# taz.de -- Boykott-Streit in Israel: Besatzung soll nicht 50 werden | |
> In einer Zeitungsanzeige fordern Israelis ein Ende der Besatzung und | |
> einen Boykott der Siedlungen. Das sorgt für aufgeregte Diskussionen. | |
Bild: Die Siedlung Modiin Illit steht auf dem Land des palästinensischen Dorfe… | |
JERUSALEM taz | Wenn die Sprache auf einen möglichen Boykott kommt, | |
reagiert die israelische Regierung empfindlich. Kaum hatte Stephane | |
Richard, Chef des französischen Handyunternehmens Orange das Ende des | |
Lizenzvertrags in Aussicht gestellt, wetterten die Politiker der Regierung | |
und der Opposition gegen den neuen Antisemitismus. | |
Die anti-israelische Kampagne erinnere ihn an die „Kooperation zwischen dem | |
Mufti Hadsch Amin al-Husseini mit den Nazis“, polemisierte Jair Lapid, Chef | |
der Zukunftspartei. Die französische Regierung, die ein Viertel der Anteile | |
an der Handyfirma trägt, beeilte sich mit einer offiziellen Entschuldigung, | |
während Richard persönlich nach Jerusalem reisen musste. | |
Parallel zu der Affäre appellierten 1.400 Israelis in einer Zeitungsannonce | |
für den „kulturellen und wirtschaftlichen Boykott gegen die Siedlungen in | |
den von Israel im Juni 1967 besetzten Gebieten“. Der Aufruf erinnert an den | |
Sechstagekrieg und den Beginn der Besatzung vor genau 48 Jahren. „Lasst die | |
Besatzung nicht 50 werden“, steht in großen Lettern über der ganzseitigen | |
Anzeige in der Tageszeitung Haaretz. | |
Die israelische Schriftstellerin und Übersetzerin Ilana Hammermann ist eine | |
der Initiatoren des Boykottaufrufs, der sich „im Grunde an die | |
internationale Gemeinschaft richtet. „Um die Anzeige in der New York Times | |
aufzugeben, fehle vorläufig das Geld“, erklärte Hammermann auf telefonische | |
Anfrage. | |
## Viele prominente Boykotteure | |
Die umgerechnet knapp 12.000 Euro für die Anzeige in Haaretz habe sie | |
mühsam sammeln müssen. „Wir sind natürlich in der Minderheit“, sagte sie. | |
Nach israelischem Recht ist der Aufruf zum Boykott ein Vergehen, das | |
strafrechtlich verfolgt werden kann. „Wir haben sehr aufgepasst, kein zu | |
großes Risiko einzugehen“, meinte Hammermann. | |
Der israelische Dramatiker Jehoschua Sobol gehört zu den Unterzeichnern des | |
Appells, der Bildhauer Dani Karavan, acht Preisträger des Israelpreises, | |
Intellektuelle, Diplomaten und Politiker. Der Aufruf beschränkt sich | |
gezielt auf den Boykott der Siedlungen im Gegensatz zu der BDS-Kampagne, | |
die genau vor zehn Jahren aus der palästinensischen Zivilgesellschaft | |
hervorging. BDS steht für „Boykott, Investitionsentzug und Sanktionen“. | |
Das erklärte Ziel ist das Ende der Besatzung und der Schutz der | |
Menschenrechte. „Wir reden von einem generellen Boykott aller israelischen | |
Produkte“, meinte Bahia Amra von der Palästinensischen Nationalen | |
Initiative. „Für uns besteht kein Unterschied zwischen Siedlern und | |
Israelis“, fügte sie am Telefon hinzu. BDS sei „ein Teil des friedlichen | |
Widerstands“. | |
Problematisch für die Palästinenser ist, selbst bei dem Boykott | |
mitzumachen. Die Autonomiebehörde ist durch Verträge zur wirtschaftlichen | |
Kooperation mit Israel verpflichtet. Die Produkte in den palästinensischen | |
Läden kommen mehrheitlich aus Israel. Für die Kunden gibt es nur bedingt | |
Alternativen. „Wenn es sein muss, höre ich ganz auf, Milch oder Schokolade | |
zu konsumieren“, meinte Amra. | |
## Angst vor Maßnahmen der Europäischen Union | |
Über den palästinensischen Boykott regt sich in Israel kaum jemand auf. Die | |
wirtschaftlichen Folgen sind vorläufig nicht relevant. Die größte Sorge | |
gilt derzeit einer einheitlichen Kennzeichnungsregelung für alle EU-Staaten | |
von Produkten aus Siedlungen, die es dem Kunden ermöglichen würde, sich | |
gegen den Kauf zu entscheiden. | |
Für den Kampf auf internationaler Bühne, Werbematerial und | |
Aufklärungskampagnen stellte die Regierung kurzerhand einhundert Millionen | |
Schekel zur Verfügung, umgerechnet etwa 25 Millionen Euro. BDS setze sich | |
aus Gruppen zusammen, „die die Vernichtung des Staates Israel wollen“, | |
kommentierte Dore Gold, der neue Generaldirektor im Aussenministerium. | |
„Niemand soll glauben, dass BDS aufhört, wenn morgen der Staat Palästina | |
gegründet wird.“ | |
Orange, das französische Handyunternehmen, wird versuchen, die | |
Kooperationsverträge mit der israelischen Firma Partner aufrecht erhalten. | |
Orange-Israel engagiert sich auch im sozialen Bereich, organisiert | |
Freizeitunternehmungen für Soldaten und unterhält Zentren. Eins von zwölf | |
dieser Zentren liegt in der Siedlerstadt Ariel, im Westjordanland. | |
8 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
## TAGS | |
Westmächte, Israel | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Boykott | |
BDS-Movement | |
Israel | |
Meinungsfreiheit | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Palästina | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Israel | |
Israel | |
Rainer Werner Fassbinder | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar Antisemitismus-Vorwürfe: Seltsame Querfronten | |
Dass die Freie Universität eine Dozentin aufgrund höchst fragwürdiger | |
Vorwürfe quasi suspendiert, ist skandalös. Die Meinungsfreiheit ist ein | |
hohes Gut. | |
Kommentar Nahost-Konflikt: Die Zeit drängt | |
Es droht eine neue Runde blutiger Gewalt im israelisch-palästinensischen | |
Konflikt. Nur Dritte können sie abwenden. | |
Palästinensisches Baby stirbt bei Anschlag: Zündelnde Siedler | |
Ein palästinensisches Kleinkind verbrennt bei lebendigem Leib in einem Dorf | |
bei Nablus. Israels Premier Netanjahu spricht von „Terror“. | |
Ein Staat für die Palästinenser: Erbitterter Streit ums Land | |
Im Süden von Hebron kämpfen palästinensische Hirten um ihr Dorf. Gegen | |
Israels Armee, seine Bulldozer und die benachbarte Siedlung. | |
Palästinenser im Hungerstreik: Khader Adnan kann jederzeit sterben | |
Zum zehnten Mal ist der Palästinenser in Israel in Haft. Nicht ein einziges | |
Mal wurde er angeklagt oder vor Gericht gestellt. | |
Steinmeiers Israel-Besuch: Blockade von Gaza lockern | |
Außenminister Frank-Walter Steinmeier appelliert an Israels Regierungschef | |
Netanjahu: Von Gazas Wohlstand hänge auch Israels Sicherheit ab. | |
Steinmeier in Israel: Palästinenserstaat als Voraussetzung | |
Bundesaußenminister Steinmeier fordert bei seinem Israelbesuch Benjamin | |
Netanjahu auf, den Weg für einen Palästinenserstaat zu ebnen. | |
Zum 70. Geburtstag Fassbinders: Alles andere als normal | |
Rainer Werner Fassbinder gilt vielen als Prototyp des linken Antisemiten. | |
Heute fehlt sein schonungsloser, provozierender Blick. |