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# taz.de -- Schulmaterial zur Eurokrise: Die Griechen sind selbst schuld
> In Deutschland lernen SchülerInnen andere Ursachen für die Eurokrise als
> in Nachbarländern. Die meisten Materialien sind zu einseitig.
Bild: „Die Griechen“ haben sogar Schlumpfballons.
„Erläutern Sie, wie es zur Schuldenkrise in Griechenland kam und
diskutieren Sie Lösungsansätze.“ So könnte eine Abituraufgabe im Fach
Politik lauten. Aber für welche Antworten vergibt der Lehrer die volle
Punktzahl?
Ob die Griechen tatsächlich über ihre Verhältnisse gelebt oder die
ausländischen Rating-Agenturen das Land in den Ruin getrieben haben, wird
in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Und damit sollte es auch im
Unterricht kontrovers behandelt werden. So schreibt es zumindest der
Beutelsbacher Konsens vor, deren Leitlinien seit 1976 für die politische
Bildungsarbeit in Deutschland gelten. Dass Schulmaterialien diese Vorgabe
nicht immer einhalten, ist das Ergebnis der Studie „Griechenland
unterrichten“ der Universität Duisburg-Essen.
Im Unterricht werde, ähnlich wie in deutschen Medien, ein einseitiges Bild
gezeichnet, resümiert Professor van Treeck: Schuld an der Krise seien in
den meisten Publikationen – die Griechen. Da es zu solch aktuellen Themen
wegen langwieriger Zulassungsverfahren kaum Schulbücher gibt, müssen Lehrer
kreativ sein, wenn sie mit ihren Schülern über Syriza oder die Troika
diskutieren wollen – oder auf Onlinematerialien zurückgreifen.
Holger Manner lässt seine Schüler im Unterricht Zeitungsartikel zur
Eurokrise vergleichen. Der Lehrer aus Berlin-Brandenburg hat beobachtet,
dass die Jugendlichen oft mit gängigen Vorurteilen in den Unterricht
kommen, aber auch schnell die Kritik am Mainstreamdiskurs verstehen. Neben
Pressearchiven stünden Manner noch Materialien diverser Institutionen zur
Verfügung. Und die vertreten sehr unterschiedliche Ansichten, fand Ökonom
van Treeck heraus: Bei Publikationen der vom Deutschen Gewerkschaftsbund
gegründeten Hans-Böckler-Stiftung fände sich Kritik an der „neoklassischen
Lehre“. Nach dieser in vielen anderen Materialien vorherrschenden
Sichtweise gefährdeten steigende Löhne, der Wohlfahrtsstaat sowie hohe
Steuern für Unternehmen und Reiche die Wettbewerbsfähigkeit.
## Wie unumstößliche Wahrheiten
Eine einseitig neoklassische Perspektive attestiert der Wissenschaftler der
Plattform „Wirtschaft und Schule“, auf der sich Lehrer Arbeitsblätter oder
ganze Unterrichtsstunden herunterladen können. Herausgeber der Seite: das
Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Obwohl darauf hingewiesen wird,
dass sich die Autoren um Ausgewogenheit „bemühen“, stellen sie die Ursachen
der Krise wie unumstößliche Wahrheiten dar. „Als der wirtschaftliche
Aufschwung wieder abflaute, begingen die Griechen den Fehler, die Löhne
weiterhin steigen zu lassen“, heißt es beispielsweise in einem Text. Dass
sich eine wirtschaftsnahe Plattform nicht an deutschen Exportüberschüssen
stört, ist wenig verwunderlich.
Auch dem Material der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) fehlt der
Studie zufolge eine plurale Perspektive. Handelsüberschüsse würden
ausschließlich positiv bewertet und Austeritätsmaßnahmen als unverzichtbar
dargestellt. „Der Bundeszentrale würde ich keine absichtliche
Unterschlagung verschiedener Perspektiven unterstellen“, sagt van Treeck.
Dass ökonomische Gegenargumente fehlten, könnte an der Einseitigkeit in den
deutschen Wirtschaftswissenschaften liegen.
Lehrer Manner hingegen befindet die Materialien der bpb für gut. Er hat
keine Bedenken, sie im Unterricht einzusetzen: „Meiner Ansicht nach sind
die sehr differenziert. Die soziale Härte der Sparmaßnahmen wird umfassend
dargestellt.“ Genau das jedoch stört Wissenschaftler van Treeck. Wenn
ökonomischen Argumenten soziale Kritik entgegengestellt werde, sei das
keine Kontroverse auf Augenhöhe. Stattdessen müsse die neoklassische Lehre
auch aus wirtschaftlicher Perspektive kritisiert werden, so wie in
Frankreich.
Dass die Jugendlichen in Deutschland etwas völlig anderes über die Krise
lernen als in anderen Ländern, bezeichnet die Studie als „problematisch“.
Auf diese Weise sei es äußerst schwierig, die europäische Zivilgesellschaft
zu schaffen, zu der man die Jugend eigentlich erziehen wolle.
Berichtigung: In taz-Ausgabe vom 02. September stand fälschlicherweise
folgender Satz: Bei Publikationen der vom Deutschen Gewerkschaftsbund
gegründeten Hans-Böckler-Stiftung fände sich überall die „neoklassische
Lehre“ in Reinform. Dies wurde hier korrigiert.
8 Sep 2015
## AUTOREN
Josephine Schulz
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Schwerpunkt Krise in Griechenland
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Schule
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