# taz.de -- Neues Album von Tame Impala: Einschmeichelnd abgefuckt | |
> Melancholie ist ein Sofa aus den Siebzigern, und Kevin Parker singt, dass | |
> er ein Mann sei: Tame Impala und ihr neues Album „Currents“. | |
Bild: Der Gitarrist bei der Arbeit. Sein Haar ist wirr: Kevin Parker. | |
Air statt T. Rex. Auf diese einfache Formel könnte man es bringen. Tame | |
Impala haben sich mit dem dritten Album von Glam Rock und früher | |
Psychedelia (Pink Floyd in der Besetzung mit Syd Barrett) abgewendet und | |
vor sich einen breiten Synthie-Teppich aufgerollt. Einerseits ist der | |
genauso retroselig, andererseits finden sich darin aktuellere Referenzen, | |
von Jean-Michel Jarre bis Giorgio Moroder. | |
Mit anderen Worten: Es geht schmeichelhaft zu auf dem neuen Album | |
„Currents“. Es gibt so gut wie keine Gitarrenfeedback, kein Dröhnen, kein | |
Geschrammel. Es gibt Kevin Parkers Stimme, fistelig und hoch wie immer, | |
aber eingebettet in etwas, das man vielleicht Yacht Pop nennen könnte. Die | |
Konstanten sind der schön griffige Bass, der die nötigen Hooks spielt, und | |
die Beats, die den nötigen Wumms mitbringen, mal vom Schlagzeug, mal aus | |
der Dose, so ganz lässt sich das nicht immer unterscheiden. | |
Ansonsten herrschen softe Flächen, die nicht wie der neueste Scheiß | |
klingen, sondern flauschig und angenehm. Was „Currents“ so ein bisschen | |
weghörbar macht. Ein Album für den Hintergrund; wären da nicht eben die | |
Bass-Hooks und die Delay-Momente, die einen stutzig auf den alten CD-Player | |
schauen lassen: Springt die CD? Ah, eine neue Synthiefläche! Soll so. | |
Was neue, seltsame Sounds betrifft, sollte man vielleicht besser Kanye West | |
hören. Zu „Currents“ gab es ja inzwischen schon die irrsten Vergleiche. | |
Sogar der Name Michael Jackson fiel. Von Hits wie „Billy Jean“ fehlt bei | |
„Currents“ jede Spur, es funktioniert dann doch wie ein richtiges | |
Rockalbum. „Let It Happen“ ist ein veritabler Auftaktsong, nur vielleicht | |
etwas zu lang, „Yes I’m Changing“ ist einen Tick zu soft, einzig „’Ca… | |
I’m a Man“ hat diesen Refrain, den man nicht so leicht vergisst. | |
Seltsamerweise habe ich einen ganz anderen Ohrwurm, wenn ich an „Currents“ | |
denke und nicht gerade höre, nämlich „Electric Feel“ von MGMT. These: | |
„Currents“ ist einschmeichelnder Wohlklang in 13 handhabbaren Einheiten. | |
Musik zur Zeit, die gleichzeitig nach versunkenen Ären klingt und | |
Hipnessfaktor mit irgendetwas wirklich Abgefucktem verbindet. Alles im | |
Zeichen der Veränderung, der Neuerfindung, der Häutung. MGMT sind den | |
umgekehrten Weg gegangen: tiefer ins Spinnertum, ab ins Ziselierte. | |
Supertramp auf Psychedelisch, Songwriting im Cut-up-Verfahren. Alles sehr | |
weit weg. Tame-Impala-Mastermind Kevin Parker hingegen wählt den Weg vom | |
Rand in die Mitte. Normal vielleicht, wenn man ohnehin vom Rand her kommt. | |
## Worum geht es genau? | |
Tame Impala wurde im australischen Perth gegründet. Im Wesentlichen lebt | |
Parker auch immer noch da, was heutzutage sehr viele Bonusmeilen bedeutet | |
und unendlich viel Zeit, im Flieger an den Tracks zu feilen mittels Laptop | |
oder Smartphone. Das Abgefuckte in „Currents“ steckt jedoch in den Texten | |
und in der Persönlichkeit Kevin Parkers, der wie gesagt im Wesentlichen | |
Tame Impala ist, auch wenn im Line-up noch ein paar andere Namen stehen | |
(wer es genau wissen will: die halbe Musikerszene von Perth, die sonst zum | |
Beispiel bei Pond spielt). „They say people never change, but that’s | |
bullshit, they do.“ | |
Worum geht es genau? Was macht eigentlich die Sängerin von Melody’s Echo | |
Chamber, Melody Prochet, die so vernarrt in Parker war, dass sie ihm bis in | |
die entlegensten Soundscapes hinein gefolgt ist? Wie wird sie musikalisch | |
auf diese kalte Abrechnung reagieren, die „Currents“ aller musikalischen | |
Wärme zum Trotz eben auch ist? Das hier ist nämlich kein Liebeskummeralbum. | |
Ein Beziehungsverarbeitungsalbum ist es, aber eher der abgeklärten, eben: | |
abgefuckten Art. | |
Die Jugend von heute: keine Demut, kein Respekt, keine Sentimentalitäten. | |
„There is another future waiting there for you“, heißt es in „Yes I’m | |
Changing“. Und die durchscheinende Melancholie fühlt sich an wie ein | |
cremefarbenes Sofa aus den siebziger Jahren, das nur irgendwie neu | |
aussieht. Dabei gelten Tame Impala immer noch als verspätete Hippieband. | |
Noch hat man Parker nicht mit Kurzhaarschnitt und neuer Freundin gesehen. | |
Kann aber noch kommen. | |
## Von Ironie weit entfernt | |
Dass sie etwas unverblümt Abgebrühtes haben, hat sich aber auch schon in | |
früheren Stücken gezeigt – wie auf der Debütsingle „Solitude is Bliss“, | |
einer treffenden Absage an einer Paarkonstellation. Oder an Gesellschaft | |
überhaupt. Parker ist aber kein verbitterter Stubenhocker. Dass er sich in | |
„’Cause I’m a man“ auf ein biologisch definiertes Selbstverständnis | |
zurückzieht – „Cause I’m a man, woman/ Don’t always think before I do/ | |
Cause I’m a man, woman/ That’s the only answer I’ve got for you“ – is… | |
Ironie so weit entfernt wie Perth von Berlin. Andererseits ist dies eben | |
eine Selbstbehauptung, die einen Weg zu einem zwischengeschlechtlichen | |
Verständnis aufzeigen könnte. Vor allem, wenn man bedenkt, dass dieses | |
Stück hier von einer Fistelstimme gesungen wird – und von Stöhnlauten | |
begleitet, die nach Eiswerbung klingen. | |
Angemessen psychedelisch geht es auf „Currents“ immer noch zu, nur eben | |
anders als gedacht. Es ist die andere Seite der Entgrenzung, die | |
angesteuert wird. Die Verlustierung hat ihr Ende erreicht. Jetzt werden | |
Grenzen gesetzt, und das Heil wird im synthetischen Wohlklang gesucht. Wer | |
übrigens nach der passenden Lektüre zu Tame Impala 2015 sucht, dem sei der | |
Roman „Planet Mignon“ von Leif Randt empfohlen. Science-Fiction, die | |
versucht, aktuelle Fragen zu (vornehmlich hetero-)sexuellen Beziehungen zu | |
beantworten. Auf die galaktische Art. | |
7 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
René Hamann | |
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