# taz.de -- Binnenschifffahrt auf der Elbe: Kein Schiff wird kommen | |
> Die Trogbrücke bei Magdeburg gilt als technisches Meisterwerk. Allerdings | |
> stagniert der Schiffsverkehr schon seit Jahren. Eine Besichtigung. | |
Bild: Meist wenig Verkehr: Die Trogbrücke bei Magdeburg. | |
MAGDEBURG taz | Fährt jetzt etwa ein Schiff über unseren Köpfen hinweg? | |
Erst ist ein leises Grollen zu hören. Dann scheint die gewaltige | |
Konstruktion von einem sanften Zittern erfasst. In dieser Unterwelt aus | |
Tausenden Tonnen Stahl und Beton hätte man keine Chance. Doch Friedrich | |
Koop, ganz Bauingenieur, bleibt cool. Ja, das könne sein, dass ein Schiff | |
kommt. Er beendet die Besichtigung und eilt die Betonstufen hinauf. Oben | |
weitet sich der Blick. Hingetupfte Wölkchen, Wiesen, Baumkronen – und | |
tatsächlich, ein Motorschiff. Bis zur Oberkante im Wasser schiebt es sich | |
von Osten heran. | |
Es kommt selten vor, dass man aufwärts steigen muss, um Schiffe zu sehen. | |
Hier in Magdeburgs Norden ist es Realität: Stahlwände bannen einen | |
Wasserstrang in einen über dreißig Meter breiten und gut vier Meter tiefen | |
Trog, doch ohne Anfang und ohne Ende. Friedrich Koop, der Leiter des | |
Wasser- und Schifffahrtsamtes Magdeburg, steht zufrieden an der Stahlkante | |
und blickt auf den Kahn. Wüsste der Kapitän, wer da steht, er würde das | |
Schiffshorn ertönen lassen. Denn der 64 Jahre alte Koop ist Gebieter über | |
das Wasserstraßenkreuz Magdeburg mit der Trogbrücke über die Elbe als | |
Prunkstück. | |
Es ist ein Bauwerk, das es mit den Pyramiden aufnehmen kann – mit seiner | |
Größe, nicht mit dem Alter. Die Brücke wurde 2003 eröffnet und ihre | |
Haltbarkeit auf 80 Jahre ausgelegt, sagt Koop. Doch wie er das erzählt, | |
erweckt er nicht den Eindruck, dass dieser Bau irgendwann wieder | |
verschwinden würde. Warum auch? „Wir machen Schifffahrt möglich“ lautet d… | |
Wahlspruch seiner Behörde. | |
Kaum hat die „Samaro“ die Brücke passiert, schiebt sich vom Westen her ein | |
deutlich kleineres Kaliber heran. Die „Präsident“, ein Ausflugsschiff, | |
bietet täglich Fahrten über die Trogbrücke. | |
Die „weltgrößte Trogbrücke“, „gigantische Hebewerks- und | |
Schleusenkonstruktionen“ - Touristiker haben keine Mühe, Superlative zu | |
finden. Logistiker schon. | |
## Ein Schiff tuckelt näher. Welche Fracht hat es an Bord? | |
Der Pharao, der das Bauwerk veranlasst hat, war der Christdemokrat Matthias | |
Wissmann, Bundesverkehrsminister von 1993 bis 1998 und zuständig für die 17 | |
„Verkehrsprojekte deutsche Einheit“ – Projekte für Straße und Schiene, … | |
Deutschlands Osten mit der alten Bundesrepublik verbinden sollten. Doch | |
auch der Wasserweg von Hannover nach Berlin sollte endlich so ausgebaut | |
werden, wie es in den dreißiger Jahren bereits geplant war – mit Hebewerken | |
und einer Trogbrücke. Die Bauarbeiten wurden 1942 eingestellt. Schiffe, die | |
von Westen nach Berlin wollten, mussten nach dem Krieg bei Magdeburg über | |
ein Hebewerk zur Elbe hinunter, zwölf Kilometer talwärts fahren, um dann, | |
über eine Schleuse nach oben gehoben, ihre Fahrt Richtung Ost fortzusetzen. | |
„Hier werden ab 2003 große Motorgüterschiffe und Schubverbände die Elbe auf | |
einer fast einen Kilometer langen Kanalbrücke überqueren können“, | |
prophezeite Wissmann 1997. Koop, Beamter aus dem Bundesbauministerium, | |
wurde nach Magdeburg beordert und war zuständig für den Bau. | |
Damals glaubte wohl auch Koop, dass 2010 über die Trogbrücke 19 Millionen | |
Tonnen Güter strömen würden, wie ein Gutachten prognostizierte. „In | |
Erwartung der blühenden Landschaften“, sagt Koop jetzt milde und schaut | |
sich um. Ein Schiff tuckelt näher. Welche Fracht hat es an Bord? Erze? | |
Kohle? Weizen? Fehlanzeige. Die „Katharina II.“ ist ein privater Kahn. Er | |
wirkt zwischen den beiden Betontürmen an der Einfahrt wie eine weiße | |
Nussschale. | |
Es scheint, als würden Güterschiffe die Brücke meiden. 2008, fünf Jahre | |
nach der Eröffnung, überquerten die Brücke statt der erwarteten 19 | |
Millionen Tonnen nur 2,3 Millionen Fracht. In diesem Jahr sollen es 3,8 | |
Millionen Tonnen werden. Doch was wie eine Steigerung wirkt, ist | |
Stagnation. Denn bereits 1995 querten die Elbe 4 Millionen Tonnen – ganz | |
ohne Trogbrücke, sondern über den Umweg auf dem Fluss. | |
## Es kommen zwei bis drei Schiffe pro Stunde | |
Manchmal wirkt Friedrich Koop bei seiner Inspektion ein wenig bekümmert, | |
weil das Meisterwerk deutscher Ingenieurskunst vor allem von Hobbyskippern | |
und Fahrgastschiffen frequentiert wird. Etwa 30 bis 35 Schiffe passieren | |
die Brücke täglich, sagt Koop. Macht zwei bis drei Schiffe pro Stunde | |
zwischen Morgen- und Abendstunde, vom Freizeitkahn bis zum Güterschiff. | |
Kein Vergleich zum Rhein, wo rund 200 Millionen Tonnen jährlich | |
transportiert werden. | |
Die „Präsident“ und die „Katharina II.“ haben ihre Fahrt fortgesetzt, … | |
der Trogbrücke kräuselt nur noch der Wind das Wasser. Die Brise weht über | |
die Elbwiesen, ein Milan kreist. Eine Idylle, wäre da nicht das Donnern in | |
der Ferne. In Sichtweite fahren Lkw auf der A2 über die Elbbrücke. | |
Container an Container, Ladung an Ladung. Hier oben an der leeren Wanne | |
könnte man neidisch werden. „Wir haben Transportbedarf“, wird Koop später | |
bekräftigen und vorhersagen: Wenn der Kanal bis Berlin ausgebaut, das | |
Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 17 vollendet ist, werde der Verkehr | |
auf der Trogbrücke zunehmen. | |
„Trogbrücke?“ Ernst Paul Dörf ler klingt amüsiert. „Trugbrücke heißt… | |
bei mir!“ Dörfler – braungebrannt, weißer Bart, weiße Haare und ein Käp… | |
gegen die Sonne – turnt wie ein Wassergeist über felsigen Boden, von | |
Vorsprung zu Vorsprung, von Elbpfütze zu Elbpfütze. Den Domfelsen mitten in | |
Magdeburg hatte er als Treffpunkt vorgeschlagen. Dörfler hat sein Rad oben | |
an das Geländer angeschlossen. Um zur Elbe zu gelangen, muss man derzeit | |
tief hinabsteigen. | |
„Was soll denn überhaupt transportiert werden?“ fragt Dörfler als stünde | |
Koop vor ihm. Steinkohle? Erze? Stahl? Dazu müsste es in Ostdeutschland | |
doch die passende Industrie geben. Aber die ostdeutsche Wirtschaft sei | |
kleinteilig und brauche kaum Schüttgutfrachter, Schubverbände und Tanker. | |
Daher werde es auch auf der Trogbrücke überschaubar bleiben. | |
Dörfler, Jahrgang 1950 und nur ein Jahr älter als Koop, hat eine ähnliche | |
Ausbildung wie der Mann aus dem Ruhrpott, wohnt wie dieser in einem Dorf am | |
Ostufer und ist doch in Sachen Binnenschifffahrt und Elbe sein Antipode. | |
Für den einen ist die Elbe vor allem eine europäische Wasserstraße, für den | |
anderen ein Biotop, eine einzigartige Landschaft, ein lebendiges Wesen. Es | |
ist, als müsste er sie jeden Tag sehen, erleben, den Fuß darin eintauchen. | |
Dörfler badet in ihr, er fährt sie mit dem Schlauboot ab, er hält Vorträge, | |
er schreibt Bücher, mit „Flussgruß“ beendet er gern seine Korrespondenz. | |
## Für die nötige Fahrrinnentiefe fehle das Wasser | |
Bis 1982 arbeitete Dörfler als Ökochemiker am DDR-Institut für | |
Wasserwirtschaft. Danach war er freischaffender Publizist und | |
Umweltschützer. Ein Dissidentendasein in der DDR-Provinz, aber immer mit | |
Elbblick. 1989 hat er die Grüne Partei mitgegründet. | |
Immerhin, in der Trogbrücke gebe es ausreichend Wasser. Was man von der | |
Elbe, der Nord-Süd-Achse des Wasserstraßenkreuzes derzeit nicht behaupten | |
kann. Güterverkehr auf der Elbe? Dörfler lacht wieder und tritt näher an | |
die Stromschnellen heran, wo sich die Elbe hindurchzwängt. Eine | |
komplizierte „Engstelle“, hatte Friedrich Koop erklärt, die von seinem Amt | |
rund um die Uhr per Kamera überwacht wird. Die Schiffe werden hier per | |
Ampelschaltung vorbeigelotst. | |
Ernst Dörfler kneift die Augen zusammen, blickt stromaufwärts. Kommt da | |
was? Es muss was sehr Kleines sein. Im nächsten Moment hüpft eine Armada | |
von Paddelbooten durch die Wasserschnellen – die Elbe als Gebirgsbach. „Ich | |
habe nichts gegen Schifffahrt“, bekräftigt Dörfler und blickt den Booten | |
hinterher. „Aber es hat mir noch keiner gesagt, wie es auf der Elbe gehen | |
soll, ohne sie zu kanalisieren.“ Für die nötige Fahrrinnentiefe fehle das | |
Wasser. | |
Dörfler wird grundsätzlich und zückt ein Diagramm, das seit 1973 die Zahl | |
der Tage anzeigt, an denen die Elbe weniger als 1,60 m Fahrrinnentiefe | |
aufwies. Die Tiefe, die Güterschiffe mindestens brauchen, um wirtschaftlich | |
fahren zu können. Doch die Zahl der Niedrigwassertage hat seit 1989 | |
erheblich zugenommen. Im Dürrejahr 2003 hatte die Elbe 197 Tage lang | |
Niedrigwasser. „Woher soll das Wasser denn kommen?“ Dörfler schaut auf. Die | |
Mindesttiefen wurden immer öfter unterschritten. In der Summe fehle der | |
Elbe seit der Wende fast ein halber Meter an Wassertiefe. Es scheint, als | |
wäre das Jahr 1989 auch für die Elbe ein Wendepunkt. „Die Elbe ist nicht | |
mehr dieselbe“, reimt Dörfler. Man könne Wasser nun einmal nicht herbei | |
bauen, schließt er und hofft, dass sich diese Erkenntnis nun langsam auch | |
bei Wasserbauingenieuren und Verkehrspolitikern rumspricht. | |
Noch einmal geht er in die Hocke, sucht in einer Pfütze nach irgendwas. Die | |
Mittelelbe hat wieder 40 Fischarten, erzählt er und deutet auf die Schwärme | |
winziger Fische, die durch das Wasser schießen. „Was man jetzt nicht sieht, | |
sind Süßwasserschwämme.“ Er hätte sie wohl gern gezeigt. | |
„Kollegen von der grünen Front“ – so hatte Friedrich Koop Leute wie Dör… | |
genannt, die Verkehrskonzepte, Flussausbau und Kanalbauwerke in Frage | |
stellen. Über das Niedrigwasser hat Koop natürlich gestöhnt. Um 7 Meter | |
„oszilliere“ das Mittelwasser der Elbe. Es ist ein ewiges Pulsieren, das | |
Wasserbauer gern in einen berechnenbaren gleichmäßigen Strom verwandeln | |
würden, der Güterschiffe trägt, die am Wasserstraßenkreuz wie auf einer | |
Autobahn abbiegen als wären sie Lkw | |
Dörfler hat natürlich andere Träume. Dass die Elbe ein Fluss wird so wie | |
die Loire – völlig frei fließend in offener Landschaft. Immerhin, ein | |
hübscher Bau drängt hier zum Wasser. Mit seinen Zinnen und Türmchen wirkt | |
er wie ein Kastell, wie die Residenz eines Deichgrafen. Ernst-Paul Dörfler | |
kennt das stolze Haus nur zu gut. Er lacht kurz auf und schwingt sich aufs | |
Rad. Es ist der Amtssitz von Friedrich Koop. | |
31 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Thomas Gerlach | |
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