# taz.de -- Burschenschaften: Gefährliche Burschen | |
> Wenn Schüsse fallen: In Göttingen eskalieren die Konflikte zwischen | |
> Burschenschaftlern und linken Studierenden. | |
Bild: Hoffen auf ein Ende der Burschenschaften: Demonstrierende in Göttingen. | |
GÖTTINGEN taz | Als die Schüsse fielen, probte in der Bühlstraße 28 eine | |
Band. Mit einer Druckluftwaffe hatte jemand aus dem Dachgeschoss der | |
Burschenschaft Germania quer über die Straße in das gegenüberliegende | |
Wohnheim geschossen. Mehr als sechzig Kugeln fand die Hausgemeinschaft im | |
Vorgarten, zwei weitere drangen auf Kopfhöhe durch das geöffnete Fenster | |
ein und verfehlten ein Bandmitglied nur knapp. | |
Auch wenn es an jenem 19. Juli keine Verletzten gab und wohl niemand in | |
Lebensgefahr schwebte, haben die Schützen schwere Körperverletzung bewusst | |
in Kauf genommen. Die Polizei konfiszierte im Haus der Burschenschaft | |
Germania zwei Druckluftgewehre; gegen einen der beiden beteiligten Schützen | |
wird ermittelt. | |
„Solche Vorfälle korporierter Gewalt müssen wir ernst nehmen“, sagt der | |
Sprecher der Wohnrauminitiative, in der auch die Bühlstraße 28 organisiert | |
ist. Selbst wenn er sich aufregt, spricht der 25-Jährige besonnen. Seine | |
ruhige, beinahe lakonische Art tut der kämpferischen Wortwahl aber keinen | |
Abbruch: „Wir werden Göttingens Straßen nicht den Burschenschaftlern | |
überlassen!“ sagt er. Wenn er sich nicht genau an ein Detail erinnert, | |
verweist er beiläufig an seinen Anwalt. Um sich zu schützen, will er nicht | |
namentlich genannt werden. | |
Auf Krücken zeigt der Soziologiestudent den Weg in den Garten, noch ist | |
sein Gang mit der Gehhilfe etwas unsicher, sein Blick ist hellwach. Dass er | |
nicht aufgebrachter oder hitziger erzählt, ist umso erstaunlicher, als auch | |
seine Verletzung mit einer Burschenschaft zu tun hat: Vier Tage vor dem | |
Pumpgun-Angriff, am Nachmittag des 14. Juli fuhr der Sprecher der | |
Wohnrauminitiative mit dem Fahrrad nach Hause, vorbei an dem imposanten | |
Vorstadthaus der Landsmannschaft Verdensia. | |
Dort, in direkter Nachbarschaft zum Deutschen Theater, beobachtete er zwei | |
Burschenschaftler, wie sie mit einem Hochdruckreiniger versuchten, einen | |
„Fuck AFD“-Schriftzug und die üblichen Farbkleckse von der Fassade ihrer | |
Villa zu entfernen. | |
Die beiden „Burschis“ hinderten ihn am Weiterfahren, als er mit seinem | |
Smartphone ein Foto von ihnen machen wollte. Der 25-Jährige versucht zu | |
wenden, wobei ihn einer der beiden am Arm packte und vom Rad schubste. Was | |
nach einer harmlosen Rangelei klingt, brachte dem | |
Wohnrauminitiativen-Sprecher einen Kreuzband-, einen Meniskusriss und einen | |
Knorpelschaden im Knie. „Die juristische Sachlage sieht gut für mich aus“, | |
sagt der 25-Jährige optimistisch, auch weil er eine glaubwürdige Zeugin | |
hat. | |
Nach mehrmaligem Klingeln öffnet ein Burschenschaftler das Dachfenster der | |
Verdensia-Villa. Weil er den Vorfall aber nicht für die ganze Nachbarschaft | |
hörbar besprechen will, öffnet er doch die Haustür. | |
Die Gesprächsbereitschaft bleibt auch auf Augenhöhe eher verhalten: „Unsere | |
alten Herren haben uns Presseverbot gegeben“, ist die einzige Auskunft, die | |
sich zwei Studenten Anfang 20 entlocken lässt: Nichts gegen Sie, heißt es | |
freundlich, es liege daran, dass die Presse nicht für ihre neutrale | |
Berichterstattung bekannt sei, erklären die Jungs, bevor sie die Tür ins | |
Schloss fallen lassen. Ich muss an das Unwort „Lügenpresse“ denken und | |
verstehe, wie eng Burschenschaften wie die Hannovera und die AfD | |
zusammenhängen. | |
Lars Steinke etwa, ein Wortführer in der Hannovera und in neurechten | |
Magazinen, hat die Göttinger Hochschulgruppe „Junge Alternative“ gegründe… | |
eine Ortsgruppe der Jugendorganisation der AfD. Doch den Verbindungen | |
gelingt es nicht, in der Hochschulpolitik wirklich Fuß zu fassen. | |
Bei den letzten Wahlen zum Studierendenparlament konnte Steinke mit seiner | |
„Jungen Alternative“ keinen einzigen Sitz ergattern. Sein Vortrag | |
„Universitäten – Chancen für die AfD“ wurde von der Göttinger Uni-Dire… | |
abgesagt, nachdem autonome Studierendengruppen eine Blockade angekündigt | |
hatten. | |
Die Burschenschaft Germania hat sich mittlerweile bei den BewohnerInnen der | |
Bühlstraße 28 entschuldigt. In einem Offenen Brief heißt es, dass sie die | |
Schüsse bedauern: „Wir distanzieren uns von den an der Tat Beteiligten und | |
möchten zudem darauf hinweisen, dass diese zum Zeitpunkt der Tat nicht | |
Mitglied der Burschenschaft Germania waren.“ Weitere Auskünfte wollen die | |
Germania-Studenten weder vor Ort noch am Telefon geben. | |
Wenn man sie nach Gründen fragt, verweisen sie auf Klausurenstress – mitten | |
in den klausurfreien Semesterferien. Die Bühlstraße 28 begrüßte das | |
Entschuldigungsschreiben in einem Brief. Aber der endet sehr deutlich | |
damit, dass „auch bei einem friedlichen, nachbarschaftlichen Verhältnis“ | |
der Konflikt mit der Germania erst an dem Tag beigelegt sei, an dem sie | |
„Ihren elitären Männerbund auflösen.“ | |
Konfrontationen wie in der Bühlstraße sind in Göttingen kein neues | |
Phänomen. Seit Jahrzehnten gibt es gegenseitige Sticheleien zwischen den | |
Burschenschaftlern und anderen Studierenden: Die einen bewerfen die | |
Vorstadtvillen der Verbindungen mit Farbbeuteln, die anderen klauen, | |
womöglich als Mutprobe oder Aufnahmeritual die Transparente der anderen. | |
Vorgärten wurden verwüstet, Nachbarn verunglimpft und beleidigt. Vor zehn | |
Jahren steckten zwei Verbindungsleute sogar eine Ausstellung des AStA in | |
Brand. Erschreckend ist jedoch die Häufung der offenen und direkten Gewalt | |
gegen Menschen. | |
Auch deshalb fanden sich am vergangenen Montagabend laut Göttinger | |
Tageblatt mehr als 200 Demonstrierende am Gänseliesel zusammen. Unter dem | |
Motto „Rechte Konjunktur lahmlegen“ bewegte sich der Demonstrationszug in | |
das Göttinger Ostviertel, vorbei an mehreren Verbindungshäusern. In der | |
Theaterstraße drohte die Situation zu eskalieren, als neben Farbbeuteln | |
auch Pyrotechnik auf das Haus der Landsmannschaft Verdensia geworfen wurde. | |
Der weitläufige Garten des heruntergewohnten Wohnheims in der Bühlstraße | |
grenzt an ein Verbindungshaus. Dort veranstaltete der Sprecher der | |
Wohnrauminitiave im letzten Jahr ein sechswöchiges Camp für wohnungslose | |
Erstsemester. Das Wohnheim, das er mit 15 anderen Studierenden teilt, wird | |
seit drei Jahrzehnten vom Studentenwerk verwaltet, das | |
Instandhaltungsarbeiten offenbar verzögert. | |
Bald könnte das Haus als baufällig eingestuft werden und somit geräumt | |
werden, sagt der Soziologiestudent und streicht über den Holztisch, als | |
wolle er die Wogen glätten: „Es ist kein Zufall, dass sich in letzter Zeit | |
die Vorfälle von rechts häufen“, sagt er. | |
Obwohl er nun wochenlang auf Krücken angewiesen ist, klingen seine | |
Erklärungsversuche nicht nachtragend, sondern sachlich: | |
„Gesamtgesellschaftliche Entwicklungen wie Pegida und die | |
Flüchtlingsdebatte geben den Burschenschaftlern Rückenwind bei dem Versuch, | |
sich die Straße offensiv zurückzuerobern.“ | |
Leicht haben die Verbindungen es in Göttingen dennoch nicht. Sie haben in | |
ihrer etwa 200-jährigen Tradition schon bessere Zeiten gesehen. Einst waren | |
sie tatsächlich eine gesellschaftliche Elite, eine studentische Basis in | |
der konservativen niedersächsischen Universitätsstadt. Der | |
nationalsozialistische Studentenbund Göttingen leitete bereits 1933 die | |
Verbrennung von regimekritischen Büchern in die Wege. | |
Auch in der Nachkriegszeit wurde die Hochschulpolitik von Konservativen | |
dominiert. Erst mit der Studentenbewegung 1968 kippte der Stimmanteil im | |
Studierendenparlament drastisch nach links. Seitdem hat sich in Göttingen | |
eine aktive, linke Szene gebildet, die an der Uni und durchaus auch im | |
Stadtbild präsent ist. | |
Heute gibt es zwar noch über 40 Verbindungen in der Stadt, in denen etwa | |
500 Männer sowie einige Frauen organisiert sind, so Rune Wiedner, ein | |
Göttinger Szenebeobachter. Einige Verbindungen hätten jedoch mit immensen | |
Nachwuchssorgen zu kämpfen, sodass sie sogar ortsfremde Werksstudenten | |
aufnehmen, was für die elitären Männerbünde noch vor wenigen Jahren | |
unvorstellbar gewesen wäre. | |
Zudem hat der Dachverband Deutscher Burschenschaften (DB) seit einigen | |
Jahren mit Austritten ganzer Verbindungen zu kämpfen. Die Burschenschaft | |
Hannovera verzichte etwa aus strategischen Gründen auf eine | |
DB-Mitgliedschaft, seit der Dachverband für seine nationalistischen | |
Tendenzen öffentlich in die Kritik geriet, so Wiedner. | |
Wie lange die Burschenschaftler noch die Farbattacken auf ihre Fassaden | |
hinnehmen werden, ist nicht absehbar. Rune Wiedner findet die Häufung der | |
Vorfälle zwischen ihnen und den anderen Studierenden zwar „bedenklich – | |
aber eine Gewaltspirale kann ich nicht erkennen“. Die Demonstration gegen | |
ausfällige Burschenschaftler ist jedoch ein Zeichen, dass die Bewohner | |
Göttingens die wachsende Gewaltbereitschaft von rechts nicht mehr lange | |
dulden werden. | |
Die Universität hat auf Anregen der Grünen Jugend mittlerweile die Links zu | |
allen Verbindungen von ihrer Website entfernt. „Das begrüßen wir, ist aber | |
nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung“, sagt der Student aus der | |
Bühlstraße 28, stützt sich auf seine Krücke und verschwindet mit Hilfe | |
vieler kleiner Schritte in seinem umkämpften Haus. | |
16 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Kornelius Friz | |
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