# taz.de -- Mexikos Grande Dame: Vom Unvorstellbaren erzählen | |
> Die mexikanische Autorin Elena Poniatowska, elegante Streiterin gegen den | |
> Machismo, wird mit dem Premio Cervantes geehrt. | |
Bild: Elena Poniatowska in ihrem Heim in Mexico City, im April 2014. | |
Sein pinkes T-Shirt ergänzt das Farbspektakel Mexikos. Violette | |
Bougainvillea, eine gelbe Gartenmauer und die roten Blüten des Tzite rahmen | |
den Portier, als er verkündet, dass die Señora nun empfängt. Die Señora | |
heißt mit ganzem Namen Hélène Elizabeth Louise Amélie Paula Dolores | |
Poniatowska Amor. Kurz: Elena Poniatowska, die Mexikaner nennen sie noch | |
kürzer: La Poni. | |
Zwischen den vielen Jubiläen, die Mexiko grade feiert, geht die aktuelle | |
Gewinnerin des Premio Cervantes fast ein bisschen unter. Drei große Dichter | |
wären dieses Jahr hundert geworden: der Nobelpreisträger Octavio Paz, der | |
Krokodilist Efraín Huerta und der Revolutionär José Revueltas. Elena ist | |
noch nicht ganz so alt und um einiges lebendiger. | |
1932 in Paris geboren, arbeitet sie seit 60 Jahren als Journalistin. Sie | |
hat etwa 40 Bücher publiziert, zumeist eine Mischung aus Prosa mit | |
journalistischer Chronik. | |
Poniatowska schreibt über die Feminizide in Ciudad Juárez, Soldatinnen der | |
mexikanischen Revolution oder über herausragende Mexikanerinnen. Manchmal | |
formuliert sie Surrealisten-Sätze wie: „Das Verrückte öffnet dir die Tore | |
zu deinem Inneren. Indem du Dinge tust, die andere verurteilen, begibst du | |
dich in eine andere Dimension und überwindest deine Mittelmäßigkeit.“ | |
## Frida Kahlo, Tino Modotti, Carlos Fuentes | |
Frida Kahlo, der Malerin und Galionsfigur Mexikos, legte sie folgende Worte | |
in den Mund: „Ich bin der Zerfall. Ich bin ein höhnischer Hund. Meine Hände | |
sind getaucht in Orangen.“ Und Nahui Olin alias Carmen Mondragón, Model und | |
Malerin, beschrieb sie als „die erste die sich als Körper-Frau begreift, | |
als Krug-Frau, als Vasen-Frau“. | |
Trotz ihres hohen Alters springt Elena Poniatowska aus dem Sofa, um den | |
Besuch zu begrüßen. Sie trägt eine hellrote Seidenbluse, Lippenstift in | |
exakt der gleichen Farbe und eine dreireihige Perlenkette. Die Journalisten | |
vom mexikanischen Fernsehen verabschieden sich gerade, die Gäste für das | |
Mittagessen stehen schon neben dem Esstisch. Elena thront auf dem Sofa und | |
unterhält alle gleichzeitig. Wenn sie lächelt, kräuselt sich ihre Nase auf | |
der linken Seite: Aus Berlin, aha. Ihr Sohn ziehe demnächst nach Berlin, er | |
freue sich schon auf das Fahrradfahren. | |
## Die Verrückten treffen | |
Ihren Spitznamen hat Autor Carlos Fuentes geprägt. „La Poni geht auf den | |
Markt, um den Direktor zu interviewen, La Poni will wissen, warum die | |
Jitomates so teuer sind, La Poni will die Verrückten in der Castañeda (der | |
Geschlossenen) besuchen“. So habe der Freund ihre Recherchen kommentiert, | |
erzählt Elena. | |
Die Familie ihrer Mutter gehörte zum Hofe des Diktators Porfirio Díaz. Als | |
1910 die mexikanische Revolution ausbrach, floh die Familie nach | |
Frankreich. Dreißig Jahre später ziehen die Poniatowskis wieder nach | |
Mexiko, diesmal auf der Flucht vor dem Zweiten Weltkrieg. Ohne studiert zu | |
haben, beginnt Elena 1954 für verschiedene Tageszeitungen zu schreiben. | |
Internationale Anerkennung erlangt sie mit Chroniken wie „La Noche de | |
Tlatelolco“. Mit der „Nacht von Tlatelolco“ verfasst sie die Geschichte d… | |
Studenten, die als Zeitzeugen 1968 das Massaker auf dem Platz der Drei | |
Kulturen überlebten. Damals starben Hunderte. Verantwortlich dafür war die | |
herrschende PRI, die Partei der Institutionalisierten Revolution. Der | |
heutige Präsident Mexikos, Enrique Peña Nieto, entstammt dieser Partei. | |
## Die vielen Toten | |
Ihre Reportagen zeugen von einer Geschichtsschreibung jenseits offizieller | |
Behauptungen. Sie setzt dabei auch dem omnipräsenten Machismo elegant große | |
Frauenfiguren entgegen. Neben den in Mexiko exilierten Künstlerinnen | |
Leonora Carrington und Tina Modotti kommen in biografischen Texten auch | |
Wäscherinnen zu Wort oder Frauen mit Behinderung. | |
In „La herida de Paulina“ (Die Wunde der Paulina) dokumentiert sie die | |
Schwangerschaft einer vergewaltigten Dreizehnjährigen. Das Gesetz verbietet | |
in dem katholischen Land die Abtreibung. Gerade sitzt sie an einem Buch | |
über Lupe Marín, der zweiten Ehefrau des Muralisten Diego Rivera. | |
Die gegenwärtige Realität Mexikos sieht sie kritisch. Die Regierung habe | |
die Büchse der Pandora entkorkt, „daher die Kloake des Drogenhandels“. Die | |
Situation in Mexiko sei heute schlimmer als in Kolumbien, obwohl | |
Drogenkriege und Menschenhandel auch dort an der Tagesordnung sind. | |
„Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass ich in diesem Land einmal | |
einen geköpften Mann sehen würde, der an einem Strick von einer | |
Fußgängerbrücke baumelt“, sagt die 1943 nach Mexiko Gekommene. Nicht die | |
vielen Toten, nicht die ermordeten Frauen, nicht die allgegenwärtige | |
Gewalt. | |
## López Obrador auf das Kissen gestickt | |
2006 hat Poniatowska die – erfolglose – Kampagne des linksoppositionellen | |
Präsidentschaftskandidaten López Obrador unterstützt. Ein Sofakissen im | |
Wohnzimmer zeugt von der Episode: Das aufgestickte Konterfei des Politikers | |
lächelt mit Hasenzähnen in die Runde. | |
In vierzig Jahren Preisverleihung des Premio Cervantes ist Elena die vierte | |
Frau, die mit der Auszeichnung geehrt wird. Der Premio Cervantes ist mit | |
125.000 Euro dotiert und gilt als der Literaturnobelpreis der | |
spanischsprachigen Welt. Am heutigen Mittwoch wird La Poni der Preis in | |
Spanien offiziell vom König überreicht. | |
„Ándale“, verabschiedet die Autorin ihre Gäste. Das kann je nach Intonati… | |
alles Mögliche heißen: spinnst du, beeil dich, oder auch: na denn, also | |
los, auf bald, alles Gute. Wenn jemand einen Mexikaner heiraten möchte, | |
sagt sie noch, dann soll man Bescheid sagen, sie würde sich darum kümmern. | |
Andererseits: „Die Besseren sind vielleicht die Gringos, die spülen | |
wenigstens die Teller.“ | |
23 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Catarina von Wedemeyer | |
## TAGS | |
Organisierte Kriminalität | |
Mexiko | |
Literatur | |
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