Sein Kontrahent auf der anderen Seite des | |
Flurs bäumt sich zu seiner ganzen, noch immer beeindruckenden Sitzgröße auf | |
und lässt die Kieferknochen malmen. Tatsächlich, der gewaltige Oggersheimer | |
spricht. Es klingt hohl und trocken aus seiner Brust, wie das Kollern einer | |
abgehenden Gerölllawine: „Grffzgrök!“ | |
„Der Bundeskanzler ist beglückt, Sie bei so guter Gesundheit zu sehen“, | |
übersetzt dessen Angetraute Maike Kohl-Richter, und Schmidts Gesichtszüge | |
vereisen, die Revolverschnauze wird zur Replik entsichert, doch aus der Tür | |
zu Zimmer 45 streckt sich plötzlich der Lockenkopf von Schwester Erdmuthe. | |
„Herr Bundeskanzler, Ihr Termin“, ruft sie und erbleicht sogleich. | |
## Wende auf einem Hinterrad | |
Der agilere Schmidt reagiert als Erster, umgehend bringt der ehemalige | |
Panzeroffizier sein Gefährt in Stellung und drängt mit quietschenden Reifen | |
zunächst in die Offensive. Zwar geht der Sozi wehrmächtig in Führung, doch | |
kommt er nicht umhin, den ewigen Rivalen zwischendurch über die korrekte | |
Führung seines Rollstuhls zu belehren. Das kostet natürlich Zeit, und auch | |
die Raucherpäuschen halten auf. | |
Kohl versucht zunächst, die Angelegenheit auszusitzen, und als das nicht | |
gelingt, wieder einmal die Wende. Diesmal auf nur einem Hinterrad. Doch der | |
CDU-Grande ist außer Übung, zudem steht seine Partei nicht hinter ihm, | |
namentlich die Söhne Peter und Walter versperren den Weg und wollen wieder | |
einmal über ihre Gefühle reden. „Vater, du liebtest uns nicht“, hallt ihr | |
trauriger Ruf wie ein griechischer Chor über den Flur, bis ihr Vater sie | |
niederwalzt, als hätte er nie etwas anderes getan. | |
Nichts kann die beiden Titanen bei ihrem Showdown aufhalten, und so rollen | |
sie unaufhaltsam in die untergehende Sonne ihres ewigen Altkanzlerseins. | |
25 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Bartel | |
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