| # taz.de -- Die Wahrheit: Schmerzhafte Lektüre | |
| > Krimi-Autor Jussi Adler-Olsen ruft zum Boykott der fortgesetzten | |
| > Lisbeth-Salander-Saga auf, weil deren eigentlicher Autor tot ist. | |
| Bild: Wittert Adler-Olsen eine Verschwörung um „Verschwörung“? | |
| Darf man sich eine Meinung über etwas bilden, dessen Inhalt man gar nicht | |
| kennt? Gar andere Menschen auffordern, sich ebenfalls nicht erst mit diesen | |
| Inhalten zu beschäftigen? Manchmal schon. Bei den Hinterlassenschaften von | |
| Hunden im urbanen Umfeld, beispielsweise. Die sehen wir jeden Tag an fast | |
| jeder Ecke, und obwohl kein Häuflein dem anderen ganz genau gleicht, können | |
| wir davon ausgehen, dass wir in 99 Prozent aller Fälle eilig verdauten | |
| Schlachtabfall vor uns liegen haben. Und zwar, ohne dass wir davon kosten. | |
| Nun lässt sich dieses Beispiel nicht eins zu eins auf die zeitgenössische | |
| skandinavische Kriminalliteratur anwenden. Ob es da lohnt, in etwas | |
| vermeintlich Neues hineinzuschnuppern, hat uns zum Glück ein Experte | |
| geklärt, eine Koryphäe des Nord-Mordens, der distinguiert-düstere | |
| Dänen-Doyen Jussi Adler-Olsen. Und der sagt: Nein! Zum Buch „Verschwörung�… | |
| „Verschwörung“ stammt aber nicht etwa aus der Feder Adler-Olsens, obwohl | |
| Thema und Titel dies durchaus vermuten lassen – sein Buch heißt | |
| „Verachtung“. Diese verwirrende Ähnlichkeit ist einem Aberglauben der | |
| deutschen Buchhandels-Gilde geschuldet: Deren Mitglieder sind davon | |
| überzeugt, dass Krimi-Titel brachial ins Deutsche ver-übersetzt werden | |
| müssen, um in die Herzen und Regale seiner Leserschaft zu gelangen. So darf | |
| Adler-Olsens Werk in Dänemark romantisch verspielt „Journal 64“ heißen, | |
| aber hierzulande muss eben „Verachtung“ daraus werden. Nur dann wird ein | |
| Bestseller daraus und aus einem gemeinen Schriftsteller ein Star. | |
| Ein weiterer Starautor, der nach allen Regeln der Kunst ver-übersetzt | |
| wurde, war Stieg Larsson. Aus dem Titel „Männer, die Frauen hassen“ wurde | |
| im Handstreich „Verblendung“, es folgten „Verdammnis“ und „Vergebung�… | |
| Dieser Hattrick wurde als Millennium-Trilogie weltberühmt oder auch als | |
| „diese Lisbeth-Salander-Bücher, die wo voll die krass lesbische | |
| Punk-Hackertante ist und den einen so mit dem Dildo …“. | |
| ## Tote schreiben keine Bücher | |
| Falls es immer noch nicht geklingelt hat: Das Ganze wurde auch verfilmt, | |
| zuerst mit robusten Nordmenschen in den Hauptrollen, dann noch einmal in | |
| schön mit Daniel Craig (als Enthüllungsjournalist, nicht als Lisbeth | |
| Salander). Aber zurück zur literarischen Vorlage: Aus Pietät sprach man | |
| damals, 2005, von einem Überraschungshit, mit dem niemand gerechnet hätte. | |
| Aber selbstverständlich war es für den Verkauf von Vorteil, dass die drei | |
| Millennium-Bände erst nach dem plötzlichen Tod ihres Schöpfers, Stieg | |
| Larsson, veröffentlicht wurden. „Verschwörung“ ist nun der vierte Teil der | |
| Trilogie, wobei auch dem unterdurchschnittlich begabten Kopfrechner | |
| aufgefallen sein dürfte, dass die Kiste mit drei Teilen komplett gewesen | |
| wäre, und Tote außerdem keine Bücher schreiben. | |
| Haben sie auch nicht, was nicht nur der Buchmarkt, sondern auch Jussi | |
| Adler-Olsen sehr schade findet. Und er findet auch freundliche, aber | |
| bestimmte Worte für den lebenden Kollegen David Lagercrantz. Der sei an | |
| sich ja ein guter Autor, aber bei „Verschwörung“ habe er sich eindeutig zu | |
| weit aus dem Fenster gelehnt. Nur weil Stieg Larssons Erben ihn dazu | |
| bestimmt hätten, dieses Nachfolge-Werk zu schreiben, hätte er das ja nicht | |
| tun müssen. „Damit nutzt man einen Mann aus, der das Ausnutzen hasste!“ Er, | |
| Jussi Adler-Olsen, hätte das niemals getan. Und ruft deswegen prompt auf, | |
| „Verschwörung“ zu boykottieren. | |
| ## Was kann der Leser tun? | |
| Und was tun wir, die geneigten Leser? Wir stehen verwirrt in der | |
| Buchhandlung und fragen uns: Nutzen wir einen verstorbenen Autor aus, wenn | |
| wir Bücher kaufen, die er gar nicht geschrieben hat? Oder ist Adler-Olsen | |
| nur sauer, weil nach seinen Büchern nicht mehr mit der einfachen Ansage | |
| verlangt werden kann: „Geben Sie mir mal den neuen Krimi mit dem ,Ver‘- im | |
| Titel. Also den von dem, der noch lebt.“ | |
| Oder ist die wahre Verschwörung die größte Marketingstrategie aller Zeiten? | |
| Sollen wir das Buch etwa doch kaufen und Adler-Olsen betreibt nur | |
| umgekehrte Psychologie? Na klar doch, kaufen! Aber auch lesen? | |
| Stieg Larsson litt ja angeblich an Logorrhö, und wer sich an die teils | |
| schmerzhafte Lektüre von „Verdammnis“ erinnert, kann diesen Verdacht | |
| bestätigen. Ob’s spannend oder gar logisch war, war egal, es gab halt viele | |
| Bett- und Bettgestellszenen, irgendwann bettelte man nur noch um | |
| „Vergebung“, vor allem für den Lektor. Und jetzt soll da jemand weiter dran | |
| geschrieben haben, der sogar mit Worten umgehen kann. Klingt verlockend. | |
| Jetzt muss man es kaufen. Schon um festzustellen, ob sich der Verdacht | |
| bestätigt: Schlägt man sein frisch erstandenes Exemplar von „ Verschwörung… | |
| auf, so sind die Seiten blank. Das Buch ist ungeschrieben, bis auf die | |
| erste Seite, auf der zu lesen ist: „Verarscht! Euer Jussi Adler-Olsen! | |
| 8 Sep 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Katinka Buddenkotte | |
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