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# taz.de -- Technoumzug am Samstag in Berlin: „Kein Aufguss der Loveparade“
> 20.000 Menschen sollen am Samstag durch die Stadt ziehen. Mit der
> Loveparade habe das nichts zu tun, sagt Organisator Jens Schwan. Der
> Liebeszug sei eine Demo.
Bild: Es geht um Liebe auf der Straße: Am Samstag ziehen wieder ein paar Raver…
taz: Herr Schwan, auf der von Ihnen mitveranstalteten Demo mit dem Namen
„Zug der Liebe“ werden zehn Wagen mit DJs durch die Stadt ziehen, die
Techno auflegen und zum Raven animieren. Ist das die Wiederauferstehung der
Loveparade unter anderem Namen an ihrem Geburtsort?
Jens Schwan: Nö. Auf keinen Fall. Daran haben wir zu keinem Zeitpunkt
gedacht.
Sie finden es also verwunderlich, dass bei diesem Grundkonzept und einem
Namen wie „Zug der Liebe“ wirklich jeder an die Loveparade denken muss?
Wenn man bedenkt, was wir mit unserer Veranstaltung erreichen wollen, finde
ich den Namen „Zug der Liebe“ einfach ziemlich passend: Toleranz,
Mitgefühl, Nächstenliebe – das wollen wir alles unter einen Hut bekommen.
Assoziationen zur Loveparade sind also ein Missverständnis?
Als das mit dem „Zug der Liebe“ als Pressemeldung rausging, stand das am
nächsten Tag in 25 Medien. Und so gut wie alle haben ihren Bericht über uns
mit irgendwelchen halbnackten Tussis bebildert und in der Überschrift
irgendwas von der Loveparade geschrieben. Erst im Text stand dann irgendwo,
dass die Macher eigentlich gar keine Neuauflage der Loveparade planen
würden. Aber die Leute scheinen heute ja nur noch Überschriften zu lesen
und keine Texte mehr. Wir mussten also erstmal die Deutungshoheit über
unser Veranstaltung zurückgewinnen.
Verständlich.
Von überallher kamen schließlich Fragen, warum es bei uns nur zehn Wagen
geben würde und nicht gleich 30. Manchen mussten wir sagen: „Schaut doch
einfach mal auf unsere Homepage, dann versteht ihr, dass wir eine Demo
planen und keinen Aufguss der Loveparade!“ Viele meinten dann, wir seien ja
gegen Pegida, weswegen sie jetzt doch nicht zu uns kommen würden.
Fanden Sie die Loveparade so schrecklich, dass Sie nichts mehr mit dieser
zu tun haben wollen?
Von 1990 bis 1993 war ich selber auf der Loveparade, aber dann wurde sie
mir zu kommerziell: Diese Hymnen, der ganze Merchandisingscheiß, diese
Musik-Compilations und der ganze Bullshit mit der Abschlusskundgebung rund
um die Siegessäule?! Gegen Parallelen zu den ersten Loveparades hätte ich
nicht mal etwas. Aber die Leute heute kennen ja nur noch die späten
Loveparades, gesponsert von einem Fitnesscenter-Unternehmer. Die beerben zu
wollen, wäre einfach nur geschmacklos.
Gab es Stimmen, die meinten, fast genau fünf Jahre nach der
Loveparade-Katastrophe in Duisburg, bei der 21 Menschen starben, verbiete
es sich, einen „Zug der Liebe“ zu veranstalten.
Eigentlich nicht. Irgendwo habe ich eine Kritik von einem Angehörigen eines
Verbands der Duisburger Loveparade-Opfer gelesen. Dem habe ich geschrieben,
dass wir mit der Loveparade nichts zu tun hätten. Ich habe daraufhin nichts
mehr von ihm gehört.
Bei der Loveparade ging es schlicht um „Friede, Freude, Eierkuchen“. Sie
sprechen sich „für ein tolerantes Zusammenleben ohne Pegida“ und „für d…
Erhalt von Grünflächen“ aus. Die aktuelle Flüchtlingsproblematik würden S…
am liebsten auch noch lösen. Da fehlt eigentlich nichts zur Rettung der
Welt. Wäre es inhaltlich nicht auch eine Nummer kleiner gegangen?
Das Zusammenbringen verschiedener Anliegen ist nun mal das Konzept der
Veranstaltung. Warum soll ich denn auch nur wegen einer Sache auf die
Straße gehen? Es gibt so viele Dinge, die uns nerven.
„Teilt und seid nicht gierig, kämpft nicht, redet miteinander, respektiert
euch, seid ordentlich, verletzt keine anderen Lebewesen“ – das schreiben
Sie auf Ihrer Homepage. Das klingt wie ein Anweisungskatalog für den
Kirchentag. Sollen sich die Technofans ernsthaft davon angesprochen fühlen?
Warum nicht? Du willst mit solchen Aufforderungen die Leute eben mal dazu
bewegen, dass sie ihren Arsch bewegen, mal nachdenken und nicht immer nur
feiern gehen. Es gibt in Berlin ja durchaus eine kleine Szene von politisch
Denkenden im Nachtleben. Etwa die Leute von dem Club About:Blank. Aber die
große Techno-Mehrheit sieht das Feiern im Normalfall immer nur als Spaß an.
Etwas einfältig klingt der „Zug der Liebe“-Slogan „Wir haben keinen Fein…
Unser Grundgedanke ist eben, für etwas zu sein und nicht dagegen. Natürlich
ist man am Ende dann doch auch mal gegen etwas, weil man sich schon sehr
verrenken müsste, irgendein „Dafür“ zu formulieren, wenn man eigentlich
sagen will, dass man beispielsweise Pegida scheiße findet.
„Für ein tolerantes Zusammenleben ohne Pegida“ heißt es aber doch bei
Ihnen.
Ja, stimmt schon. Am Ende haben wir es auf unserer Homepage eben doch so
formuliert.
Also ist der „Zug der Liebe“ letztlich eine Dafür-Parade, die doch gegen so
einiges ist.
Ja, so kann man es sagen.
Die Loveparade war auch eine Dafür-Veranstaltung. Wenn eine Millionen
Menschen auf die Straße gehen und tanzen, ist das eine ziemlich starke
Aussage für gegenseitigen Respekt.
Stimmt. Aber ein derart heruntergebrochener hedonistische Ansatz – nur
Spaß, nur Tanzen – hätte heute einfach zu wenig Substanz. Damals, als es
los ging mit der Loveparade, war da ein ganz anderes Lebensgefühl: Die
Mauer war weg, der Balkankrieg hat noch nicht stattgefunden, es war einfach
eine super Zeit, nichts Dramatisches passierte gerade um einen herum. Da
passte „Friede, Freude, Eierkuchen“ einfach perfekt. Heute muss da mehr
kommen. Man muss es auch so sagen, wenn man Pegida scheiße findet. Wir
sehen uns letztlich eher in der Tradition des CSD, des Karneval der
Kulturen und von Mediaspree, als in der der Loveparade. Auch das sind
eigentlich Demos, die sich einfach der Musik bedienen, um mehr Leute zur
Verkündung ihrer Anliegen zu ködern. Würde ich nur eine Demonstration
veranstalten, ohne Musik, kommen da vielleicht nur 50 Leute. Das bringt es
doch auch nicht.
Wird es bei ihrer Demo wirklich keine Werbung und keinen Getränkeverkauf
und auch sonst nichts geben, mit dem man wenigstens ein wenig Geld
verdienen könnte?
Wir hatten tausend Anfragen von Essens- und Getränkeständen-Betreibern,
Promotionteams und Marketingagenturen. Wir haben alles abgelehnt. Wir
wollen keine kommerzielle Veranstaltung.
Sie hätten jetzt reich sein können?
Wir hätten auf jeden Fall ordentlich Kohle machen können. Aber das war uns
egal.
Auch wenn der „Zug der Liebe“ nun etwas völlig anderes ist als die
Loveparade: Dreht die Polizei bei der Planung Ihrer Demo aufgrund der
Erfahrungen in Duisburg nicht völlig durch?
Überhaupt nicht. Die Zusammenarbeit ist wunderbar. Die haben da sogar
richtig Bock drauf. Weil sie wissen: Es wird zwar eine Demo sein, aber von
den Technofans sind keine Krawalle zu erwarten.
24 Jul 2015
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Karneval
Club
Loveparade Duisburg
Techno
Loveparade
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