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# taz.de -- Frauenmorde in Ciudad Juárez: 697 Jahre Haft
> 22 Jahre lang schauten die Behörden zu, oder machten mit, als Hunderte
> Frauen gequält, vergewaltigt, getötet wurden. Nun gab es Urteile.
Bild: In und um Ciudad Juárez werden immer wieder Leichen vermisster Frauen ge…
Berlin taz | 22 Jahre lang wurden in der nordmexikanischen Stad Ciudad
Juárez Frauen systematisch ermordet. Jetzt hat ein Gericht fünf Männer
wegen Menschenhandel und Mord an elf jungen Frauen verurteilt. Sie
erhielten eine Strafe von 697 Jahren Haft. Zudem müssen sie eine
Entschädigung von etwa 47.000 Euro zahlen.
Frauenrechtlerinnen sprachen nach dem Urteil, das am Dienstag (Ortszeit) in
der Stadt fiel, von einer historischen Entscheidung. Zwar sei es nicht das
erste Mal, dass jemand für die Frauenmorde verurteilt werde, erklärte
Imelda Marrufo vom „Red Mesa de Mujeres“ – Netzwerk „Tisch der Frauen�…
Aber bislang habe es sich um Einzelfälle gehandelt, die Strafen seien viel
niedriger ausgefallen.
Außerdem seien erstmals Organisationen von Frauen und Angehörigen in die
Ermittlungen eingebunden worden, die seit vielen Jahren für die Aufklärung
des „Feminizid“ genannten Phänomens kämpfen.
Seit 1993 sind in Ciudad Juárez, einer Stadt an der Grenze zu den USA,
immer wieder Mädchen sowie junge Frauen verschwunden. Sie wurden später,
häufig schlimm zugerichtet, tot aufgefunden. Wie viele insgesamt ermordet
wurden, ist umstritten. Offizielle Stellen sprechen von 700, NGOs wie das
„Red Mesa de Mujeres“ von mehreren Tausend.
Auch über die Frage, was mit dem Entführten genau passierte, gibt es
unterschiedliche Einschätzungen. Außer Zweifel steht, dass viele für die
organisierte Kriminalität arbeiten mussten, etwa in der Prostitution oder
im Drogenschmuggel. Möglicherweise wurden ihre Körper aber auch für den
Organhandel ausgebeutet oder sie mussten für blutige sexuelle Spiele von
Mitgliedern der Mafia herhalten.
Unbestritten ist, dass die Kartelle in Kooperation mit korrupten Polizisten
und Beamten für viele der Morde verantwortlich sind.
Im Fall der jetzt verurteilten Männer wurden die 15- bis 25-jährigen Frauen
zwischen 2009 und 2011 mit falschen Arbeitsangeboten angelockt, dann
entführt und zur Prostitution gezwungen.
Die Täter arbeiteten als Söldner der „Aztecas“, einer bewaffneten Truppe
des „Juárez-Kartells“. Sie zwangen ihre Opfer, sich im als Puff bekannten
„Hotel Verde“ sowie im Gefängnis der Stadt zu prostituieren. Die bereits
als vermisst bekannten Frauen wurden auch illegal in den Knast gebracht,
damit sie dort Geld für die Kriminellen anschaffen. Ihren Kunden mussten
sie Drogen verkaufen.
Wer sich zu arbeiten weigerte oder zu flüchten versuchte, den töteten die
Männer. Ebenso ermordeten sie die Frauen, wenn sie für die Prostitution
nicht mehr attraktiv genug erschienen. Dann legten die „Aztecas“ die
Leichen 40 Kilometer von der Stadt entfernt in der Region „Valle de Juárez“
ab. Dort fand man nicht nur die sterblichen Überreste jener elf Frauen,
über deren Tod jetzt verhandelt wurde. Immer wieder haben Mörder ihre Opfer
dort abgelegt.
## Opfer des Menschenhandels
„Das Gericht hegt keine Zweifel daran, dass die elf Opfer verletzlich
waren, weil sie sehr jung waren und sich in einer prekären wirtschaftlichen
Lage befanden“, erklärten die Richter. Deshalb seien sie zu Opfern des
Menschenhandels geworden. Die Täter hätten die gewalttätige Situation
ausgenützt, die in Ciudad Juárez herrsche.
In dem drei Monate dauernden Verfahren sagten 184 Zeuginnen und Zeugen aus,
darunter auch Angehörige der Ermordeten. Durch die vielen Beweise und
Aussagen sei erstmals juristisch belegt, dass der Frauenmord tatsächlich
stattfinde und keine „schwarze Legende“ sei, wie der Bürgermeister der
Stadt vor wenigen Monaten behauptet habe.
Im Dezember 2009 verurteilte der Interamerikanische
Menschenrechtsgerichtshof die mexikanische Regierung wegen einiger
Frauenmorde in Ciudad Juárez. „Der Staat ist seiner Verpflichtung, zu
ermitteln, nicht nachgekommen – und damit seiner Verpflichtung, das Recht
auf Leben, persönliche Integrität und persönliche Freiheit zu garantieren“,
kritisierten die Richter.
In der Grenzstadt wurde inzwischen, wie in dem Urteil gefordert, ein
öffentliches Denkmal für die Verstorbenen errichtet. Die Frauenmorde gingen
jedoch in ganz Mexiko weiter und ebenso die Straflosigkeit. Allein in den
Jahren 2012 und 2013 sind nach Angaben des privaten Forschungsinstituts
Observatorio contra el Feminicidio 3892 Frauen ermordet worden.
Nach UN-Angaben haben die Frauenmorde in Mexiko allein zwischen 2006 und
2012 um 40 Prozent zugenommen, 95 Prozent davon seien nicht strafrechtlich
verfolgt worden.
Das „Red Mesa de Mujeres“ sowie die Angehörigengruppe „Justicia para
Nuestras Hijas“ (Gerechtigkeit für unsere Töchter) forderten nach der
Urteilsverkündung, dass die Ermittlungen weitergehen müssten. Schließlich
seien sowohl die Hintermänner der Verurteilten, die Chefs der „Aztecas“,
als auch die Polizisten und Beamten, die das kriminelle Netz deckten,
weiterhin auf freiem Fuß.
29 Jul 2015
## AUTOREN
Wolf-Dieter Vogel
## TAGS
Organisierte Kriminalität
Menschenhandel
Prostitution
Mexiko
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Gewalt gegen Frauen
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