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# taz.de -- Wirtschaftslage in Griechenland: In der Warteschleife
> Im Finanzamt von Athen stapeln sich die Papiere, Internet gibt es nicht.
> Der Reformbedarf ist riesig, die Hoffnung hält sich in Grenzen.
Bild: Durch viele Steueränderungen sind Bürger_innen verunsichert.
Athen taz | Der Finanzbeamte Giannis Pappas seufzt und legt ein paar
Unterlagen zur Seite. Papierstapel häufen sich auf den Kommoden gegenüber
seinem Schreibtisch. „Wir arbeiten hier unter antiquierten
Voraussetzungen“, sagt Pappas und lacht auf. Sie hätten hier nicht einmal
einen Internetanschluss. „Sogar der Großteil der Laptops der Angestellten
ist privat.“ Einige Angestellte nicken.
Pappas, der auf Immobilien spezialisiert ist, sitzt im vierten Stock eines
Finanzamts im Zentrum von Athen. In den letzten fünf Jahren musste er mit
ansehen, dass der Wert von Immobilien in Griechenland immer weiter sinkt.
Laut Statistik der griechischen Nationalbank sind die Preise seit 2008 um
40,3 Prozent eingebrochen, in Thessaloniki sogar um 41,7 Prozent. Der Preis
jeder Immobilie richte sich eigentlich nach der Wertermittlung, die der
Staat zum Beispiel nach der Lage der Immobilie ermittelt, erklärt Pappas.
„Doch diese Wertbestimmung ist nicht mehr real.“
Er nimmt einen Ordner zur Hand und pocht auf das oben aufliegende Blatt.
„Hier, diese Wohnung zum Beispiel ist vom Staat auf den Wert von 79.143.65
Euro festgelegt“, sagt er. Früher konnte man die Wohnungen deutlich über
diesem Wert verkaufen. Doch die Wirtschaftskrise hat den griechischen
Immobilienmarkt zerstört. Neben dem Schätzwert des Staates steht eine
weitere Zahl. „Die Verkäufer müssen heute, um überhaupt einen Käufer zu
finden, mit den Preisen sogar unter diesen Schätzwert gehen. Letztendlich
zahlt der Käufer für diese Wohnung nur noch 28.000 Euro.“
Trotzdem werden Verkäufer ihre Immobilien kaum noch los. Denn die Steuern,
die der potenzielle neue Besitzer zahlen muss, werden nach dem Schätzwert
des Staates berechnet. Da der reale Verkaufswert so tief gefallen und
dennoch die hohen Steuern erhoben werden, seien Wohnungen heute praktisch
nichts mehr wert. Pappas lacht bitter auf. Viele der Verkaufswilligen haben
ihre Immobilie noch nicht einmal abbezahlt. Sie wollen unbedingt verkaufen,
da sie zum Beispiel ihren Arbeitsplatz verloren haben oder ihr Monatslohn
gekürzt wurde. Auf diesen monatlichen Einnahmen basiert allerdings das
aufgenommene Darlehen, das sie nun nicht mehr tilgen können. Diese Menschen
sitzen in der Klemme, weil sie nicht verkaufen, aber auch das Darlehen
nicht stoppen können.
## Korruption und fehlende Infrastruktur
„Das Steuersystem hierzulande ist ungerecht“, sagt auch Trifon Alexiadis,
ehemaliger Vorsitzender des Verbands der Steuerämter für die Region Attiki
und Kykladen und jetziger Vizefinanzminister. Die vorherigen Regierungen
hätten nicht den politischen Willen gehabt, gegen ungerechte Verteilung und
Steuerflucht anzugehen. Den Steuereintreibern seien oft die Hände gebunden.
Sie bräuchten zunächst erst mal dieselben Standards wie andere europäische
Länder. Dazu gehöre eine vernünftige Infrastruktur. Hauptsächlich werde
hier noch mit Briefsendungen gearbeitet, sagt Alexiadis.
Es hält sich derzeit das Gerücht, dass im Bereich der SteuerbeamtInnen
Korruption besonders verbreitet ist. Dass zum Beispiel dem Bürger Steuern
für einen Bonus an den Steuerbeamten erlassen werden. Ja, das Phänomen gebe
es, sagt Alexiadis. Allerdings ist er überzeugt, dass die Korruption im
Berufsbereich der SteuerbeamtInnen nicht höher sei als in anderen
Arbeitsbereichen im Lande oder in anderen Ländern in diesem Bereich.
„Hier in Griechenland tragen die komplizierten Strukturen des Steuersystems
und die hauptsächlich nicht digitale Form von Dokumenten enorm dazu bei,
Korruption zu vertuschen“, seufzt er. Wenn ein einfaches Computersystem
Transparenz in die Geschichte bringen könnte, wäre beiden Seiten geholfen:
Die Korruption aufseiten der SteuerbeamtInnen, sowie die
Steuerhinterziehung aufseiten der BürgerInnen würde nachlassen.
Als die Sparpakete verabschiedet wurden und auf Druck der Troika zahlreiche
Beamte entlassen werden mussten, entließ die damalige Regierung
ausgerechnet Beamte im Finanzbereich. Zudem nahm diese Regierung in den
zweieinhalb Jahren 48 Änderungen im Steuergesetz vor. „Um die Steuerflucht
effektiv bekämpfen zu können, brauchen wir Stabilität in der Gesetzeslage“,
so Alexiadis.
## Wirkungslose Gesetze
Zudem müssten vorhandene Gesetze auch angewendet werden: Mit dem ersten
Memorandum 2010 wurde entschieden, dass Medienhäuser eine spezielle Steuer
zahlen sollen. „Dieses Gesetz greift aber bis heute nicht“, sagt er.
Selbstverständlich müsse der Steuerbetrug von Tavernenbesitzern,
Elektrikern oder des Klempners aufhören, ja – aber die wirklichen
Schwergewichte sind andere. Die Steuerhinterziehung in Griechenland sei
kein Zufall. „Sie ist das Resultat von politischen und ökonomischen
Interessen“, betont Alexiadis. Ein Geklüngel aus Ökonomen, Medienhäusern
und natürlich Politikern, die hier das Sagen haben wollen.
Seit Beginn der Krise wurden Angestellte vermehrt bedroht oder beschimpft –
viele Kunden sind nach etlichen Steuererhöhungen verzweifelt. „Uns wurde
ein lächerliches EU-finanziertes Programm aufgedrückt, das uns beibringen
sollte entsprechend zu reagieren“, berichtet Alexiadis. Doch das Programm
kratzte nur an der Oberfläche. „Es half, das System zu verbergen – es
sollte uns helfen, mit der Wut der Bürger umzugehen.“ Um aber wirklich zu
helfen, müsse sich das System hier ändern. Als neuer stellvertretender
Finanzminister hat Trifon Alexiadis der Steuerflucht nun den Kampf
angesagt.
Ioanna Chrisogelou wartet derweil auf dem Flur des Finanzamts, um mit ihrer
Beraterin zu sprechen. „Wir kommen Monat für Monat gerade so über die
Runden“, erzählt die Lehrerin. Ihr Leben lang habe sie gearbeitet. Sie
verdiene 1.500 Euro pro Monat. „Davon gehen allein 1.000 Euro ans Finanzamt
und an meine Versicherung.“ Ihrem Sohn gebe sie monatlich 300 Euro fürs
Studium. „Meinem Mann und mir bleiben also für alles andere, wie zum
Beispiel Nahrungsmittel, 200 Euro im Monat.“ Ständig ändere sich etwas,
neue Steuern werden den BürgerInnen auferlegt. Diese Unsicherheit, was
morgen kommt, sei tragisch, sagt sie, bevor sie hinter der Tür zum
Beratungszimmer verschwindet.
5 Sep 2015
## AUTOREN
Theodora Mavropoulos
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