# taz.de -- Elblotse Ben Lodemann über seinen untergehenden Beruf: „Die Elbe… | |
> Ohne Lotsen kommen die Schiffe nicht in den Hamburger Hafen. Elblotse Ben | |
> Lodemann über seine Arbeit und die Nachwuchssorgen der Zunft. | |
Bild: Hier ist noch Platz auf der Elbe. Im Hafen verhindern Lotsen Unfälle. | |
taz: Herr Lodemann, warum werden auf einem großen Fluss wie der Elbe | |
überhaupt Lotsen benötigt? | |
Ben Lodemann: Die Elbe ist vor allem für die großen Containerfrachter ein | |
sehr enges Revier. Jeder kleine Fehler kann zu einer folgenschweren | |
Situation wie Kollision oder Strandung führen. Deshalb sind speziell | |
ausgebildete Lotsen mit exakten Ortskenntnissen notwendig. | |
Aber die Brücken dieser Schiffe sind voller Monitore und moderner | |
Messgeräte - ist da Steuern nicht wie ein PC-Spiel? | |
Wenn es so wäre, stünde da einmal täglich „Damage. Reset“. In der Realit… | |
wäre das ein katastrophaler Schaden für Umwelt und Volkswirtschaft. Die | |
Monitore und Messgeräte zeigen nur die Situation über Wasser, was darunter | |
ist, kann man sich nur über Seekarten erschließen. | |
Aber es gibt doch Unterwassersonar oder Echolot. | |
Ja, bei der Marine oder Spezialschiffen gibt es Sonar. Diese Geräte unter | |
dem Bug vergrößern aber den Tiefgang erheblich, und das will die | |
Handelsschifffahrt vermeiden. Es würde Ladung vermindern und | |
Treibstoffkosten erhöhen und somit die Rentabilität des Schiffes | |
verringern. Und die Probleme auf der flachen Elbe weiter verschärfen. Ein | |
Echolot zeigt nur die punktuelle Tiefe an einer Stelle und wenn dort dann | |
„0“ steht, ist es zu spät. | |
Und woher wissen Lotsen, dass noch die berühmte Handbreit Wasser unterm | |
Kiel ist? | |
Wir haben Peilpläne, ähnlich wie Messtischblätter in der Vermessung, die | |
alle Kollegen in- und auswendig kennen müssen. Und deshalb wissen wir, wie | |
tief und breit das Fahrwasser jetzt ist und in 20 und 100 und 1.000 Metern | |
sein wird. | |
Beruhigend. Das Fahrwasser der Elbe ist meist mindestens 300 Meter breit. | |
Warum dürfen dann zwei Schiffe mit einer addierten Breite von mehr als 90 | |
Metern sich nicht begegnen? Da ist doch noch viel Platz. | |
Große Frachter sind nicht nur breit, sondern auch sehr lang - 300 Meter und | |
mehr. Deshalb wirken viele Effekte auf das Schiff ein: Wind, Wellen, | |
Strömungen. Deshalb fahren sie nicht geradeaus, sondern müssen vorhalten. | |
Also Zickzackkurs? | |
Gewissermaßen. Dass vergrößert die projektierte Breite eines Schiffes von | |
45 Meter auf vielleicht 60 Meter. Zwei Schiffe nehmen also schon 120 Meter | |
Fläche ein. Bleiben von 300 Metern Fahrrinne noch 180 Meter: 60 links, 60 | |
rechts und 60 in der Mitte. | |
Und das reicht nicht? | |
Doch, deshalb ist das ja die genehmigte Größe. Nur werden die Schiffe | |
mittlerweile ja immer breiter, aktuell bis zu 56 Meter. Hinzu kommt, dass | |
so ein Schiff 100.000 Tonnen Wasser und mehr vor sich her schiebt. Wenn | |
zwei sich mit jeweils zehn Knoten begegnen, entsteht durch hydrodynamische | |
Effekte eine ungeheure Dynamik mit starken Sog- und Druckkräften. | |
Da treffen also 200.000 Tonnen Wasserberge aufeinander? | |
Berge sind das falsche Bild, eher sehr dynamische Wassermassen. Da | |
entstehen Turbulenzen zwischen den Schiffen und den Ufern, die ausgeglichen | |
werden müssen. Diese Schiffe sind keine Autos mit Servolenkung auf festem | |
Boden, die haben einen recht behäbigen Heckantrieb und schwimmen in einem | |
flüssigen Medium. Da muss man schon Hunderte Meter im Voraus denken und | |
lenken. | |
Und wenn man das nicht tut? | |
Dann könnten sie sich ansaugen bis zur Kollision. Oder sie stoßen sich ab, | |
treffen mit den Hecks aneinander und einer fährt vielleicht noch in die | |
Böschung. | |
Und wie verhindern Sie das als Lotse? | |
Wir müssen die Bewegungen der Schiffe antizipieren und vor der Begegnung | |
einen Drehmoment hineinbringen, der das Abdrücken der Schiffe voneinander | |
auffängt und sie letztlich geradeaus führt. | |
Das heißt, Sie fahren auf Crash-Kurs aufeinander los in der Erwartung, dass | |
das Wasser dazwischen die Schiffe aneinander vorbeileitet? | |
Crash-Kurs würde ich das nicht nennen. Wir bewegen die Schiffe so, dass sie | |
heil aneinander vorbeikommen, weil sie voneinander weg drehen. | |
Und das können auf der Elbe nur Lotsen, die ihr Revier kennen wie die | |
berühmte Westentasche? | |
Ja. Wir wissen, wo das Ufer flach ist und Schiffe abstößt, wir wissen, wo | |
unter Wasser Steilwände sind, die Schiffe regelrecht ansaugen. So können | |
wir vorausschauend fahren. | |
Sie erwähnten Wind. Was kann der denn solchen Kolossen anhaben? | |
Bei Windstärke 6 lastet auf einem Containerfrachter von 400 Meter Länge ein | |
Druck von bis zu 200 Tonnen. Kräftige Hafenschlepper ziehen mit 80, 85 | |
Tonnen. In Fahrt bräuchten Sie also drei von den Kraftprotzen, um das | |
Schiff auf Kurs zu halten. Dabei muss das Schiff entsprechend vorhalten, | |
wie schon gesagt. Und jetzt kommt Ihnen in der engen Fahrrinne einer | |
entgegen, der auch mit dem Seitenwind zu kämpfen hat. | |
Dann müssen Sie wohl besonders vorausschauend lenken. | |
Aber hallo! | |
Klingt fast so, als wäre es schon jetzt unverantwortlich, diese | |
Riesenfrachter auf der Elbe fahren zu lassen. | |
Nein, das ist beherrschbar - noch. | |
Welche Qualifikation haben Sie und Ihre Kollegen eigentlich? Sie sind alle | |
Kapitäne? | |
Das sind alles gestandene Seeleute, die jahrelang auf den Weltmeeren | |
unterwegs waren und schon alles erlebt haben. Bei uns bekommen sie | |
zusätzlich eine achtmonatige Ausbildung für das Revier. Im Schnitt macht | |
ein Kollege hier 300 Einsätze im Jahr, zunächst auf kleineren Schiffen. Auf | |
die ganz großen Pötte darf man erst nach 1.200 bis 1.500 Lotsungen. | |
Wie viele Elblotsen gibt es? | |
274 Männer und zwei Frauen. | |
Wie steht es um den Nachwuchs? | |
Schlecht. Es gibt fast keine deutsche Kapitäne mehr, weil kaum noch jemand | |
zur See fährt. Und die deutschen Reeder stellen fast keine deutschen | |
Offiziere oder Anwärter mehr ein, weil sie zu teuer sind. Da sind Kollegen | |
aus Ostasien oder Osteuropa billiger. | |
Und warum können die nicht Elblotsen werden? | |
Können sie im Prinzip. Wir haben hier Kollegen aus Griechenland, Belgien, | |
Holland oder Russland, das geht. Die Grundvoraussetzung ist jedoch, sehr | |
gut Deutsch zu sprechen. | |
Aber die Bordsprache ist doch Englisch? | |
Stimmt. Aber in Notfällen müssen Sie mit Hilfsdiensten oder der | |
Freiwilligen Feuerwehr aus einer Kleinstadt an der Elbe kommunizieren. Und | |
dann ist der Brandmeister Klempner und spricht kaum oder gar nicht | |
Englisch. Der chinesische Kapitän mit seiner Sprachfärbung, der ukrainische | |
Lotse mit seiner und der niederdeutsche Feuerwehrmann - das funktioniert | |
nicht in Ernstfällen. Der Lotse muss sowohl Englisch als auch Deutsch sehr | |
gut sprechen, um die Notfallsituation in der Landessprache sicher abwickeln | |
zu können. | |
Dann müsste es doch im Interesse der deutschen Reedereien sein, deutsche | |
Offiziere auszubilden, die in Notfällen ihre Schiffe retten? | |
Die machen es aber nicht. Deshalb entwerfen wir gerade eine neue, von der | |
Personalpolitik von Reedereien unabhängigen Lotsenausbildung. Die | |
Pilotenausbildung erfolgt ja auch zum größten Teil in Flugsimulatoren. So | |
ähnlich werden wir das auch machen müssen. | |
Im Schiffssimulator in Stellingen? | |
Sicher auch da, ja. Das ist eine der weltweit modernsten Anlagen, da werden | |
wir die wichtigen und schwierigen Situationen und Manöver kompakt | |
trainieren müssen. Auf Ausbildung an Bord werden wir aber nicht verzichten | |
können. Wir denken auch über eigene Ausbildungsfahrzeuge nach. Wir | |
konzipieren das noch, das ist erst im Entstehen. | |
Und warum haben die Reedereien kein Interesse an gut ausgebildeten | |
deutschen Kapitänen und Lotsen? | |
Früher gab es Familienreedereien mit sechs oder neun Schiffen, die hatten | |
zu ihren Schiffen eine Beziehung und kannten die ganze Besatzung. Heute | |
sind das Konzerne mit Anteilseignern, die Rendite sehen wollen. Da | |
interessiert das Schiff nicht und die Besatzung auch nicht. Deshalb sind | |
langfristige Investitionen in gut ausgebildetes Personal nicht mehr von | |
Interesse. | |
Aber an den Seefahrtsschulen wird doch weiterhin Nachwuchs ausgebildet? | |
Ja, und zwar gut. Die bekommen aber nach dem Studium keinen Job. An den | |
vier Fachhochschulen für Nautik in Norddeutschland werden die Studiengänge | |
kleiner, in Leer hatten sie jüngst keine einzige Bewerbung mehr. Es will | |
kaum jemand in den Beruf, weil die Perspektiven fehlen. | |
Wie ist die Altersstruktur der Lotsenbrüderschaft Elbe? | |
Bis 2030 wird mehr als die Hälfte des jetzigen Personals in den Ruhestand | |
gegangen sein. | |
Und wie ersetzen Sie die? | |
Einen Teil hoffentlich mit der neuen Ausbildung. | |
Und den anderen Teil? | |
Das wird schwierig. | |
Und was passiert mit dem Hamburger Hafen, wenn die Schiffe nicht mehr | |
gelotst werden? | |
Das will ich mir gar nicht vorstellen. | |
Den ganzen Hafen-Schwerpunkt lesen Sie in der gedruckten | |
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29 May 2015 | |
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## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
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