# taz.de -- Ein Staat für die Palästinenser: Erbitterter Streit ums Land | |
> Im Süden von Hebron kämpfen palästinensische Hirten um ihr Dorf. Gegen | |
> Israels Armee, seine Bulldozer und die benachbarte Siedlung. | |
Bild: Palästinensische Kinder spielen vor dem Zelt im Dorf Sussia im Süden vo… | |
Sussia taz | Ein schmaler, steiniger Pfad führt nach Sussia ganz im Süden | |
des Westjordanlandes. Die Sonne brennt so ungnädig auf das karge Land, dass | |
sogar Ziegen und Schafe Unterschlupf im Schatten suchen und sich über die | |
Mittagsstunden kaum bewegen. Trotz der Hitze herrscht ungewohnt viel | |
Betrieb in dem kleinen Dorf. Friedensaktivisten und Menschenrechtler setzen | |
sich für die palästinensischen Hirten ein, denen zum dritten Mal die | |
Vertreibung droht. | |
„Seit Generationen lebt meine Familie hier“, sagt Nasser Nawajah, der | |
gerade sechs Jahre alt war, als die israelische Armee 1986 zum ersten Mal | |
kam. Sussia, so die offizielle Begründung für die damalige Vertreibung, | |
befinde sich auf dem Gelände einer archäologischen Stätte. Die Hirten zogen | |
ein paar hundert Meter weiter, richteten sich in Höhlen ein, in denen sie | |
ohne Strom und Wasser lebten, bis im Jahr 2001 zum zweiten Mal die | |
Bulldozer der Armee anrollten. | |
In der benachbarten jüdischen Siedlung mit demselben Namen Sussia war ein | |
Israeli ermordet worden. „Es ist keiner von uns gewesen“, beteuert Nawajah. | |
Die Militärverwaltung konnte eine Mittäterschaft der Hirten nicht | |
nachweisen, trotzdem „mussten wir mit dieser Strafaktion den Preis für den | |
toten Siedler bezahlen“. | |
Die Soldaten versperrten die Höhlen und die Hirten errichten neue | |
Unterkünfte, Beduinenzelte und mit Wellblech und Bausteinen befestigte | |
Ställe. Heute leben 45 Familien hier. Seit fünf Jahren gibt es Strom, der | |
mit Hilfe von Solarzellen gewonnen wird und der für die Kühlschränke und | |
ein paar Lampen ausreicht. Israelische Physiker errichteten die Anlage mit | |
internationalen Geldern. Auch das Bundesaußenministerium unterstützte das | |
Projekt großzügig. | |
„Ein Wegzug kommt für uns nicht in Frage“, erklärt Nawajah, der Sorge hat, | |
sein Land zu verlieren, wenn er selbst nicht ständig vor Ort ist. Mit | |
juristischer Unterstützung der israelischen „Rabbiner für Menschenrechte“ | |
kämpft sich Sussia durch die Instanzen und erreichte vor dem Obersten | |
Gerichtshof die grundsätzliche Genehmigung, auf dem Land zu wohnen. „Dass | |
dies unser Land ist, können wir mit Dokumenten aus der Zeit der Ottomanen | |
belegen.“ | |
Was den Palästinensern nun zum Verhängnis wird, ist, dass sie ihre | |
Behausungen und Ställe ohne die notwendige Baugenehmigung der | |
Militärbehörde errichteten. „Wir haben alles versucht“, berichtet Nawajah. | |
„Wir haben Baupläne erstellt und Anwälte bezahlt, die Pläne sind immer | |
wieder abgelehnt worden.“ | |
Tatsache ist, so bestätigt Jehuda Schaul von der antimilitaristischen | |
Organisation „Das Schweigen brechen“, dass es „für Palästinenser in der | |
C-Zone“, die sicherheits- wie verwaltungstechnisch bis heute unter | |
israelischer Kontrolle steht, praktisch ausgeschlossen ist, eine | |
Baugenehmigung zu bekommen. „Das letzte Mal, dass in dieser Region ein | |
Masterplan bewilligt wurde, liegt 70 Jahre zurück.“ Damals kontrollierten | |
die Briten das Heilige Land. | |
Insgesamt sind neun Gemeinschaften latent vom Abriss bedroht. Für Sussia | |
droht akute Gefahr, nachdem die siedlernahe Organisation Regavim, die sich | |
laut ihrer Homepage für den „Kampf gegen die stille Eroberung von | |
nationalem israelischen Landbesitz“ starkmacht, vor Gericht den Abriss bis | |
spätestens 3. August durchsetzte. Die Bulldozer der israelischen Armee | |
könnten ohne weitere Vorwarnung jederzeit kommen. | |
Anfang der Woche appellierte die EU an Israel, den Plan zur „Verdrängung | |
der Bevölkerung“ aufzugeben. In einem Papier der EU-Außenminister heißt es, | |
dass „die Bewahrung der Realisierbarkeit einer Zwei-Staaten-Lösung“ für d… | |
EU „Priorität bleiben wird“. | |
Als unerträglich empfindet der EU-Parlamentarier Prof. Klaus Buchner (ÖDP), | |
der diese Woche mit einer Delegation von grünen EU-Politikern Sussia | |
besuchte, den geplanten Abriss. Buchner rät dazu, „dort wo Menschenrechte | |
verletzt werden“, konkrete Maßnahmen folgen zu lassen und schlägt vor, | |
„Handelsabkommen mit Israel ruhen zu lassen“. | |
Ungewohnt scharf kritisierten auch die USA den geplanten Abriss des | |
palästinensischen Dorfes, mit dem „die Atmosphäre für eine friedliche | |
Lösung verschlechtert“ werde und der einen „zerstörerischen Standard für | |
Vertreibung und Grundstückskonfiszierung“ schaffe. Für Nasser Nawajah ist | |
die internationale Solidarität Grund zur Hoffnung. „Wenn ich heute schreie, | |
dann hört man meine Stimme an vielen Orten.“ | |
22 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
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