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# taz.de -- Die Wahrheit: Fleisch und Fleiß
> Die ersten Flüchtlinge befinden sich jetzt in der Ausbildung, um deutsche
> Lebensart und vor allem den deutschen Arbeitsmarkt kennenzulernen.
Bild: Der gute Schlachter macht vor, wie anständig entbeint wird.
„Das ist Herr al Khatib, er ist unser eintausendster Flüchtling“, sagt
Refugeemanager Martin Brellmeyer und winkt einem erschöpft wirkenden Mann
zu, der wie alle Mitarbeiter des „Happy Welcome Center“ in einem weißen
Overall steckt. Allerdings hat man dem Mechaniker aus Aleppo zur Feier des
Tages eine rote Schärpe um den Leib gebunden, auf dem ein lachendes Schwein
zu sehen ist, das sich mit einem Messer die eigene Haxe absäbelt.
Es ist das Logo eines großen fleischverarbeitenden Betriebes, der sich an
diesem Pilotprojekt im Oldenburgischen beteiligt, das Flüchtlingen den
Zugang zum Arbeitsmarkt ebnen soll. Herr al Khatib fängt dort heute ein
unbezahltes Praktikum als Fleischzerleger an, das so lange dauert, bis über
seinen Asylantrag entschieden ist – in Niedersachsen also durchschnittlich
fast ein halbes Jahr.
„Allzu lange hat die deutsche Wirtschaft nur über die mangelhafte
Ausbildung der Flüchtlinge lamentiert, statt durch koordinierte
Qualifizierungsmaßnahmen das Potenzial dieser vielversprechenden
Humanressource voll zu realisieren“, liest Brellmeyer ab, ein jovialer Hüne
mit dem entwaffnenden Charme einer Abrissbirne.
Der Wirtschaftsjargon geht dem Refugeemanager noch nicht ganz flüssig über
die Lippen, der vor seiner Anstellung im „Happy Welcome Center“ als
„Bereichsleiter einer namhaften Hilfsorganisation“ gearbeitet haben will.
Kritiker behaupten jedoch, Brellmeyer habe als Mitglied eines mittlerweile
verbotenen Motorradclubs ahnungslose Osteuropäer zu unterbezahlter Arbeit
in deutschen Schlachthöfen gepresst.
„Wenn der Staat nicht reagiert, muss man eben selbst die Initiative
ergreifen“, wischt Brellmeyer die Einwände energisch vom Tisch, wobei auch
ein Kaffeeservice zu Bruch geht. „Wir haben den Rumänen damals schnelle und
unbürokratische Eingliederungshilfe geleistet, und heute sind halt die
Syrer dran. Für mich ist das gelebte Willkommenskultur.“
## Schnupperkurse im Schweineschlitzen
In einem ehemaligen Outlet-Center, das mit EU-Mitteln in dem
strukturschwachen Gebiet hochgezogen wurde und bislang leer stand, will
Brellmeyer den Neuankömmlingen die Gepflogenheiten des deutschen
Arbeitsmarkts näherbringen. Wo ursprünglich B-Ware namhafter Designer
verramscht werden sollte, werden heute Berufe vorgestellt. Allerdings ist
die Auswahl sehr eingeschränkt. Bisher können die Flüchtlinge nur
Schnupperkurse im Schweineschlitzen, Putenhäckseln und Rinderschreddern
belegen.
„Deutschland hat eine großartige Tradition der Fleischverarbeitung, auf die
wir genau so stolz sein sollten wie die Franzosen auf ihren Käse“,
rechtfertigt sich Brellmeyer. „Es ist doch nur hilfreich, wenn wir die
Flüchtlinge spielerisch an die Kultur ihres Gastlandes heranführen. Essen
dürfen sie das Zeug ja eh nicht, da passen wir schon auf.“
Tatsächlich werden die Flüchtlinge von finster wirkenden Männern bewacht,
die Brellmeyer als „engagierte ehrenamtliche Helfer aus der Umgebung“
bezeichnet, deren Tätowierungen und Kutten aber verdächtig auf Brellmeyers
ehemalige Wirkungsstätte hinweisen.
Die frisch eingetroffene Humanressource al Khatib schleppt derweil weiter
Schweinehälften, die ein afghanischer Kollege zerteilen soll. Nur mühsam
kann der seinen Brechreiz unterdrücken, als sein Messer knackend durch die
Schwarte fährt.
„Nicht so zögerlich!“, blafft ihn Brellmeyer an. „Stellen Sie sich einfa…
vor, sie schächteten einen Hammel. Oder einen Ungläubigen.“ Der
kriegstraumatisierte Mann kollabiert und wird von den Ehrenamtlern unsanft
aus dem Raum befördert.
## Mindestlohn ist wesensfremd
„Man muss die Leute da abholen, wo sie stehen“, gibt sich Brellmeyer
pädagogisch. „Und das ist halt ganz unten. Fluchtjahre sind eben keine
Herrenjahre. Natürlich muss man aber auch sensibel auf die kulturellen
Unterschiede reagieren. Der Mindestlohn etwa ist dem Orientalen
wesensfremd. Unsere Flüchtlinge behelligen wir deswegen damit gar nicht
erst.“
Im nahe gelegenen Oldenburg sitzt der Pressesprecher des
fleischverarbeitenden Betriebs unter dem Logo mit dem lachenden Schwein und
hebt beschwichtigend die bratpfannengroßen Hände. „Wir unterstützen aus
humanitären Gründen eine Menge lokaler Organisationen, die jedoch alle in
eigener Verantwortung arbeiten“, sagt er. „Wenn es irgendwo nachweisbar zu
Unregelmäßigkeiten kommt, werden wir uns umgehend davon distanzieren.“
In der Sache aber gibt er Brellmeyer recht. „Um Flüchtlingen die Teilhabe
an unserer freien, westlichen Gesellschaft zu ermöglichen, dürfen die
Hürden für ihre Beschäftigung nicht zu hoch sein. Eine Aussetzung des
Mindestlohns und anderer Integrationsbremsen ist deswegen in ihrem eigenen
Interesse.“ Ganz genauso sieht es übrigens auch der Sachverständigenrat der
sogenannten Wirtschaftsweisen in seinem aktuellen Jahresgutachten.
Wie Herr al Khatib selbst dazu steht, können wir aus sprachlichen Gründen
leider nicht herausfinden. Wegen der aktuellen Qualifizierungsmaßnahme
bleibt ihm keine Zeit für einen Deutschkurs.
25 Nov 2015
## AUTOREN
Christian Bartel
## TAGS
Flüchtlinge
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Ursula von der Leyen
Helmut Schmidt
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