| # taz.de -- Türkisches Nationalgetränk: Ayran oder Raki? | |
| > Beim Raki retten wir die Welt – so lautet ein türkisches Sprichwort. Doch | |
| > Erdoğan hasst Trinken. Im Land ist de facto Krieg. Hängt das zusammen? | |
| Bild: Auch während der Gezi-Proteste verliehen Raki-Gläser den Demonstrierend… | |
| In den meisten Ländern ist die Sache mit dem Nationalgetränk klar. In | |
| Russland wird der Wodka nach Präsidenten benannt, Puntinka ist gerade der | |
| beliebteste und gewinnt einen Preis nach dem anderen. Die Staatsdestillerie | |
| „Kristall“ stellt ihn her. In Deutschland ist es wohl Bier, auch wenn in | |
| einigen Gegenden Wein getrunken wird. Aber der gehört schon den Franzosen. | |
| Mexiko: Tequila, Griechenland: Ouzo. | |
| Das Nationalgetränk ist eines, das eine lange Tradition hat, das viele | |
| trinken. Die Zutaten sind regional. Man trinkt es halt schon immer und | |
| macht nicht viel Gerede darum, außer beim Smalltalk. In der Türkei ist das | |
| anders. | |
| Dort gibt es nämlich zwei Antworten auf die Frage, was das türkischste | |
| Getränk ist. Erstens: Raki. Drei Finger breit ins schmale Glas, drei Finger | |
| Wasser drauf, dann Eis. Er hat eine lange Tradition, Staatsgründer Mustafa | |
| Kemal Atatürk mochte ihn sehr. Atatürk starb an einer Leberzirrhose. Es | |
| gibt sogar ein Gesetz, das regelt, dass die Anissamen und getrockneten | |
| Trauben aus der Türkei stammen müssen, damit es ein richtiger Raki wird. | |
| Zweitens: Ayran. Dieser Meinung ist Recep Tayyip Erdoğan und er ist | |
| immerhin Präsident. Erdoğan nannte Atatürk öffentlich einen Säufer, obwohl | |
| das Beleidigen des Staatsgründers noch immer unter Strafe steht. Joghurt | |
| mit Wasser und Salz also. Das ist erfrischend und gesund. Natürlich | |
| alkoholfrei. | |
| ## Alkoholverbote und hohe Steuern | |
| Lässt man die Konsumenten entscheiden, gewinnt der Ayran eindeutig. Es gibt | |
| ihn immer, überall. Alkoholtrinken dagegen ist seit zwei Jahren auf | |
| öffentlichen Plätzen und in Parks verboten. Zwischen 22 Uhr und sechs Uhr | |
| morgens kann man überhaupt keinen kaufen. Außerdem sind die Steuern extrem | |
| hoch. Daher wohl auch diese Statistik: Türken über 15 Jahren trinken im | |
| Schnitt gerade einmal eineinhalb Liter Alkohol im Jahr. Der europäische | |
| Durchschnitt liegt bei 10, 7 Litern. | |
| Bleibt die Tradition. „Beim Raki-Trinken retten wir die Welt – oder | |
| zumindest die Türkei“, so geht ein türkisches Sprichwort. Man trifft sich, | |
| isst und trinkt zusammen, Wasser trübt den Schnaps und am Ende hat man | |
| vielleicht eine Lösung für die ganze Misere. | |
| Die [1][taz.am wochenende] hat sechs türkische Intellektuelle in ein | |
| Istanbuler Restaurant eingeladen, um mit ihnen Raki zu trinken und über die | |
| Probleme und Hoffnungen ihres Landes zu diskutieren. Über Erdoğan, die | |
| Neuwahlen, den Konflikt zwischen der PKK und der Regierung. Und über die | |
| beiden Nationalgetränke, denn an ihnen lässt sich viel ablesen. | |
| Der Alkohol an sich ist nicht das Problem, da sind sich die sechs Gäste | |
| einig. Wer ihn trinken will, findet in den meisten Städten der Türkei einen | |
| Ort, an dem er ihn kaufen kann. Überhaupt betreffe diese Frage nur einen | |
| sehr kleinen Teil der Bevölkerung, sagt die Journalistin Gözde Kazaz. | |
| ## Gehören wir zum Nahen Osten oder zum Westen? | |
| Der Künstler Ferhat Özgür findet, Alkoholtrinken stehe ganz oben auf der | |
| Liste von Erdoğans Partei AKP, mit der die Türkei „zu einem Teil des Nahen | |
| Ostens“ gemacht werden soll. Konservative Positionen und die islamische | |
| Tradition würden immer stärker. „Es ist also eine kulturelle Kontroverse: | |
| Gehören wir zum Nahen Osten oder zum Westen?“ | |
| Was hinter der Debatte um das Nationalgetränk liegt, ist der Plan der AKP, | |
| das Land zu islamisieren. Aber auch, eine Art Lärm zu kreiieren. Ebru | |
| Yetişkin, eine Soziologin, sagt: „Wenn es Lärm um Nebensächlichkeiten gibt, | |
| lassen sich andere Dinge im Stillen tun. Dann wird plötzlich ein neues | |
| Gesetz verabschiedet, oder viel Geld wechselt die Hände.“ Für Yetişkin ist | |
| das eine Strategie der Regierung. „Ob Raki nun politisch ist oder nicht – | |
| das ist nicht das Problem. Das ist nur Lärm, der geschaffen wird. | |
| Kakofonie.“ | |
| „Unsere Wahrnehmung wird mit immer neuen Konflikten bombardiert“, sagt die | |
| Kuratorin und Kunstkritikerin Beral Madra, „Damit wir uns machtlos fühlen.“ | |
| In diesem Lärm können Köpfe nicht mehr so gut funktionieren. Nicht weil sie | |
| betrunken sind. Sie sind abgelenkt, gereizt. „ Deshalb glaube ich, dass | |
| Dummheit, Idiotismus, eine weitere Strategie der Regierung ist“, sagt die | |
| Soziologin Yetişkin. „Wenn die Regierung sagt, wir sollen nicht trinken, | |
| Frauen dürfen nicht lachen, weil das unmoralisch ist, dann begebe ich mich | |
| bewusst nicht in diesen Lärm. Ich reagiere nicht.“ | |
| Was meinen Sie, wird sich die Türkei für Ayran oder für Raki entscheiden? | |
| Diskutieren Sie mit! | |
| Was die sechs Gäste von Erdoğan halten, was ihre Hoffnung im Bezug auf die | |
| Neuwahlen sind und was Liebesgeschichten mit all dem zu tun haben, lesen | |
| Sie in der Titelgeschichte „Beim Raki retten wir die Welt“ in der | |
| [2][taz.am wochenende] vom 26./27. September 2015. | |
| 25 Sep 2015 | |
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| ## AUTOREN | |
| Viktoria Morasch | |
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