# taz.de -- Einwanderung nach Deutschland: Willkommen im Paragrafendschungel | |
> Es gibt Möglichkeiten, zum Arbeiten nach Deutschland zu kommen. Aber die | |
> dazugehörenden Regeln sind kompliziert. | |
Bild: Sie hat einen Arbeitsplatz gefunden: Song Xi aus China arbeitet als Pfleg… | |
Berlin taz | Wer heute vor den Bomben des syrischen Diktators Assad oder | |
vor der Armut aus Niger und Ghana flieht, riskiert nicht selten sein Leben | |
in einem Schlauchboot auf dem Mittelmeer. Und muss in Deutschland | |
politisches Asyl beantragen. Obwohl sehr viele der Neuankömmlinge hier | |
einfach arbeiten wollen – und die deutsche Wirtschaft diese Arbeitskräfte | |
auch sucht. | |
Grundsätzlich ist sichere Einwanderung nach Deutschland schon heute möglich | |
– legal, als Arbeitskraft, mit Visum. Doch die deutsche Bürokratie macht es | |
den Interessierten schwer. Trotzdem ist das der Kern des | |
Einwanderungsgesetzes, über das die Regierungsparteien nun diskutieren. Die | |
SPD will es – das hat ihr Fraktionschef Thomas Oppermann gerade erst | |
bekräftigt. Die Begeisterung in der Union dagegen ist weniger ausgeprägt. | |
Bundeskanzlerin Angela Merkel hält es nicht für „vordringlich“. | |
Nehmen wir als Beispiel einen Klempner aus Damaskus, der gelernt hat, wie | |
man Gas- und Wasserleitungen verlegt. Sein Beruf steht auf der | |
„Positivliste“ der Bundesagentur für Arbeit – wie rund 80 weitere, etwa | |
Bauelektriker, Kabelmonteur, Lokführer, Krankenschwester oder Altenpfleger. | |
In diese Liste nimmt die Agentur Berufe auf, bei denen bundesweit weniger | |
als drei Arbeitslose auf eine offene Stelle kommen und freie Arbeitsplätze | |
länger als durchschnittlich unbesetzt bleiben. Dies gilt als Beleg dafür, | |
dass die Firmen in Deutschland nicht mehr genug einheimische Bewerber | |
finden. | |
Deshalb ist es seit zwei Jahren zum Beispiel auch Syrern, Eritreern oder | |
Afghanen erlaubt, hierzulande einen Job in „Mangelberufen“ anzunehmen. | |
Durchgesetzt hat das die ehemalige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen | |
(CDU). Allerdings kamen 2014 durch diese Tür nur 311 Personen nach | |
Deutschland. Zwischen Januar und Juli 2015 schafften es 337. | |
## Komplizierte Regeln | |
Die Gründe dafür liegen in den komplizierten Regeln. So muss der syrische | |
Klempner, der in Deutschland arbeiten will, erst einmal seine Ausbildung | |
als „gleichwertig“ zu einem deutschen Abschluss anerkennen lassen. Dafür | |
ist er verpflichtet, seine Zeugnisse einzureichen, mitunter auch genaue | |
Nachweise, welche Unterrichtsinhalte er wie lange gelernt hat. Die | |
deutschen Handwerks- oder Industrie- und Handelskammern, die die Unterlagen | |
prüfen, verlangen oft übersetzte, beglaubigte Papiere. Bevor sie ihre | |
Zustimmung erteilen, wollen sie in der Regel auch das konkrete Jobangebot | |
einer deutschen Firma sehen. | |
Das alles per E-Mail aus Syrien oder Niger zu bewältigen, mag grundsätzlich | |
möglich sein. Praktisch allerdings ist es sehr schwierig. Und haben die | |
Bewerber überhaupt Chancen, die nötigen Schriftstücke zu besorgen, um die | |
Gleichwertigkeit ihrer Fähigkeiten nachzuweisen? „In vielen Ländern, aus | |
denen die Flüchtlinge kommen, existiert kein Ausbildungssystem, das mit | |
Deutschland vergleichbar wäre“, sagt Claudius Voigt von der Gesellschaft | |
zur Unterstützung Asylsuchender in Münster. Er plädiert dafür, die | |
Anforderungen an die Ausbildungsnachweise herabzusetzen. | |
Auch Manager und Firmenchefs setzen sich mittlerweile dafür ein, diese | |
Dinge besser und einfacher zu regeln. Viele Menschen, die das gar nicht | |
wollten, würden „gezwungen, Asylanträge zu stellen“, sagte unlängst Klaus | |
Engel, der Chef des Chemiekonzerns Evonik in Essen. „Wir brauchen jetzt | |
endlich ein Einwanderungsgesetz.“ | |
## Die Blaue Karte hilft kaum | |
Zwar wurden bereits in den vergangenen Jahren mehrere Möglichkeiten | |
geschaffen, um legal zum Arbeiten nach Deutschland zu kommen. So können | |
Hochqualifizierte die Blaue Karte der EU erhalten. Der Erfolg dieser | |
Öffnung für Arbeitsmigranten hält sich aber in Grenzen. | |
Insgesamt bekamen „im Jahr 2014 nur gut 37.000 Zuwanderer aus Drittstaaten“ | |
außerhalb der EU „einen Aufenthaltstitel zu Erwerbszwecken“, heißt es in | |
einer aktuellen Studie der Bundesagentur – nach Einschätzung der Experten | |
viel zu wenige. Zum Vergleich: Rund 600.000 Arbeitsplätze können die | |
deutschen Firmen derzeit nicht besetzen. | |
Auch dieser Gegensatz treibt die politische Debatte an. „In den letzten | |
Jahren haben wir viele Gesetze liberalisiert, damit wir leichter Fachkräfte | |
bekommen können. In der Realität zeigen diese Gesetze aber leider kaum | |
Wirkung. Diese Regeln müssen wir durch ein einheitliches Gesetz | |
vereinfachen“, sagt Cemile Giousouf, die Integrationsbeauftragte der | |
CDU/CSU-Bundestagsfraktion. | |
Giousouf ist eine derjenigen in der CDU, die ihren Generalsekretär Peter | |
Tauber unterstützen. Der verlangte von seiner Partei zu Beginn dieses | |
Jahres, dass „wir auch über ein Einwanderungsgesetz reden“. Ob sich der | |
CDU-Bundesparteitag im Dezember aber wirklich zu diesem Anliegen bekennt, | |
steht in den Sternen. Über die Lage in ihrer Bundestagsfraktion sagt | |
Giousouf: „Weil gegenwärtig so viele Menschen zu uns kommen, ist die | |
Ablehnung eines Einwanderungsgesetzes in der Unionsfraktion jetzt | |
vermutlich größer als die Zustimmung.“ | |
## Hürden für Zuwanderer | |
Die Grünen und Linken haben die große Koalition dagegen aufgefordert, bis | |
zum Jahresende ein solches Gesetz auszuarbeiten. Auch die | |
SPD-Bundestagsfraktion hat sich festgelegt: „Wegen des demografischen | |
Wandels droht bis 2050 ein massiver Fachkräftemangel. Deshalb sind wir auch | |
auf Arbeitnehmer aus anderen Ländern angewiesen“, sagt Burkhard Lischka, | |
der innenpolitische Sprecher. Angesichts der niedrigen Geburtenrate würden | |
bald „6,7 Millionen Erwerbsfähige“ in Deutschland fehlen. | |
Im Papier der SPD-Fraktion vom März 2015 sind zahlreiche Vorschläge | |
enthalten, wie aus der kleinen Tür ein großes Tor werden könnte. Unter | |
anderem sei es nötig, das Gewirr der „über 50 verschiedenen | |
Aufenthaltstitel“ zu entrümpeln. Wer heute in das Aufenthaltsgesetz schaut, | |
findet dort tatsächlich Dutzende Spezialregelungen. Nur Experten blicken | |
durch, potenzielle Zuwanderer dürften an dieser Hürde oft scheitern. | |
Die SPD schlägt deshalb ein übersichtliches Punktesystem ähnlich dem | |
kanadischen vor. Bewerber würden nach Alter, Ausbildung, Berufserfahrung, | |
Sprachkenntnissen und Jobangebot eingestuft. Wer eine hohe Punktzahl hat, | |
darf rein. Das sei praktikabler als die heutige, langwierige | |
Einzelfallprüfung, so die SPD. | |
Etwas Bewegung in diese Richtung ist neuerdings zu verzeichnen. Im | |
Koalitionsausschuss am Sonntag beschlossen Union und SPD, in den kommenden | |
fünf Jahren jeweils 20.000 Leuten vom Westbalkan die einfachere Einreise | |
als Arbeitnehmer zu gestatten. „Das ist ein erster Schritt zu einem | |
Einwanderungsgesetz“, kommentierte SPD-Fraktionschef Oppermann. | |
Wobei kurzfristig sicher drängendere Probleme in Deutschland zu bewältigen | |
sind: Wohnungen beschaffen für 800.000 Einwanderer in diesem Jahr, | |
Milliarden Euro aus öffentlichen Kassen zur Verfügung stellen, die | |
Flüchtlinge innerhalb der EU verteilen. Trotzdem müsse man auch an die | |
langfristige Lösung denken, meint Wolfgang Grenz von der Fachkommission | |
Asyl bei Amnesty International: „Gäbe es bessere Möglichkeiten für legale | |
Migration, würde der Druck auf das Asylrecht abnehmen.“ | |
9 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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