# taz.de -- Oppositionelle Stimmen in Russland: Was Putin nicht mag | |
> Burda vertreibt die regimekritische russische Zeitung „New Times“ kaum | |
> noch. Steckt die Macht des Kreml dahinter? | |
Bild: Chefredakteurin Albats gedenkt der Opfer des abgeschossenen Malaysia-Airl… | |
Ausländische Medienhäuser haben es derzeit nicht leicht in Russland. Im | |
Oktober vergangenen Jahres unterzeichnete Präsident Wladimir Putin ein | |
Gesetz, das die Anteile ausländischer Investoren an Medienverlagen auf 20 | |
Prozent begrenzt. Dies setzt auch deutsche Verlage unter Druck, die in | |
Russland aktiv sind. Etwa den Axel-Springer-Verlag oder das Medienhaus | |
Burda. | |
Da das Gesetz 2016 in Kraft tritt, kann man vermuten, dass sich etwa Burda, | |
dessen rund 60 russische Zeitschriften vor allem im unpolitischen Rätsel- | |
und Kochsegment angesiedelt sind, jetzt möglichst gut stellen will mit dem | |
Kreml. Eine Möglichkeit dazu liegt etwa im Vertrieb. Die New Times | |
([1][Novoye Vremya]), eine regimekritische Wochenzeitung in Moskau, klagt | |
derzeit darüber, dass ihre Ausgaben im Raum Moskau von Burda so gut wie | |
nicht mehr vertrieben würden – und dies aus politischen Gründen. | |
Die New Times gilt als eine der letzten regimekritischen Zeitungen in | |
Russland. Sie ist nicht nur für ihre ausführlichen und gut recherchierten | |
Artikel bekannt, sondern auch wegen ihrer Chefredakteurin Yevgenia Albats. | |
In den 1980er Jahren saß Albats in einer Journalistenschul-Klasse mit der | |
2006 ermordeten Politjournalistin Anna Politkowskaja. Mit einer Arbeit über | |
Bürokratie in der Post-Kommunismus-Zeit erwarb sie ihren Doktortitel in | |
Politikwissenschaft an der US-Universität Harvard. | |
Albats sei heute eine der prominentesten regimekritischen Journalistinnen | |
des Landes, sagt der deutsche Kommunikationswissenschaftler Florian Töpfl, | |
der seit Jahren über Medien in Russland forscht. Dafür wird Albats | |
angefeindet: Die Kolumnistin der Washington Post, Anne Applebaum, | |
[2][berichtete über Morddrohungen per E-Mail.] | |
Doch damit nicht genug: Albats’Wochenzeitung leidet stark darunter, dass | |
die Hefte kaum noch vom Burda-Vertrieb verkauft werden: „Burda Sales hat | |
quasi das Monopol auf die Moskauer Region. Sie vertreibt neben den eigenen | |
auch fremde Zeitschriften in Tankstellen und Supermärkten“, so Albats. Für | |
die Wochenzeitung sei das ein schwerer Verlust: „Wir verlieren | |
Anzeigenkunden und weiteres Geld, weil es für unsere Kunden sehr schwierig | |
ist, unsere Zeitung zu kaufen.“ Die Auflage, die etwa bei 20.000 liege, | |
habe sich inzwischen halbiert. | |
## Unmögliche Angebote | |
Wie es dazu kam, dass die New Times weitgehend aus dem Sortiment des | |
Burda-Vertriebs verschwand, ist schwer zu ermitteln. Albats berichtet von | |
zwei Erlebnissen. Ursprünglich wollte die New-Times-Geschäftsführung im | |
Januar den gesamten Vertrieb Burda übertragen, doch der Verlag habe eine | |
56-prozentige Absenkung des Einkaufspreises verlangt. Albats und ihre | |
Redaktion gingen nicht auf das Angebot ein. „Wir können unsere Ausgaben | |
nicht decken mit diesen Verkaufspreisen. Und sie wissen das genau. Das ist | |
hier eine gängige Praxis: einem Partner ein unmögliches Geschäft | |
vorzuschlagen, damit der das Angebot ablehnt.“ Albats sieht dahinter | |
politische Gründe. So habe ihr ein Burda-Mitarbeiter in Moskau erzählt, er | |
habe vom Münchner Mutterkonzern kein Okay bekommen, das Kreml-unkonforme | |
Medium länger in hoher Menge auszuliefern. | |
In München weist man diesen Vorwurf zurück. Die Entscheidung habe Burda | |
Russia gefällt – und aus rein ökonomischen Gründen, erklärt Burda Media | |
gegenüber der taz. Eine spezielle Verantwortung gegenüber kremlkritischer | |
Presse sieht Burda offenbar nicht. Es sei letztlich nur eine von | |
zahlreichen wirtschaftlichen Entscheidungen jährlich, so ein | |
Pressesprecher. | |
Würden die Vorwürfe Albats’stimmen, dann wäre dies symptomatisch für die | |
gegenwärtige Situation von Regimekritikern in Russland. Seit den | |
vergangenen Wahlen und den Protesten gegen Putin seien Bürger- und | |
Medienrechte beschnitten worden, sagt Medienforscher Töpfl. So wurde das | |
Demorecht eingeschränkt, ausländische Nichtregierungsorganisationen müssen | |
sich als ausländische AgentInnen registrieren lassen – und nicht zuletzt | |
ist durch Putins neues Mediengesetz die Teilhabe ausländischer | |
InvestorInnen beschränkt worden. | |
## Indirekte Kontrolle | |
Die täglichen Fernsehnachrichten entstünden in enger Abstimmung zwischen | |
Kreml-FunktionärInnen und den RedakteurInnen der drei führenden | |
landesweiten TV-Sender. Oppositionelle Stimmen seien hier kaum zu | |
vernehmen. Publikumsschwache Printmedien wie die New Times oder der | |
Radio-Sender Echo Moskau existierten hingegen in Nischen und könnten | |
weiterhin scharf regimekritische Inhalte verbreiten. | |
„Russlands führende politische Eliten legen großen Wert darauf, zumindest | |
den Anschein zu waren, dass allen Bürgern der Zugang zu politischen | |
Informationen jeglicher Couleur offensteht“, sagt Töpfl. Indirekte | |
Kontrolle übten Behörden allerdings dadurch aus, dass sie ausgewählte | |
kritische JournalistInnen über eine willfährige Justiz als ExtremistInnen | |
verfolgen ließen. Auch durch teils schwer nachvollziehbare Aufkäufe | |
kritischer Medien durch kremltreue Oligarchen ließe sich der Mediendiskurs | |
– weniger aufsehenerregend und dennoch hoch wirksam – mitbestimmen. Die New | |
Times will unabhängig bleiben. Sie richtet sich auf harte Zeiten ein. | |
14 Aug 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.newtimes.ru/ | |
[2] http://www.washingtonpost.com/opinions/helping-russias-sidelined-and-exiled… | |
## AUTOREN | |
Tobias Krone | |
## TAGS | |
Russland | |
Zensur | |
Medien | |
Journalismus | |
Moskau | |
Kreml-Kritiker | |
Russland | |
MH17 | |
Schwerpunkt Meta | |
Russland | |
taz на русском языке | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Sergej Lebedew über seinen neuen Roman: „Oma hat unsere Geschichte zensiert�… | |
Schweigen sei zutiefst sowjetisch, sagt Sergej Lebedew. Der Schriftsteller | |
erzählt, wie er es mit seinem Buch „Menschen im August“ brechen will. | |
Ein Jahr nach dem MH17-Abschuss: Die Schuldfrage ist nicht geklärt | |
Die Ermittlungen zu dem Vorfall über der Ukraine dauern noch an. Unter | |
dringendem Verdacht stehen prorussische Rebellen. | |
Facebook in Russland: Opposition? Erstmal melden | |
Für kritische Journalisten in Russland spielt Facebook eine zentrale Rolle. | |
Viele Profile werden von der US-Firma gesperrt – dank Trollen. | |
Politische Beziehungen zu Russland: „Russophobie führt nirgendwohin“ | |
Orlando Figes ist Russland-Historiker und kein Putin-Freund. Es gebe es | |
keine Alternative zum Dialog, sagt er dennoch. | |
Absturz der MH17 in der Ukraine: „Russland hat bewusst betrogen“ | |
Das britische Internetportal Bellingcat behauptet nachweisen zu können, | |
dass Fotos vom Flugzeugunglück 2014 gefälscht wurden. |