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# taz.de -- Debatte Naher Osten: Der Iran? Alles ist bestens!
> In jüngster Zeit ist eine erstaunliche Veränderung in deutschen
> Iran-Berichten zu beobachten. Sie passen sich der politischen
> Großwetterlage an.
Bild: Teheran ist plötzlich wieder ein Freund: Sigmar Gabriel (l.) plaudert mi…
Die iranische Regierung hat den Medien des Landes eine Handreichung
gegeben, wie über die Nuklear-Vereinbarung von Wien zu berichten sei:
Positiv! Optimistisch! Und wenn ein Politiker des Westens zitiert wird,
dann bitte sofort die Stellungnahme eines iranischen Offiziellen
hinzufügen!
Derartiges würden sich unsere Medien natürlich nicht bieten lassen. Gerade
wurden die Anmaßungen von Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft mit viel
Vibrato zurückgewiesen – nicht ohne dabei die gute alte Spiegelaffäre
zärtlich zu entstauben. In den seltenen Fällen, wenn bei uns die
Pressefreiheit institutionell angetastet wird, schwingt sich die Branche
behände auf die Barrikaden, vorweg die älteren, öffentlich-rechtlichen
Jahrgänge.
Alles also weit weg von Iran? Nicht ganz.
In jüngster Zeit ist nämlich eine erstaunliche Veränderung hiesiger
Iran-Berichterstattung zu beobachten. Westliche Wirtschaftsdelegationen
stürmen Richtung Teheran, der Wettkampf um den neuen Markt ist eröffnet,
und schon wird in den Medien die Stimmung – positiver! Die Zahl der
Hinrichtungen in Iran ist derzeit so hoch wie lange nicht; Journalisten,
Künstler, Anwälte werden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. All das
interessiert nun nicht mehr so brennend; schließlich soll sogar deutsche
Milch nach Iran fließen.
Solange die geopolitische Stimmung vom Wunsch der USA dominiert wurde, in
Teheran einen regime change herbei zu führen, beteiligten sich viele Medien
an einer Dämonisierung Irans. In keiner Diktatur, außer Nordkorea, schienen
die Gefängnisse schlimmer. Nun wird Iran zum Beispiel, wie sich mit einer
neuen politischen Großwetterlage der Blick ändert. Seit der Unterschrift in
Wien haben iranische Menschenrechts-Verletzungen abrupt an Gewicht
verloren. Einer Handreichung hat es dafür nicht bedurft.
Die ägyptische Regierung droht Journalisten mit Haftstrafen, falls sie über
einen Terror-Anschlag anderes verbreiten als die offizielle Lesart des
Geschehens. Zum Glück sind wir von solchen Zuständen weit entfernt. Wann
aber erfahren wir etwas über den War on Terror, das von den Verlautbarungen
der wichtigsten westlichen Sicherheitsagenturen einmal richtig krass
abweichen würde?
## Retter der Ehre des Journalismus
Beispiel Drohnen: Das Medienbild vom Drohnenkrieg in Afghanistan und
Pakistan entsteht nun tatsächlich nach Handreichungen, nämlich denen der
CIA. Unlängst wurden wieder einmal 30 Menschen beim Verlassen einer
Beerdigung abgeschossen – ohne Beweis werden sie zu Taliban erklärt
(wahlweise Al Qaida oder IS). Abweichendes liefert das Londoner Bureau of
Investigative Journalism: wiederum, wie bei netzpolitik.org, eine
spendenfinanzierte neue Form von Journalismus, welche die Ehre der Branche
rettet, ohne dass diese es verdient hätte. Bei 646 Drohnenangriffen in
Pakistan, Somalia und Jemen, die vom Bureau untersucht wurden, sind nach
dessen Darstellung 225 Kinder getötet worden. Selbst wenn diese
schockierende Zahl zu hoch gegriffen wäre: Wie viele solcher Kinder haben
es auf die Titelseite einer großen westlichen Zeitung geschafft?
Wer wissen will, wie unser tägliches Bild der Welt entsteht, muss eine
simple Frage stellen: Welches Leben, welches Sterben zählt – und wer
bestimmt jeweils den Takt des Zählens?
Drohnen sind dabei nicht nebensächlich, denn es sind die Kriegswaffen der
Zukunft. Jüngst wurden in den USA Klagen von Luftwaffen-Personal hörbar:
Unter Traumata leiden nicht nur die Piloten der Drohnen; in jeden Einsatz
sind Dutzende Analysten und Techniker involviert. Anti-Drohnen-Aktivisten
fordern nun eine Anhörung, ein Veteranen-Hearing nach dem Vorbild der
sogenannten „Winter Soldier Investigation“ von 1971, die der Öffentlichkeit
eine abweichende Lesart des Vietnam-Kriegs lieferte. Wenn die Wahrnehmung
fremden Leids aus ideologischen Gründen blockiert ist, kann es helfen, das
Leid der eigenen Leute zu sehen, die abgestellt werden, solche Taten zu
verüben.
## Geistig-politische Hegemonie
Der Vergleich mit dem Vietnamkrieg zeigt allerdings auch, was sich seit
Beginn des War on Terror geändert hat: Die eigene, westliche Seite
anzuprangern, ist äußerst schwer geworden. Früher war es
begründungspflichtig, einem Krieg zuzustimmen. Heute muss sehr gut
begründen, wer dagegen ist. Da ist eine geistig-politische Hegemonie
entstanden, in der inhaltliche Positionen überhaupt nur als solche
wahrgenommen werden, wenn sie außerhalb des stillschweigend Vereinbarten
stehen. Gleiches gilt für die Entscheidungen, was berichtet wird – und wie.
Unter diesen Umständen könnte Pressefreiheit bedeuten: eine Öffentlichkeit
herstellen, die nicht am Zügel westlicher Außen- und Geopolitik geht.
Ein letztes Beispiel: Seit März, als Saudi-Arabien begann, den Jemen zu
bombardieren, sind mehr als 10.000 Flüchtlinge, unter anderem aus Somalia,
in den Jemen hinein geflüchtet. Sie überquerten unter Lebensgefahr den Golf
von Aden, weil Schlepper ihnen vorgaukelten, der Krieg im Jemen sei zu
Ende. Lässt sich eine tragischere Art des Nicht-Informiert-Seins denken,
als den Tod durch Ertrinken zu riskieren, um dorthin zu gelangen, wo andere
massenhaft auf der Flucht sind?
Wir aber, wir Glücklichen, Bestinformierten, was wissen wir? Der
Jemen-Konflikt wird nun als „vergessener Krieg“ bezeichnet, das ist
irreführend. Er wird toleriert – verschämt, schweigend, wegsehend, denn es
ist ein Verbündeter des Westens, der ihn führt. 4000 Tote, 20.000
Verletzte, davon 9000 Schwerstverwundete. Jeder Zweite hungert, es gibt
kein Wasser, eine See-Blockade verhindert humanitäre Hilfe, Wohngebiete
werden bombardiert. Human Rights Watch spricht von Kriegsverbrechen.
Würde all dies vom IS begangen, welch ein Aufschrei!
800.000 Flüchtlinge sind innerhalb des Jemen bei Gast-Familien
untergekommen, bei Familien, die selbst Hunger leiden. „Die Jemeniten
lassen eine große Belastbarkeit und Solidarität erkennen“, heißt es in
einem Schreiben der Vereinten Nationen. Wenigstens das sollten wir wissen,
gerade in diesen Tagen.
7 Aug 2015
## AUTOREN
Charlotte Wiedemann
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