| # taz.de -- Kampnagel-Schwerpunkt Griechenland: Die neue Vernunftfeindlichkeit | |
| > Deutsche Statusangst und der Blick nach Griechenland: Das Festival | |
| > Kampnagel in Hamburg analysiert die Verzerrungen der Berichterstattung. | |
| Bild: Margarita Tsomou, Harald Schumann, Robert Misik und Georg Diez (v. l.) di… | |
| Hamburg taz | Lange nicht mehr waren sich deutsche Politik und | |
| deutschsprachige Medien so einig: Schuld an der Finanzkrise in | |
| Griechenland, so fast einhellig die dominante Erzählung von Anne Will über | |
| Spiegel Online bis zur Zeit, seien die Griechen selbst, ihre freche, | |
| raffgierige Mentalität: Pleitegriechen, Eurobetrüger, Defizitsünder. | |
| Gegenstimmen gab es auch nach dem 13. Juli nur wenige, kaum hörbar im | |
| lauten Unisono des Austeritätschors. | |
| Und Stimmen aus Griechenland? Sie waren in deutschen Medien fast gar nicht | |
| zu hören. „This is not Greece“ hieß deshalb ein Themenschwerpunkt des | |
| Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel in Hamburg, der sich mit | |
| Vorträgen, Diskussionen und Filmen vorgenommen hatte, einen analytischen | |
| Blick auf die verzerrte Repräsentation der Krise und die Produktion von | |
| Bildern zu Griechenland zu werfen. | |
| Konzipiert hat die zweitägige Konferenz die deutsch-griechische | |
| Journalistin und Aktivistin Margarita Tsomou, Mitherausgeberin des | |
| popfeministischen Missy Magazines, gemeinsam mit Kampnagel-Kurator Eike | |
| Wittrock. | |
| Was sind die dominanten Erzählungen der Krise? Was ist ihre Wirkung? | |
| Darüber diskutierten am Freitag mit Falter- und taz-Autor Robert Misik, | |
| Spiegel-Online-Kolumnist Georg Diez und Tagesspiegel-Redakteur Harald | |
| Schumann drei der wenigen Journalisten, die für andere Narrationen stehen. | |
| Es sei ungewöhnlich, dass alle Qualitätsmedien den gleichen Quatsch vom | |
| frechen Griechenland erzählten, wunderte sich Schumann. Eigentlich gute | |
| Kollegen seien wie „abgeschaltet“, die Mehrheit der Kollegen habe sich wie | |
| Bluthunde verhalten. Weshalb, das führte Schumann auf einen „Akt der | |
| Selbsterhöhung“ zurück. Wer unter Statusängsten leide, habe mit der | |
| Griechenlandkrise eine Projektionsfläche gefunden, mit deren Hilfe er sich | |
| selbst erhöhen könne. | |
| Misik attestierte der medialen Darstellung der Krise einen unverhohlenen | |
| Wirtschaftsrassismus, der das Potenzial zur Raserei in sich berge. Dass er | |
| hegemonial geworden sei, ist auch für Misik Ergebnis eines | |
| „Rückkopplungseffekts“: Man traue sich nicht, dissidente Positionen | |
| überhaupt noch zu äußern, und überhöhe sich selbst: Man glaube in | |
| Deutschland plausibel zu wissen, dass das Gürtel-enger-Schnallen hilft. | |
| Tatsächlich aber diene der rasende Nationalismus vor allem dazu, eine | |
| autoritative, technokratisch-pragmatische Form von Politik in der Eurozone | |
| durchzusetzen. | |
| ## Wo der „Finanzkapitalismus die Demokratie bekämpft“ | |
| Auch Georg Diez stellt eine „atemberaubende Vernunftfeindlichkeit“ fest. | |
| Die deutschen Medien täten so, als habe alles mit der Syriza-Regierung | |
| begonnen, die tatsächlich Resultat des Scheiterns eines Finanzregimes sei, | |
| das in der Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise geschaffen wurde. Syriza, | |
| eine harte Reaktion auf diese Politik, werde nun von allen Seiten bekämpft. | |
| „Griechenland ist ein Ort“, sagte Diez, „wo der Finanzkapitalismus die | |
| Demokratie bekämpft.“ Der Journalismus wiederum funktioniere sowohl | |
| ökonomisch als auch publizistisch nicht mehr: Wenn die Grundlage wegbreche, | |
| klammere man sich an die Macht. | |
| Eine philosophische Perspektive boten am zweiten Tag die Griechin Athena | |
| Athanasiou und der Kroate Srećko Horvat. Horvat wertete die Niederlage der | |
| Tsipras-Regierung auch als Niederlage der deutschen Linken, die dem | |
| Nationalchauvinismus nichts entgegengesetzt habe. Athanasiou plädierte | |
| dafür, die Niederlage des Syriza-Regierung als Frage mit offenem Ende zu | |
| begreifen und die Demokratie vom Kapitalismus zu emanzipieren, auch indem | |
| die Linke sich Begriffe wie „Volk“ und „Nation“ in einem nicht | |
| nationalistischen Sinne wieder neu aneignet. | |
| Dass der Spieß in der Kultur längst umgedreht worden ist, machte | |
| schließlich die Diskussion mit griechischen Kunst- und Kulturaktivisten | |
| klar. Da heißt es nämlich längst: von Athen lernen. Während man den | |
| Griechen in der Politik nicht mehr zuhört, gilt die von der Krise | |
| inspirierte, aber auch deutlich in ihren Mitteln beschränkte Kunstszene | |
| dort als kreativer Hotspot, auf den sich Kuratoren aus aller Welt stürzen. | |
| 10 Aug 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Robert Matthies | |
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