# taz.de -- Heikles Flugmanöver von Cargolux: Cowboys im Cockpit | |
> Die Cockpitcrew wollte mit den Flügeln winken. Dabei steuerten die | |
> Piloten der Frachtfirma Cargolux einen Jumbo-Jet beinahe in eine | |
> Katastrophe. | |
Bild: Dieses Kunststück wäre beinahe schiefgegangen. | |
Bestes Wetter, klare Sicht: Man sieht ein riesiges Flugzeug starten, eine | |
Boeing 747-8F, Kennung LXVCJ. Kaum haben die Reifen die Startbahn des | |
Boeing-Airports Paine Field bei Seattle verlassen, kippt der Flieger nach | |
links, korrigiert, kippt in einer heftigen Kurve beinahe im 45-Grad-Winkel | |
nach rechts und findet wackelnd die Waagerechte. Nur knapp entgeht die | |
fabrikneue Maschine einem Crash, denn das alles passierte etwa 60 Meter | |
über dem Erdboden. | |
Das Manöver vom 30. September wurde jedoch zufällig gefilmt und auf | |
[1][Youtube] zum Grusel-Hit mit 1,8 Millionen Klicks nach einer Woche. | |
Ausgelöst hatte die Beinahe-Katastrophe der Versuch der Cockpitcrew, mit | |
den Tragflächen zu winken, der sogenannte Pilotengruß. In Foren reagierten | |
viele Menschen empört auf die aus dem Ruder gelaufene Mutprobe. Einer | |
sprach von der „Costa Concordia der Lüfte“. | |
Tatsächlich sind die Hintergründe des Manövers brisanter. Das ergibt sich | |
aus internen Flugprotokollen, die der taz vorliegen. Die Dokumente sind auf | |
den 30. September datiert. Das „Aircraft Journey and Technical Log“ | |
vermerkt die Namen der Verantwortlichen für „Departure Air 19:37 UTC“. | |
Es saß nicht irgendwer im Cockpit des 200-Tonnen-Fliegers: zur „Crew | |
assigned to trip“ gehörten die beiden Cargolux-Vizepräsidenten Wieger | |
Ketellapper – im Logbuch eingetragen als „Commander KET“ –, Marcel Funk… | |
„Captain FUN“ – sowie der Technische Pilot Benedikt Stock – der „First | |
Officer STB“. | |
Pikant: Ketellapper und Funk sind im Management von Cargolux die oberste | |
Instanz für Flugsicherheit. Firmenvize Ketellapper, 43 Jahre alt, ist | |
Flugbetriebsleiter. Funk, 60, der „persönlich haftende Manager“ für | |
„sichere, effiziente und ökonomische Flugoperationen“. | |
Die Piloten hatten die fabrikneue Boeing 747-8F gerade in Empfang genommen. | |
Es war der Jungfernflug. | |
Cargolux steuert regelmäßig auch Ziele in Deutschland an, zuletzt kam | |
München als Destination dazu. Weitere sollen folgen. Mehr als die Hälfte | |
der 1.500 Mitarbeiter kommen aus Deutschland. Cargolux ist die größte | |
Fracht-Airline Europas mit insgesamt 22 Jumbo-Jets. | |
Und auch die Manager fliegen gerne. Es ist durchaus üblich, dass neue | |
Maschinen von Führungskräften überführt werden. Ein erfahrener Berufspilot, | |
der namentlich nicht genannt werden möchte, vergleicht das mit der | |
Autostadt Wolfsburg: „Da fahren Käufer auch gerne hin, um ihren neuen Wagen | |
selbst abzuholen.“ | |
Auf eine taz-Anfrage zum Beinahe-Crash der Maschine reagiert Cargolux | |
zunächst nicht. Mitarbeiter der Firma, auch Piloten, kritisieren das | |
Ereignis hingegen scharf. „Solche Manöver haben in der Berufsfliegerei | |
nichts zu suchen“, sagt einer. Die Firma habe einmal als „Vorreiter von | |
Sicherheitsstandards gegolten, aber das erodiert allmählich“, kritisiert | |
ein anderer. Man habe „immense Probleme mit der Sicherheitskultur“. | |
## Die Risiko-Cowboys | |
Auch Jörg Handwerg, 46, Sprecher der deutschen Pilotenvereinigung Cockpit, | |
ist entsetzt über den Vorfall. „Das war ein Hochrisikomanöver. Das ist | |
Cowboy-Verhalten. Es fehlt an gesunder Risikoabschätzung. Im Simulator | |
fliegt man solche 45-Grad-Kurven. Airbus-Maschinen hingegen steuern | |
automatisch schon bei 30 Grad dagegen. Aus gutem Grund.“ | |
Er selbst habe bei seinen 12.500 Flugstunden so ein Manöver noch nie | |
geflogen und auch noch nie erlebt, sagt Handwerg. „Hasardeure im Cockpit | |
kann man nicht gebrauchen.“ | |
Eine Woche vergeht. Dann schickt Cargolux ein Statement. Es habe eine | |
„offizielle Intern-Untersuchung“ für den Start der | |
300-Millionen-Dollar-Maschine gegeben. Ja, es war ein Pilotengruß: „it | |
performed a wing wave“; Ja, das Flugzeug sei bei der „exzessiven | |
Querneigung“ zeitweise instabil gewesen. Dennoch bleibe der Tragflächengruß | |
bei Cargolux „ein traditionelles Verhalten bei Überführungsflügen“ und | |
bleibt mit der eigenen Sicherheitskultur vereinbar. Nur ab sofort nicht | |
mehr mit dem Abheben, sondern erst ab 120 Meter Höhe – und zwar von | |
„speziell geschulten Crews“. Winke, winke machen als Lernprogramm. | |
Die Namen der verantwortlichen Piloten nennt Cargolux öffentlich nicht. | |
Allerdings habe nicht der Commander, sondern der 1. Offizier an Bord den | |
Steuerknüppel bedient – also Stock und nicht sein Vorgesetzter Ketellapper. | |
„Wenn ich als hochrangiger Manager eine Maschine schon selbst abhole, werde | |
ich sie selbst fliegen wollen“, mutmaßt einer. Wer tatsächlich den | |
abenteuerlichen Start hinlegte, ist von außen nicht feststellbar. Da ist | |
man trotz Flight Data Monitoring auf die Aussagen der Beteiligten | |
angewiesen. Stock sagt auch gegenüber Kollegen, dass er sich nicht äußern | |
wolle. Die Verantwortung für einen Flug trägt jedoch der Commander. | |
Mitarbeiter der Untersuchungskommission haben einem Firmenpiloten | |
mitgeteilt, dass es „sehr wahrscheinlich“ an einem Ruder wirklich einen | |
kurzen Strömungsabriss gegeben habe. Cargolux schweigt dazu auf Nachfrage, | |
auch auf mögliche Eigenmächtigkeiten des Piloten und auf die Qualifikation | |
Ketellappers als Pilot: „Wir können keine weiteren Kommentare geben“. | |
Ein Strömungsabriss – „stall“ – kann unmittelbare Lebensgefahr bedeute… | |
die Maschine hätte wie ein Stein herunterkrachen und Leben gefährden | |
können. Das weiß auch der Cargolux-Vorstandsvorsitzende Dirk Reich. | |
Er schreibt Ende Oktober eine Mitarbeiter-Rundmail, die der taz vorliegt. | |
Vermutlich nur „exzessiver Einsatz der Ruder“ habe im letzten Moment einen | |
Absturz verhindert. Offen bleibt, ob das Manöver crewintern angekündigt | |
war. Reich schreibt nur von einem „nicht adäquaten Briefing“. | |
In einem internen Rundbrief an die „Lieben Kollegen“ übernimmt Ketellapper | |
„die volle Verantwortung“ für das „nicht akzeptable Event außerhalb jed… | |
Norm“. Er schreibt, er gelte vielen im Team fälschlich als „gleichgültig, | |
kalt und desinteressiert“. Nichtsdestotrotz werde er – „Stressfaktoren si… | |
bei Cargolux im Übermaß vorhanden“ – nicht mehr dem Team der Ausbilder und | |
Prüfer für andere Piloten angehören. Das klang freiwillig. Dabei hatte sein | |
Chef Dirk Reich nach „dem Missmanagement des Manövers“, geschrieben, sein | |
Vize Ketellapper werde „in diesen Aufgabenbereich für mindestens sechs | |
Monate nicht zurückkehren“. | |
Jörg Handwerg, der Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit, sagt: „Manager | |
fliegen wenig und gelten nicht als die routiniertesten Piloten.“ | |
Ketellapper endete in seinem internen Entschuldigungsbrief philosophisch: | |
„Ich habe Fehler gemacht und bin dankbar für die gelernten Lektionen. Das | |
Leben ist eine kontinuierliche Schule und wir alle sind dauerhaft Schüler. | |
Ich verspreche Euch: Ich werde künftig ein guter Schüler sein.“ | |
Ein Schüler als Sicherheitschef einer Fluglinie – die Reaktionen der | |
Piloten bei Cargolux, berichtet einer, reichen von „großer Irritation bis | |
zu absoluter Fassungslosigkeit“. | |
Die luxemburgische Luftaufsichtsbehörde DAC hat auch nach über einem Monat | |
nicht entschieden, ob sie selbst Ermittlungen aufnimmt. Deren Direktorin | |
Christiane Weidenhaupt schreibt auf Nachfrage, es hänge vom firmeninternen | |
Bericht der Airline ab, ob man „erforderliche Sicherheitsmaßnahmen treffen“ | |
müsse. | |
## Die Interessenkollision | |
Es sehe so aus, sagt ein Cargolux-Pilot, „als würde alles unter den Teppich | |
gekehrt“. Das größte Problem, glaubt er, sei „die enge personelle | |
Verquickung von Politik, Wirtschaft, Eigentümern und Behörden“. | |
Es fällt der Name Tom Weisgerber. Das ist der oberste nichtpolitische | |
Beamte im Luxemburger Verkehrsministerium, dem die DAC unterstellt ist. | |
Gleichzeitig sitzt Weisgerber im Aufsichtsrat der Fluggesellschaften Luxair | |
und auch bei Cargolux. Weisgerber sagt: „Eine Interessenkollision kann | |
völlig ausgeschlossen werden.“ | |
Müssten die Piloten nicht ihre Lizenz zurückgeben? „Vermutlich“, sagt Jö… | |
Handwerg von Cockpit. In den USA „setzt es für Verstöße schon mal | |
sechsstellige Bußgelder. In Europa sitzen in den Behörden Leute, die selbst | |
aktiv fliegen. Auch in Deutschland.“ Konsequenzen, befürchtet er, „sind da | |
schwer denkbar, öffentlich schon gar nicht“. | |
Glücklicherweise transportiert Cargolux keine Passagiere. | |
15 Nov 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youtube.com/watch?v=bnBr3enzW1I | |
## AUTOREN | |
Bernd Müllender | |
## TAGS | |
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