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# taz.de -- Die Wahrheit: Bürgers Schikane
> Die Stadt Aachen prämiert besonders bizarre Verwaltungsakte. Ihre Chronik
> behördlichen Drangsals ist beeindruckend.
Bild: Viel sinnloser Stoff, der da jahrelang in behördlichen Hängeregistern a…
Die Stimmung bei der Mitarbeiterversammlung der Stadt Aachen ist blendend,
und das liegt nicht nur am Teufel Alkohol. Die Verleihung der „Öcher
Schikanepreise“ steht an. „Man wirft der Verwaltung ja gern vor“, so der
massige Sitzungsleiter Oberamtsrat Cornelius Noppeney, „wir seien sture,
verschnarchte Sesselfurzer ohne Fantasie. Dabei habe wir es erneut
geschafft, die Bürger mit kreativen Ideen zu drangsalieren.“ Erster
lebhafter Beifall brandet auf.
Solche internen Verwaltungsmeetings wie in Aachen – gern auch getarnt als
„Betriebsausflug“ – gibt es in fast jeder deutschen Stadt. Die
nachfolgenden Fälle sind alle tatsächlich passiert. „Der fünfte Platz“,
ruft Oberamtsrat Noppeney, „geht an das Straßenbauamt und sein
marathoneskes Maulwurfswirken.“
Der dortige Chef, Tim Reissen, erläutert das erfrischend zögerliche Wirken
seiner Leute an der belebten Durchgangsstraße Krugenofen. „Die Baustelle
konnten wir jetzt eineinhalb Jahre halten. Längst fließen brodelnde
Blaumilchkanäle – Aachen ist ja die Stadt der heißen Quellen …“
Lokalpatriotisches Gelächter im Saal.
Doch statt „dankbar zu sein über die Verkehrsberuhigung“, hätten sich
„anrainende Geschäftsleute“ wegen Umsatzrückgängen beschwert. „Diesen
ungebührlich Aufsässigen haben wir mitgeteilt, die Zufahrten demnächst
komplett zu sperren. Samstags! Wenn die die meisten Kunden haben. Wir
wissen uns zu wehren!“ Das Protokoll notiert: „Prasselnder Beifall“.
Platz vier, Grünflächenamt. „Überall in der Stadt mischen sich Menschen
neuerdings ohne Genehmigung in die Obliegenheiten unseres Behufs ein“,
schimpft Leiterin Gunda-Maria Flor. „Die machen dieses kommunistische Urban
Gardening mit ungeordnetem Unkraut.“ Großes Gelächter. „Ja, aber dann hat
mein treuer Amtshauptgärtner Josef-Willi Rost seine
Stiefmütterchen-Brigaden geschickt. Alle in Reihe, wie beim Militär.
Tausende, überall in der Stadt, streng farbsortiert. Und das Beste: Die
Lokalpresse hat die Pracht auch noch hingebungsvoll gelobt.“
## Gefährlicher Publikumsverkehrszuwachs
Rost wischt sich die Tränen ab. Sein erster Preis nach 38 Amtsjahren! Die
Bronzemedaille geht an Hildgarde Zurhelle vom Fachbereich Bauaufsicht. Sie
habe aus „Paragrafen, Verordnungen und Richtlinien eine wundervolle Melange
kreiert“. Ein Bürger habe sein Geschäftsgrundstück in einem Gewerbegebiet
verkaufen wollen. Abgelehnt! Grund: Es könne bei einem Neueigentümer zu
Publikumsverkehrszuwachs kommen.
Höllengefährlich, denn nebenan befinde sich ein potenzieller
„Störfallbetrieb“. Nun gibt es diese Gasflaschenfirma unbeanstandet seit 30
Jahren neben Schule, Disco, Bürogebäuden. Doch jetzt gelte es, den
„Achtungsabstand“ zu verteidigen. „Willkür nahe der Vollendung“, lobt
Laudator Noppeney. Hildgarde Zurhelle errötet fast.
Das Straßenverkehrsamt um den multitalentierten Amtschef Egidius
Wollgarten, der einst den Weltrekord im Bleistiftspitzen aufstellte (
„zweieinhalb Umdrehungen, ohne abzusetzen“), landet auf Platz zwei. Ein
schwer MS-kranker Bürger hatte einen Behindertenparkplatz vor seinem Haus
beantragt. Abgelehnt! Weil es „zu wenig Parkdruck“ in seinem Viertel gebe.
„Kein Ermessensspielraum!“
Dann habe sich, so die Jury, „diese SPD-Tante Ullalala Schmidt
eingemischt“; sie verortete „einen beschämenden Skandal!“ Protokoll:
Buhrufe! Der Oberbürgermeister habe darob zwar einen Gnadenbescheid
angekündigt, den Mitarbeiter aber in Schutz genommen: „Kein Vorwurf, er hat
aufgrund bestehender Regeln und Gesetze gehandelt.“ Wieder Bravo-Rufe.
„Weiter so, Edi. Prost!“
Die Stimmung nähert sich dem verwaltungstechnischen Siedepunkt. Nur wenige
Rülpser durchbrechen die domhafte Andacht in Aachen. „Platz eins: Der Öcher
Schikane-Oscar geht an den subversiven Kollegen Stephan Posch vom
Jugendamt.“ Der Mann hatte eine Bürgerin aufgefordert, „ihm eine
Ummeldebescheinigung vorzulegen, ohne die er einen Vorgang nicht
bearbeiten“ könne.
## Nix zu machen beim Datenschutz
Die Frau, berichtet Posch belustigt, habe gesagt, „ich hätte doch selbst
nachgucken können, wo sie wohnt. Ich? Datenschutz, hab ich erklärt, nix zu
machen …“ Jubelsalven bestätigen die Jury. Und das Beste, so Posch: „Erst
musste sie zum Meldeamt, schön lange warten – und dann hat ihr die Kollegin
noch 6 Euro Gebühr abgeknöpft.“ Tosender Jubel. „Unglaublich, die zahlen
auch noch dafür, dass wir sie quälen! So sanieren wir den Haushalt und
sichern das Wuchern unserer Arbeitsplätze.“
Sieger Posch, dem Noppeney unter frenetischem Beifall „gute Chancen für den
Bundescontest Behördenschikane“ zuschreibt, trägt das goldene Amtskrönchen
mit Würde. Ihm obliegt jetzt die Verkündigung, wer 2015 den Aachener „Orden
wider den irdischen Zeitgeist“ bekommt. Damit werden Ortsfremde für
besonders humorfreie Amtsakte geehrt.
„Wir zeichnen, ganz aktuell, die mutigen Polizeikollegen in Budapest aus.“
Diese hätten es geschafft, „dass sich unerwünschte Menschen freiwillig in
Züge setzen, die sie in ein Lager bringen sollen. Salute!“ Eine
geschmacklose Anspielung, die allerdings nicht jeder im Saal versteht.
„Ungern in Ungarn“, lallt einer, und die Menge singt „Hungry in Hungary�…
Dann wird Pferdesauerbraten aufgetischt.
15 Sep 2015
## AUTOREN
Bernd Müllender
## TAGS
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