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# taz.de -- Kolumne Später: Die Angehörigen, das sind wir
> Bine hat Krebs. Und keine Familie. Wir FreundInnen lernen jetzt, wie man
> damit umgeht. Zuhören und bloß keine Ratschläge geben.
Bild: Freundschaften müssen die Familie ergänzen oder gar ersetzen, auch in s…
Freundin Bine hat eine Liste doofer Sprüche in ihrem Gedächtnis
gespeichert. Bine hat inzwischen ziemlich Probleme mit dem Sprechen, aber
sie kann noch flüstern. Wir saßen wie so oft auf unserem Geheimplatz an der
Havel auf der kleinen Landzunge und beobachteten rostige polnische Tanker,
die gemächlich vorbeizogen.
Doof, zum Beispiel, flüsterte Bine, ist der Spruch: „Krebs! Ist ja
furchtbar! Aber ich bewundere dich, wie toll du damit umgehst!“ Auch
Christoph Schlingensief hat mal in einem Interview gesagt, dass er dem
nächsten, der ihm zuraunt: „Ich bewundere Sie, wie Sie mit der Krankheit
umgehen!“, auf der Stelle den Hals umdreht. Man ruft ja auch nicht einem
Ertrinkenden zu: „Wie elegant Sie mit den Armen rudern, bewundernswert!“
Der Spruch steht auf einer Doofheitsstufe mit dem folgenden: „Ist natürlich
scheiße, der Krebs. Aber sieh‘ es auch als Chance, am Ende kriegst du
vielleicht ganz neue Perspektiven.“
Bine ist so ein paar Freundinnen losgeworden. Aber wir bleiben da. Bine hat
keine Familie. Die Angehörigen, das sind jetzt wir. In Wolfgang Herrndorfs
Buch über seinen Tumor hab ich sinngemäß gelesen: ,Bloß keine Ratschläge
geben, sich stattdessen für die Details interessieren.‘
## Nach den Details fragen
„Wie groß ist denn der Tumor, kann ich den von außen fühlen?“, hat Doris
gefragt, ich hätte so was nie gewagt, aber es war genau die richtige Frage.
„Was ist denn das, eine Induktions-Chemo?“, erkundigte sich Doris weiter.
Bine, das habe ich gelernt, will nämlich durchaus über die Details reden,
genauer gesagt, flüstern. Ganz viel sogar. Dank Google weiß ich jetzt auch
einiges über das Larynxkarzinom, die Vor- und Nachteile von
Strahlentherapie, Chemo und OP und kann mitreden.
„Wir müssen das managen wie bei einer Bergtour“, hat Susanne erklärt, als
Bine nicht dabei war, „am Anfang so langsam loslaufen, dass unsere Kräfte
lange reichen. Und ein Team bilden, ein Abspracheteam.“ Die Behandlung von
Bine wird mit allem Drum und Dran bis in den Spätherbst dauern. Mindestens.
## Ein Rat vom Tibeter
Ich kann Bine vom Krankenhaus abholen, am Wochenende für sie einkaufen, ab
und an mit ihr spazieren gehen oder kochen und „Tatort“ gucken. Nachbar
Werner kümmert sich um die Katze. Susanne hat angekündigt, an Bine jeden
Tag eine SMS zu schicken, „täglich kurze Kontaktzeichen geben, das ist
wichtig“, verkündete sie. Doris kommt jede Woche in die Klinik oder zu Bine
nach Hause, je nachdem.
Vor drei Jahrzehnten habe ich mal einen dicklichen, kleinen Tibeter
interviewt, der sich mit Kranken- und Sterbebegleitung beschäftigte, erst
später wurde er sehr populär. Damals trug er noch keine malerische Kutte,
aber er hatte die Marktlücke im Westen schon erkannt. Wie man Schwerkranke
begleitet? „It is the little things that matter“, hat er damals zu mir
gesagt. Ich bin jetzt an die Havel gefahren und habe ein Foto von unserem
Geheimplatz gemacht. Das druck ich bei Rossmann aus, zusammen mit dem Bild
von Bines Katze und einem Bild vom Sonnenaufgang über Kreuzberg. Gibt so
eine Art Leporello, klein genug für einen Nachttisch im Krankenhaus. Little
things. Ganz genau.
20 Jul 2015
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Freundschaft
Altern
Liebe
Brigitte
Buddhismus
Krebs
Altern
Glück
Frauen
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