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# taz.de -- Eskalation in der Türkei: Das Wort „Frieden“ ist verpönt
> Die Stimmung in der Westtürkei ist extrem angespannt. Nach den Kämpfen
> zwischen PKK und Sicherheitskräften wächst die Gefahr eines
> Bürgerkrieges.
Bild: Eingang der Zentrale der Zeitung „Hürriyet“ in Istanbul.
Marmaris/Istanbul taz | „Gibt es hier in Marmaris ein Büro der HDP?“ Der
Zeitungsverkäufer nickt bedauernd und sagt: „Ja, leider.“ Auf die besorgte
Frage, ob es denn auch in dem Touristenort im Westen der Türkei zu
Angriffen auf das Büro der kurdisch-linken HDP gekommen sei, hat der Mann
eine kurze Antwort: „Leider nein“.
Willkommen zurück in der neuen Türkei. In den letzten zwei Wochen hat sich
die Stimmung dramatisch verschärft. Nach der Eskalation zwischen der
kurdischen Guerilla PKK und den türkischen Sicherheitskräften droht ein
Bürgerkrieg von Türken gegen Kurden.
Am Dienstagabend ist es geradezu unheimlich ruhig an der Hafenpromenade in
Marmaris. Wo sonst aus Tausenden Boxen die letzten Hits dröhnen, kommt nun
gar nichts. Statt der Musik hat ein großes Restaurant per Laserstrahl eine
Botschaft auf den gegenüberliegenden Hügel projiziert: „Wir gedenken
unserer gefallenen Märtyrer und verdammen die Terroristen.“ Der Besitzer
des Restaurants berichtet, dass ihm diese Message ein persönliches Anliegen
ist: „Niemand hat uns dazu aufgefordert, es war unsere eigene Idee.“
Überall im Westen der Türkei ist die Wut auf die PKK geradezu beängstigend
angewachsen. Dabei wird die legale kurdisch-linke HDP, die seit den Wahlen
vom 7. Juni mit 80 Abgeordneten im Parlament vertreten ist, mit der PKK
völlig gleichgesetzt. Selbst das Wort „Frieden“, auf Türkisch „bariş�…
bereits als Synonym für eine kurdenfreundliche Haltung.
Eine kleine Gruppe von Rentnern in einem Ferienort bei Fethiye wurde sofort
als Handlanger der PKK geschmäht, weil sie eine Friedenskundgebung
veranstalten wollten. In verschiedenen Orten an der Mittelmeerküste wurden
Busse mit Steinen beworfen, weil sie aus Diyarbakır kamen. Nihat Gencosman,
ein türkisches Mitglied der HDP in der Touristenmetropole Bodrum,
berichtete, dass die Spannung an der Westküste enorm sei. Seit drei Tagen
versammelten sich die Leute jeden Abend mit türkischen Fahnen und ziehen
durch die Straßen. „Da genügt der geringste Anlass und es kommt zu Gewalt.�…
## Der Wut auf „die Kurden“ freien Lauf lassen
Selahattin Demirtaş, Ko-Chef der HDP und deren bekanntestes Gesicht, warf
am Donnerstag Präsident Tayyip Erdoğan und Interimsregierungschef Ahmet
Davutoğlu vor, die Angriffe auf die HDP-Büros in der Nacht von Dienstag auf
Mittwoch gesteuert zu haben. Doch in weiten Teilen der Bevölkerung bedarf
es keiner Aufforderung „von oben“ mehr, damit diese ihrer Wut auf „die
Kurden“ freien Lauf lassen.
Vielerorts wurden Menschen auf der Straße angegriffen, weil sie kurdisch
sprachen oder verdächtigt wurden, Kurden zu sein. Ein kurdischer
Großhändler aus Siirt, der seit Jahren an der Ägäis-Küste Obst und Gemüse
einkauft, bestätigte am Mittwoch in einem Vorort von Izmir, dass er sich
nicht mehr als Kurde zu erkennen gebe. „Das ist im Moment viel zu
gefährlich.“
Zwar hat Davutoğlu nach tagelangem Schweigen alle Bürger aufgefordert, Ruhe
zu bewahren und keine Gewalt anzuwenden. Doch noch immer hoffen er und
seine AKP mit einer Strategie der Spannung bei der Neuwahl am 1. November
punkten zu können. Da auch die PKK Aufrufe zu einem Waffenstillstand
bislang ignoriert, sieht es nicht so aus, als könnte es bis dahin zu einer
Entspannung kommen.
Doch nicht alle wollen das hinnehmen. Leyla Zana, eine der bekanntesten
kurdischen Politikerinnen des Landes, hat in einem Gespräch mit Hürriyet
angekündigt, sie werde in einen Hungerstreik treten, bis die Waffen
schweigen: „Zur Not bis zu meinem Tod.“
10 Sep 2015
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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