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# taz.de -- Trockenheit im Norden: Ebbe in der Elbe
> Der Elbe droht ein Rekord-Niedrigwasser. Nun dringt die Nordsee ins leere
> Flussbett vor – und das hat gravierende Folgen.
Bild: Ein Fluss ohne Wasser: So ausgedörrt sieht die Elbe nur selten aus.
„Tanja“ fährt nicht mehr. Die betagte Auto- und Personenfähre der Gemeinde
Neu-Darchau im Wendland hat am Dienstagabend den Betrieb wegen
Niedrigwassers auf der Elbe „ab sofort und bis auf Weiteres“ eingestellt,
wie der Anrufbeantworter im Fährbüro mitteilt. Wenn die „Tanja“ mit 21
Autos voll beladen ist, hat sie einen Tiefgang von 70 Zentimetern –
momentan zu viel für die Elbe.
„Das hat es noch nie gegeben“, sagt die Sprecherin des Landkreises
Lüneburg, Elena Bartels. Misslich ist das vor allem für Radtouristen, denn
bis zu den nächsten Fähren in Bleckede und Hitzacker sind es mindestens 15
Kilometer: 25 Jahre nach der Wiedervereinigung wird die wasserlose Elbe
wieder zur Grenze.
In Neu-Darchau lag der Pegel am gestrigen Mittwoch bei 78 Zentimetern, bis
Sonntag soll er auf höchstens 70 Zentimeter sinken. Damit gerät der
bisherige Rekordwert von 67 Zentimetern Wassertiefe vom 2. Oktober 1947 in
Gefahr. Nicht viel anders sieht es an den anderen Messstellen oberhalb des
Stauwehrs im schleswig-holsteinischen Geesthacht aus. Und die Tendenz ist
überall fallend. Der nächste heftige und langanhaltende Regen in
Sachsen-Anhalt, Sachsen und Tschechien ist nicht in Sicht. In Hamburgs
Partnerstadt Dresden kann man an vielen Stellen bereits trockenen Fußes die
Elbe durchqueren, die Schifffahrt ist nahezu vollständig eingestellt
worden.
„Das ist der Klimawandel“, sagt Ernst-Paul Dörfler: „Der Wassermangel ist
auf der Ober- und Mittelelbe seit 25 Jahren signifikant gestiegen.“ Dörfler
leitet das Elbe-Projekt des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), seine
Zuständigkeit reicht von der tschechischen Grenze bis nach Geesthacht.
Schon im vorigen Jahr habe die Elbe in diesem Bereich „an 365 Tagen
Niedrigwasser geführt“, sagt Dörfler. An keinem einzigen Tag sei der
statistische Mittelwert erreicht worden: „Die Elbe ist nicht mehr
dieselbe.“
Von stetig sinken Pegelständen berichtet auch Bettina Kalytta, Leiterin des
Wasser- und Schifffahrtsamtes Lauenburg. So arg wie aktuell sei es zuletzt
2003 gewesen, die Rekordwerte des Jahres 1947 seien nicht mehr fern. Für
die Binnenschifffahrt in ihrem Bereich gebe es aber noch keine
Beeinträchtigungen. Weil die Elbe am Wehr Geesthacht aufgestaut werde,
seien die Zufahrten zum Elbe-Lübeck-Kanal und zum Elbe-Seitenkanal noch
schiffbar, Lübeck, Magdeburg und Berlin mithin erreichbar. Allerdings
gelangt derzeit kaum Elbewasser nach Hamburg. In Geesthacht fließen pro
Sekunde 172 Kubikmeter durch das Wehr, normalerweise sind um die 2.000.
Beim Hochwasser 2013 waren es sogar rund 4.400 Kubikmeter in der Sekunde.
Dieser Wassermangel beunruhigt die Hamburger Umweltbehörde. Denn die Tide
dringt im leeren Flussbett weit nach Osten vor, bei Hochwasser wird die
Nordsee demnächst bis nach Geesthacht kommen. Somit verlagert sich die
Salzwassergrenze von Stade ostwärts. Die Folgen sind unabsehbar: Die
Bewässerung der Obstplantagen im Alten Land gerät in Gefahr, der
Sauerstoffgehalt im Fluss dürfte sinken und die Verschlickung der Hamburger
Hafenbecken zunehmen, weil die Nordsee jede Menge Sedimente die Elbe hinauf
spült. Die negativen Auswirkungen auf Flora und Fauna sind unabsehbar, sagt
Behördensprecher Björn Marzahn, aber unvermeidbar: „Mit zunehmendem
Klimawandel wird das zur Normalität werden. Wir werden damit leben müssen.“
Das sieht auch Dörfler vom BUND so: „Die extremen Pegelstände nehmen weiter
zu, ob bei Hoch- oder Niedrigwasser.“ Deshalb sollte die Politik alle Pläne
aufgeben, die Elbe zwischen Hamburg und Dresden ganzjährig schiffbar zu
machen. „Das ist eine technokratische Illusion, dieser Fluss ist nicht
beherrschbar“, sagt Dörfler. Und wenn es nach ihm ginge, sollte der letzte
noch weitgehend ungezähmte Fluss in Mitteleuropa mit seinen zahlreichen
Auwäldern und Niedermooren auch so bleiben – bei allen Extremen, zu denen
er fähig sei: „Die Abweichungen von der Normalität“, sagt Dörfler, „we…
weiter zunehmen.“
Etwas kurzfristig Gutes hat die Ebbe in der Elbe: Das Steinkohlekraftwerk
von Vattenfall in Hamburg-Moorburg darf dem Fluss nur noch einen Kubikmeter
Kühlwasser pro Sekunde entnehmen, in guten Zeiten sind 64,4 Kubikmeter pro
Sekunde erlaubt. Moorburg muss, von der Elbe gezwungen, eine Pause einlegen
in seinem Kampf für die Klimakatastrophe.
12 Aug 2015
## AUTOREN
Sven-Michael Veit
## TAGS
Elbe
Nordsee
Trockenheit
Elbe
Spree
Deiche
Kalifornien
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