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# taz.de -- Kommentar Konflikt in der Türkei: Zum Nutzen der Hardliner
> Mit Härte geht Erdoğan gegen die PKK vor, die ihrerseits voll auf Gewalt
> setzt. Die demokratische HDP droht dazwischen zerrieben zu werden.
Bild: Befeuert: türkische Nationalisten zeigen Pfötchen in Istanbul.
Innerhalb der letzten sechs Wochen ist die Türkei ein anderes Land
geworden. Hunderte Tote, Soldaten und Polizisten, PKK-Guerilleros und
dutzende Zivilisten haben das Land verändert. Im Osten herrscht de facto
das Kriegsrecht und im Westen steht das Land am Rande eines Bürgerkriegs.
Wir wissen, was der türkischen Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit diesem
neuerlichen Gewaltausbruch bezweckt. Er hofft damit die kurdisch-linke
Demokratische Partei der Völker, HDP, bei den von ihm selbst erzwungenen
Neuwahlen am 1. November wieder unter die Zehnprozenthürde drücken zu
können. Dadurch soll seine AKP wieder die absolute Mehrheit erhalten und
womöglich in der Lage sein, eine Verfassungsänderung durchzusetzen, die
Erdoğan als Präsident auch die exekutive Gewalt zubilligt.
Diese Strategie ist vielfach beschrieben und kritisiert worden. Doch
Erdoğan führt diesen Krieg nicht allein. Jeden Tag greift die PKK irgendwo
im Land Militär oder Polizei an. Mit der Tötung von über 30 Soldaten und
Polizisten allein [1][an zwei Tagen zu Beginn dieser Woche] konnte sie
ihren größten militärischen „Erfolg“ seit dem Höhepunkt des Konflikts 1…
verzeichnen.
Doch was will die PKK damit erreichen?
## Den Anlass gegeben
Der Beginn der neuerlichen Kampfhandlungen zwischen PKK und Armee im
Anschluss an den [2][Terrorakt des IS in Suruç am 20. Juli], zeigen, dass
die PKK durchaus nicht nur das Opfer der Gewaltstrategie des türkischen
Präsidenten ist. Zwei Tage nach dem Terrorakt des IS ermordete sie in einem
Nachbarort von Suruç zwei Polizisten nachts in ihrer Wohnung. Erdoğan nahm
das zum Anlass, Luftangriffe auf PKK-Stellungen im Nordirak anzuordnen. Aus
kurdischen Quellen hieß es, der Mord an den Polizisten sei nicht von der
PKK-Führung angeordnet worden, sondern eine Eigenmächtigkeit lokaler Kräfte
gewesen.
Doch die PKK distanzierte sich nicht davon, versuchte nicht, Erdoğans
Gewaltstrategie zu unterlaufen, sondern startete im Gegenteil ihrerseits
eine Militärkampagne, deren Intensität und Erfolge zwingend nahelegen, dass
sie lange im Voraus vorbereitet wurde.
Aber mit welchem Ziel? Ist der PKK der Erfolg in Kobani, wie jetzt von
manchen Beobachtern gemutmaßt wird, tatsächlich so zu Kopf gestiegen, dass
sie glaubt, nach dem IS auch die türkische Armee in den kurdisch
besiedelten Gebieten im Südosten der Türkei militärisch besiegen zu können?
Das ist schwer zu glauben, denn 30 Jahre bewaffneter Kampf haben sowohl der
PKK-Führung als auch der türkischen Armee schmerzhaft gezeigt, dass es eine
militärische Lösung in dem Konflikt nicht geben wird.
## Eigenes politisches Ziel
Das lässt nur den Schluss zu, dass die PKK mit ihrer Militärkampagne,
genauso wie Erdoğan auch, ein politisches Ziel verfolgt. In der offiziellen
Propaganda wird die HDP mit der PKK mehr oder weniger gleichgesetzt. Sie
sei Fleisch vom Fleische der PKK, nichts anderes als der politische Arm der
„Terrororganisation“. Doch nichts ist falscher als diese Propaganda.
Natürlich gibt es personelle und ideologische Verflechtungen zwischen der
HDP und der PKK, doch die HDP steht für einen eigenen, anderen Weg zur
Lösung der kurdischen Frage, als ihn die PKK 30 Jahre gegangen ist. Gerade
mit der Abkehr von der Gewalt und mit dem Versuch, sich als Partei aus dem
ethnischen Ghetto zu befreien und als landesweite Linkspartei aufzutreten,
hatte die HDP Erfolg.
Dieser Erfolg drohte die PKK in der Türkei überflüssig zu machen. Anders
als in Syrien würde sie in einer Türkei, die den ethnischen Konflikt
politisch löst, nicht mehr gebraucht. Die HDP ist deshalb gerade nicht der
politische Arm der PKK. Sie wird vielmehr zwischen Erdoğans Armee und der
PKK im Moment förmlich zerrieben. Das nutzt den Hardlinern auf beiden
Seiten.
11 Sep 2015
## LINKS
[1] /Weitere-Eskalation-in-der-Suedosttuerkei/!5230314/
[2] /Anschlaege-in-Suru%C3%A7-und-Kobani/!5214725/
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Schwerpunkt Türkei
PKK
HDP
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