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# taz.de -- Die Wahrheit: Kopulierende Kühlschränke
> Professor Dr. Hermann Koock sei Dank: Küchensex – endlich ist auch dieses
> Liebesspiel gründlich erforscht.
Bild: Ja, wo poppen sie denn? Herde gelten unter Forschern als besonders heißb…
Als die Hochschule Aachen kürzlich unter den Studierenden einen
Namenswettbewerb für ein neues Hörsaalgebäude ausrief, setzte sich als
Sieger mit großer Mehrheit „Au Hür“ durch. Hüren heißt hören auf Aache…
Platt; Au Hur ist ein historischer Begriff, scheinbar Alte Hure bedeutend,
in Wahrheit aber eine liebevoll derb gemeinte Anrede, meist unter Männern.
Im Stadion von Alemannia Aachen singen sie tausendkehlig „Hast Jeburtstag,
Au Hur“ zum Wiegenfest eines Spielers.
Niemand konnte wissen, dass der neckische Name bald das Wirken von
Professor Dr. Hermann Koock inspirieren würde. Koock, der neben dem „Au
Hür“-Neubau forscht, wirkt wie das Stereotyp eines verhuschten
Wissenschaftlers: scheu der Blick, der Haarschopf ungebürstet, seicht der
Händedruck. In seinem Multimediacenter aber taut der 53-jährige
Alltagsmechatroniker augenblicklich auf.
„Schauen Sie hier“, zeigt er das Herzstück seines Instituts, „alles
Küchenkram.“ Stapelweise dicke Hochglanzprospekte liegen da, gerahmte
Zeitungsbeilagen, und Anzeigen zieren die Wände. Aus den Lautsprechern
dröhnen Radiojingles: „Sensationell! Unsere Küchen zum frisch abgekochten
Preis! Wir lieben Küchen!“
Professor Koock liest mit seiner kräftigen Baritonstimme aus
Zeitungsanzeigen, kriegt sich fast nicht mehr ein. „Küchen, Küchen zum
Sonderpreis, 50 Prozent auf alle frei finanzierten Modelle,
Komplettmontage, Maße nach Wahl, inklusive Lieferung, Vollservicepreis,
Upgrade gratis, Einbauspüle, Spülmaschine, Induktionsherd und Kochtopfset
umsonst dazu!“
## Kakofonie des Irrsinns
Koock ist völlig aus dem Häuschen beziehungsweise in dessen Küche. „Eine
Kakofonie des Irrsinns“, ruft er uns zu. „Immer sind diese Küchen billig,
billig, spottbillig. Seit langem schon fragen sich meine Mitarbeiter und
ich – wo kommen all die Küchen her, die wir kaufen sollen?“
Wohl wahr, dämmert es uns jetzt: Seitenweise werden weltweit Küchen
beworben, zu Millionen, mit Sonderangeboten ohne Ende und nach oben offen.
Die Industrie scheint einen logistischen Dauernotstand zu haben. Man ahnt
Lagerhallen groß wie Containerschiffe in allen Einkaufscentern, mit
gestapelten Küchenkorpussen bis unter die Decke. Aber wer braucht schon
eine komplett neue Küche? Und wenn, vielleicht eine im Leben, maximal zwei.
„Auch wir“, stellt Koock klar, „haben lange an permanente Überproduktion
geglaubt. Dann aber kamen wir über den versteckten sexuellen Kontext im
Namen des neuen Hörsaalgebäudes nebenan darauf: Au Hür: Alte Hure!
## Küchen vermehren sich lustvoll
Der Forscher senkt seine Stimme. „Erst schien die Idee irre, doch es ist
so: Küchen vermehren sich selbst, freiwillig, lustvoll. Ähnlich wie
Menschen und andere Säuger – geschlechtlich. Küchensex eben.“ Jetzt
flüstert Koock: „In diesem Winter ist es uns erstmals gelungen, die
Fortpflanzung per Infrarot zu filmen!“ Wir wollen die Aufnahmen sofort
sehen. Koock bedauert: Drittmittelfinanzierung, mit RTL und sogar Portalen
wie youporn.com. „Sie glauben ja nicht, worauf manche Menschen stehen.
Küchensex gilt schon als Geheimtipp.“
Aber Koock darf und er will davon berichten. Schier unglaubliche
Geschichten von ächzenden Eckschränken, heißblütigen Herden, kopulierenden
Wasserhähnen und -hennen diktiert er lustvoll breit und lang in unseren
Block. Ausgerechnet Kühlschränke, schwärmt der Professor, seien beim
Liebesspiel überaus fantasiereich. „Kaum eine Herdplatte kann sich ihrem
Werben entziehen.“ Mikrowellen liebten den Schnellfick, Spülen langes
Kuscheln. „Aber dann gehen sie ab.“
Koocks Beobachtungen nach „sind Küchen und ihre Komponenten hochpotent,
rund um die Uhr lustbereit, promisk und ziegenbockhaft ausdauernd“.
Fatalerweise gebe es noch keinen Weg zur Empfängnisverhütung. „Und wenn
Küchen“, Koock hüstelt kunstvoll, „ungeschützt vögeln, bekommen sie
zahllose Junge.“
## Kurze Tragezeit
Zehn bis zwölf seien es pro Wurf. Die Tragezeit der Küchenmütter betrage
nur einen einzigen Anspotz, das sei die kurze Zeit zwischen zwei
Anzeigenkampagnen. Ein Möbelhaus müsse eine Küche also gar nicht bauen
lassen, sondern nur die Neugeborenen großziehen. Ein bisschen Schmieröl,
Holzspäne, ein wenig Leimzusätze, frische Luft zum Ausdünsten genügten da.
Und das sei auch nur für kurze Zeit nötig.
Denn die Geschlechtsreife einer Küche setzt laut Koock schon mit einem Jahr
ein, in China noch früher. „Nur die Einzelhaltung eines Exemplars
unterbricht die Kette.“ Heureka, Au Hur! Koock offeriert einen Kaffee. Aus
seiner Junggesellenforscherküche, „meine Au Köch. Die ist solo seit
Jahrzehnten.“ Er streichelt die abgegriffene Arbeitsplatte. „Ich habe allen
Verlockungen zum Neukauf immer widerstanden.“
Zum Abschied kündigt der kregele Forscher noch ein Projekt seines
Multimediacenters an: „Demnächst wollen sich meine Mitarbeiter und ich dem
Liebesleben flämischer Eichenmöbel widmen.“
7 Jan 2015
## AUTOREN
Bernd Müllender
## TAGS
Kuchen
Sex
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Aachen
Adolf Hitler
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