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# taz.de -- Kleinkrieg auf dem Sinai: Mehr als ein paar Anschläge
> Die heftigen Kämpfe auf der Sinai-Halbinsel verheißen nichts Gutes für
> Ägypten. Der Konflikt eskaliert, der IS geht strategisch immer
> geschickter vor.
Bild: Unweit der israelischen Grenze: Rund 150 Menschen wurden bei den Kämpfen…
KAIRO taz | Es war nicht einfach nur eine neue Serie von Anschlägen
militanter Islamisten gegen die ägyptische Armee auf dem Sinai. Was am
Mittwoch im Norden der Halbinsel nur wenige Kilometer von der Grenze zum
Gazastreifen geschah, hat eine neue Qualität, die für Ägypten nichts Gutes
verheißt.
Statt wie üblich bei Militärkontrollpunkten und Polizeistationen
zuzuschlagen und sich dann schnell wieder zurückzuziehen, lieferten sich
die Militanten stundenlange Schlachten mit dem Militär. Zeitweise
übernahmen die Dschihadisten der „Provinz Sinai“, die dem IS die Treue
geschworen haben, mit Scheich Zuwaid fast eine ganze Ortschaft. Die Armee
musste nahezu ihr ganzes Arsenal aufbieten, um bis zum Abend die Situation
wieder unter Kontrolle zu bringen.
Dass sie dabei sogar mit F-16 Kampfflugzeugen im eigenen Land bombardierte,
zeigt, dass sie zeitweise die Lage am Boden nicht mehr unter Kontrolle
hatte. Teilweise zögerte sie, Kampfhubschrauber einzusetzen, weil die
andere Seite ebenfalls gut gerüstet war, unter anderem auch mit
Luftabwehrgeschütze.
Tatsache Nummer eins: In zwei Jahren ist es der Armee und Präsident Abdel
Fatah al-Sisi nicht gelungen, die Lage im Nordsinai zu befrieden. Im
Gegenteil, der dortige Kleinkrieg eskaliert. Gut trainierte und gut
gerüstete Dschihadisten, die offensichtlich teilweise die Unterstützung der
lokalen beduinischen Bevölkerung genießen, machen der Armee das Leben dort
immer schwerer.
Wie militärisch und strategisch geschickt die Dschihadisten vorgehen,
könnte auch ein Hinweis sein, dass sich in ihren Reihen inzwischen auch
übergelaufene ägyptische Sicherheitsleute und Militärs befinden.
Tatsache Nummer zwei: Die Dschihadisten operieren im Namen des IS. Nicht
deren Staat und Kalifat vergrößert sich, aber deren Operationsgebiet, in
dem sich ihr immer mehr militante Gruppierungen anschließen, zum Vorteil
beider Seiten. Die lokalen Gruppierungen, die dem IS die Treue schwören,
erhöhen damit ihr internationales Dschihad-Image und der IS eröffnet damit
immer mehr Zweigstellen.
Insofern können die gestrigen 15 koordinierten Angriffe der Dschihadisten
im Nordsinai und die bisher längste Schlacht mit der ägyptischen Armee seit
dem 1973er Krieg mit Israel als ein Teil der IS-Ramadan-Offensive angesehen
werden. Sie kann in einem Atemzug genannt werden mit dem Anschlag auf einen
Strand in Tunesien, dem Bombenanschlag auf eine schiitische Moschee in
Kuwait und dem Versuch, die syrisch-kurdisch-Stadt Kobane zurückzuerobern.
Die Botschaft ist klar und deutlich. Der IS kann überall zuschlagen: gegen
Strandtouristen, schiitische Moscheegänger, kurdische Peschmerga und eben
auch gegen die größte arabische Armee im bevölkerungsreichsten arabischen
Staat.
## Saudisches Gift
Möglich geworden ist das, weil der IS die inneren Widersprüche der
arabischen Welt ausnutzen kann. Sie sind sein Nährboden. 75 Prozent der
Jugendlichen Tunesiens sind nicht zu den letzten Wahlen gegangen,
desillusioniert von den Versprechungen nach sozialer Gerechtigkeit stellen
sie das Gros der Arbeitslosen im Land und sind eine leichte Beute für die
Rattenfänger des IS. Die bilden sie in Libyen aus und schicken sie in den
Irak oder nach Syrien. Und so ist es kein Problem, einen 23-jährigen
Studenten zu finden, der nur mit einer Kalaschnikow bewaffnet ein Massaker
an einem Strand anrichtet.
Oder der saudische Attentäter, der sich in der Moschee in Kuwait in die
Luft gejagt hat, indoktriniert von der saudischen Staatsideologie, die
Schiiten bestenfalls als Bürger zweiter Klasse, schlimmstenfalls als
auszurottende Religionskonkurrenz sieht. Es ist das saudische Gift, das die
Köpfe so vieler Jugendlicher am Golf zerstört.
Im Irak rekrutiert der IS aus der Gruppe der politisch und wirtschaftlich
von der Zentralregierung an den Rand gedrängten Sunniten, in Syrien junge
Männer, die glauben, auf die radikalste aller Arten das Regime von Baschar
al-Assad zu bekämpfen. In Ägypten verkauft sich der IS Jugendlichen als die
effektivere Alternative zu den Muslimbrüdern.
## Kein arabisches Regime ist der Herausforderung gewachsen
Zwei Bilder wurden vor kurzem über die sozialen Medien des IS verbreitet.
Eines mit der gesamten Führung der Muslimbrüder im Gerichtskäfig, während
die Todesurteile gegen sie gefällt wurden, und ein anderes mit einem
IS-Dschhadisten im Nordsinai neben einem toten ägyptischen Soldaten,
begleitet von dem Text: „Sucht es euch aus, was ist besser?“.
So muss man sicherlich mit Sorge darauf sehen, wie sich der IS allerorten
in der arabischen Welt ausbreitet. In jedem Fall muss man sich ihm auch mit
militärischen Mitteln entgegenstellen. Besiegen lässt er sich aber erst,
wenn sich die Bedingungen verändern, die zu seiner Entstehung und
Ausbreitung beigetragen haben.
Die zahlreichen arabischen Widersprüche aufzulösen, ist dabei keine
militärische, sondern eine politische Aufgabe. Doch kein arabisches Regime
und keine Regierung ist derzeit dieser Herausforderung gewachsen.
2 Jul 2015
## AUTOREN
Karim El-Gawhary
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Ägypten
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