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# taz.de -- Krimi „Der Himmel weint um mich“: Im Lada durch Managua
> Alte sandinistische Tugenden, Katholizismus und Machismus treffen auf
> neue Drogenökonomien. Sergio Ramírez spielt mit Gegensätzen.
Bild: In Managua spielt der Krimi von Sergio Ramírez.
Inspektor Dolores Morales trägt seit seiner Schussverletzung aus
Guerillazeiten eine in Kuba angefertigte Beinprothese. Unter prekären
Bedingungen ermittelt er für die Drogenpolizei in Managua gemeinsam mit
seinem Freund Lord Dixon, einem Ex-Compañero aus Bluefields. Zwar ist
Nicaragua nicht Zentrum des Drogenhandels, aber strategisch günstig gelegen
für die großen Kartelle Cali in Kolumbien und Sinaloa in Mexiko.
Als eine verlassene Luxusjacht in der Laguna de Perlas nördlich von
Bluefields entdeckt wird, begeben sich die beiden Polizisten auf die Suche
nach den verschollenen Passagieren, die sie im Umfeld der Drogenmafia
vermuten. Tatkräftig unterstützt werden sie bei ihren Investigationen von
der unbestechlichen Dona Sofía, Raumpflegerin im Polizeipräsidium und
ebenfalls ehemalige sandinistische Weggefährtin. Doch auch im Kreis der
Verdächtigen stoßen sie bald auf alte Bekannte der Revolution, wie den
ehemaligen Chef der Gegenspionage mit Decknamen Caupolican.
Der nun aus dem Spanischen übersetzte Kriminalroman „Der Himmel weint um
mich“ (El cielo llora por mí) des nicaraguanischen Schriftstellers und
ehemaligen Vizepräsidenten der ersten sandinistischen Regierung Sergio
Ramírez spielt am Ende der Amtszeit des später wegen Veruntreuung
angeklagten Präsidenten Arnoldo Alemán (1997–2002). Die nationale Polizei
feiert die Prozession der Jungfrau von Fatima, der Präsident weiht eine
neue „Super-Tankstelle“ ein und das organisierte Verbrechen verfügt über
ausgezeichnete Kontakte ins Innenministerium.
Angesichts von Gewalt, Migration, Drogenhandel und Korruption ist in
Zentralamerika die Literatur zwangsläufig der drückenden gesellschaftlichen
Realität verpflichtet. Der Kriminalroman als Genre bietet sich dafür
besonders an. Und auch Ramírez bedient sich äußerlich dieses Formats mit
Ermittlern, Leichen und einem geheimnisvollen Koffer voller Geld. Doch das
Tempo der Erzählung bleibt moderat, denn die Handlung wird vor allem im
Dialog vorangetrieben. Dabei ist es eine interessante Herausforderung,
während der Lektüre stets den Überblick über all die fallenden Namen und
Decknamen zu behalten.
## Miami mit Provinzkultur
Nicht nur der Katholizismus, auch Homophobie und Machismus sind fester
Bestandteil der Alltagskultur in Zentralamerika. Diese Realität findet sich
auch in Ramírez’ Kriminalroman wieder. So pflegt Inspektor Morales
gegenüber dem zwielichtigen Anwalt Cabistán alias Giggo offen seine
Ressentiments gegen Homosexuelle. Sein sexueller Übergriff auf die Mutter
der ermordeten Sheila Marenco erscheint ihm hingegen als peinliche
Bagatelle. Auch wenn diese literarischen Darstellungen darauf abzielen
sollten, reale Verhältnisse abzubilden, bleiben sie in ihrem Naturalismus
doch viel zu affirmativ.
Auf der anderen Seite überrascht Ramírez’ „Der Himmel weint um mich“ du…
ein beiläufiges, aber präzises Porträt Managuas und seiner Bewohner zwanzig
Jahre nach der Revolution. „Doch auch wenn ein Hauch von Miami in der Luft
lag, war es sinnlos, die Provinzkultur ignorieren zu wollen, die auch
weiterhin in Managua herrschte und demzufolge Adressen von bestimmten
Anhaltspunkten aus erklärt wurden, selbst dann noch, wenn sie längst
verschwunden waren.“
In einem verbeulten Lada ohne Klimaanlage bewegt sich Morales durch Viertel
der Hauptstadt, die seit dem Erdbeben von 1972 unfertig wirkt. Gerne würde
man anhand eines Stadtplans oder wenigstens einer Skizze im Vorsatz der
deutschen Ausgabe die Wege des Inspektors von den provisorischen
Bretterbuden im Viertel Domitila Lugo bis zu den Neubauvillen im
Kolonialstil an den Hängen ehemaliger Kaffeeplantagen mitverfolgen.
Schließlich wird in Ramírez’ Kriminalroman die Stadt selbst zu einem
Protagonisten, der über Gegenwart und Vergangenheit des Landes Aufschluss
gibt.
15 Sep 2015
## AUTOREN
Eva-Christina Meier
## TAGS
Nicaragua
Drogen
Mafia
Sergio Ramírez
Nicaragua
Kunstausstellung
Deutsche Identität
Jenny Erpenbeck
Kino
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