# taz.de -- Autorin über Europas vegetarische Küche: In Deutschland ist Sahne… | |
> Wie unterscheiden sich die vegetarischen Küchen Europas? Wo weniger | |
> wächst, wird ausgiebiger gekocht, sagt Katharina Seiser. | |
Bild: Sieht doch auch ohne Sahne ganz lecker aus | |
taz.am wochenende: Frau Seiser, Sie haben jetzt schon einige Bücher über | |
vegetarische Traditionen geschrieben. Gibt es ein Land, das man kulinarisch | |
als das Indien Europas bezeichnen kann? | |
Katharina Seiser: Ich bin immer vorsichtig mit solchen Vergleichen. | |
Kulinarische Großtraditionen gegeneinanderzustellen, schafft nur Unmut und | |
verbirgt auch den besonderen Charakter der Landesküche. | |
Dann sagen Sie uns, was mit der wohl größten Gemüseküche in Europa | |
aufwarten kann. | |
Selbstverständlich die mediterrane Küche. Und darunter ganz sicher Italien. | |
Die Küche ist vielfältig, eigenständig, alltagstauglich, so wie wir das | |
auch aus Indien kennen, und arbeitet ebenfalls viel mit Hülsenfrüchten, | |
also mit Bohnen, Linsen und Kichererbsen. | |
Aber es gibt einen Unterschied? | |
Dass man in Speisekarten neben einem Gericht die Varianten „Veggie“ und | |
„Non-Veggie“ angeboten bekommt, ist in Europa noch nicht vorstellbar. In | |
Indien hat der Vegetarismus einen starken religiösen Hintergrund. In Europa | |
ist das anders. Es gibt im christlich-katholischen Glauben nur den Freitag | |
als fleischfreien Tag. | |
Ist Vegetarismus in katholischen Ländern dann auch tiefer verankert? | |
Ach wo. Wir wissen ja, wie findig die Klöster waren, sich möglichst üppige, | |
wohlschmeckende und auch tierische Mahlzeiten auszudenken, die den | |
Fastenregeln entsprachen. Da wurde der Biber zum Fisch erklärt. Oder in | |
Schwaben das Fleisch in der Maultasche, dem „Herrgottsbscheißerle“, | |
versteckt. Nein, ganz im Gegenteil. Man darf nicht vergessen, wir leben in | |
einer Zeit, in der die Sonntagsküche zum Alltag erhoben worden ist. | |
Sie meinen: Wir haben in Europa eine viel breitere vegetarische Kultur, als | |
wir glauben. Wir haben sie nur vergessen? | |
Das ist der Grund, warum ich eine Buchreihe zu diesem Thema herausgebe. | |
Lassen sie uns eine kleine Europareise machen. Schauen wir uns ein paar | |
Länder an. Sie kommen aus Österreich, und da gibt es die Mehlspeise. Ein | |
vegetarisches Unikum. | |
Wenn man damit gleichzeitig eine süße Hauptspeise meint, in jedem Fall. Die | |
Mehlspeise hat sich ja auch aus den Freitagen entwickelt. Die Menschen | |
haben sich gesagt, wenn wir schon kein Fleisch essen dürfen, dann soll es | |
wenigstens etwas Gescheites sein, was anderes als Suppe oder Salat. Ob | |
Knödel, Strudel, Nockerl, Tascherl oder Schupfnudeln: Rund um den Teig hat | |
sich eine enorme Vielfalt entwickelt. | |
Woran liegt das? | |
Meiner Ansicht nach daran, dass es in den Alpen viele abgeschiedene Lagen | |
gab, wo es wenig Gemüse gab, die Menschen gut mit Mehl bevorratet waren und | |
leichten Zugang zu Milch und Milchprodukten hatten. Mehl und Milch sind die | |
Hauptzutaten für die meisten Mehlspeisen. | |
Es gab da keinen Einfluss durch die böhmische Küche? | |
Doch, aber der führte eher zur Veredelung einer Kultur, die ohnehin schon | |
existierte. Man darf nicht vergessen, dass in bäuerlichen Gegenden in | |
Österreich noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts Getreidebreie, sogenannte | |
Muse, mal süß mal salzig, eigentlich zu jeder Mahlzeit gängig waren. Heute | |
wird in Österreich gar nicht mehr zwischen einer Festtags- und einer | |
Alltags-Mehlspeise unterschieden. Der Apfel- oder Topfenstrudel ist ein | |
fester Bestandteil der Küche als süße Hauptmahlzeit. | |
Haben die vegetarischen Küchen auch jeweils unterschiedliche Leitgemüse? | |
Spannende Frage, aber eigentlich nein. Gerade was Österreich angeht. Hier | |
ist die Tomate sicher genauso beliebt wie das Kraut. Mir fällt kein Land | |
ein, für das man diese zwei Gemüse in einem Atemzug nennen kann. In | |
niederen Lagen wächst bei uns eigentlich alles, was auch die italienische | |
Küche prägt. Es ist eher die Würzung und Zubereitungsart, die die | |
vegetarischen Küchen unterscheidet. In Österreich sind das Kräuter, in | |
Deutschland dagegen ist das wichtigste Gewürz Sahne. | |
Soll das despektierlich klingen? | |
Nein, gar nicht. Die Gemüsevielfalt ist kleiner, Kartoffeln, Kohl und | |
Zwiebelgewächse sind in der deutschen Küche viel dominanter. Dafür aber | |
habe ich den Eindruck, dass die traditionellen vegetarischen Rezepte oft | |
viel elaborierter sind. Und oft drehen sich die Gerichte nicht um ein | |
bestimmtes Gemüse, sondern gleich um ein ganzes Ensemble. | |
Zum Beispiel? | |
Man trifft immer wieder auf zum Teil zeitintensive, zum Teil geschmacklich | |
recht komplexe Gerichte. Zum Beispiel die Pfälzer Grumbeerwaffele mit | |
Sahnepfifferlingen. Dafür muss man Kartoffelteig im Waffeleisen backen, | |
außerdem noch Pilze putzen und eine Sauce zubereiten. Das ist recht | |
aufwendig, vor allem im Vergleich zu einer vegetarischen Schnellküche wie | |
der italienischen. Mein Liebling ist aber der große Hans. Das Rezept stammt | |
aus Nordfriesland: Ein salziger Kuchen, der mit einem Backobst-Kompott und | |
Senfsauce serviert wird. Das ist spannend. Nach Norden hin nehmen in | |
Deutschland Geschmackskombinationen zu, wie wir sie eher aus den | |
asiatischen Küchen kennen. | |
Ihr nächstes Buch befasst sich mit der Türkei. Einem Land, bei dem viele | |
zuerst an Döner denken. | |
Denen dabei eine faszinierende Welt entgeht. In der Küche lebt der | |
Vielvölkerstaat weiter, der dieses Land einmal war. Und das kommt in der | |
vegetarischen Küche viel mehr zum Ausdruck als bei Grillspießen. Es gibt | |
hier Anklänge an die einfache mediterrane genauso wie an die orientalische | |
Küche. Kulinarisch ist die Türkei absolut ein Kulturvermittler. | |
Und es gibt in der türkischen Küche auch ein Gericht, das einen | |
wunderschönen Namen hat: „Der Imam fiel in Ohnmacht.“ | |
Herrlich, diese gefüllten und geschmorten Auberginen. Meine Autoren fanden, | |
der Titel sei zu wenig aussagekräftig. Im Buch heißt es jetzt: „Den Imam | |
hat es umgehauen“. | |
9 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Jörn Kabisch | |
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