# taz.de -- Berliner Partydemo „Zug der Liebe“: Abhotten mit Gandalf | |
> Im aufziehenden Sturm tanzten Weißbärtige, Punks und Stoffbeutelträger in | |
> Berlin für mehr Nächstenliebe – und gegen die Gema. | |
Bild: Gut gelaunt – und irgendwie bestimmt auch politisch. | |
Bei der Loveparade tanzten auf den Wagen immer halbnackte Menschen mit | |
Fitnessstudio-Abo. Beim „Zug der Liebe“ am Samstag war auf den Umzugswagen | |
selbst vergleichsweise wenig los, für die Bespaßung der Massen sorgten die | |
DJs und nicht irgendwelche Vortänzer. Doch es gab auch ein paar Ausnahmen | |
und vor allem zwei von diesen waren schnell die Lieblinge der Raver. | |
Keine Ahnung, wo die beiden steinalten Zotteln mit schlohweißen Bärten | |
herkamen, die sich da auf einem der vorderen Wagen verrenkten, und auch | |
keine Ahnung, was für Drogen die Herren genommen hatten. Aber die zwei, die | |
aussahen, wie der Zauberer Gandalf aus „Herr der Ringe“, zeigten, dass der | |
„Zug der Liebe“, wie versprochen, tatsächlich etwas anders war als die | |
Loveparade. | |
Der „Zug der Liebe“, der keinesfalls als Neuauflage der Loveparade | |
verstanden werden wollte, war mit dem Anspruch angetreten, vor allem eine | |
Demo zu sein, die sich zur Unterstützung ihrer Anliegen ein wenig der Musik | |
bedient. | |
Die Veranstalter wollten nicht nur zehn- bis hunderttausende Raver Wagen | |
hinterhertrotten lassen, die von irgendeiner „Hallo wach!“-Brause oder der | |
FDP gesponsert werden. Sondern durch die Straßen Berlins ziehen und für | |
eine bessere Welt demonstrieren. Bei der Polizei wurde der „Zug der Liebe“ | |
als politische Demonstration unter dem Motto „Mehr Mitgefühl, mehr | |
Nächstenliebe und soziales Engagement“ angemeldet. | |
Es lässt sich nun darüber streiten, wie politisch es ist, einem Wagen | |
hinterher zu tanzen, auf dem „Gema und GEZ abschaffen“ steht, oder „No | |
Border, No Nation“. Aber ähnliche Fragen lassen sich auch jeder | |
herkömmlichen Latschdemo stellen. | |
Auch kann bezweifelt werden, dass die Mehrheit der Raver, die an einem | |
wunderschönen Samstag in Berlin vor allem Spaß haben wollten, sich wirklich | |
mit den Messages der Wagen identifizierten. Aber man kann andererseits | |
schlecht etwas dagegen haben, wenn eine Horde wild Tanzender einem Wagen | |
folgt, auf dem ein großes Transparent mit der Aufschrift „Refugees Welcome“ | |
steht. | |
Im Vorfeld gab es einige Zweifel daran, wie schlüssig das „Zug der | |
Liebe“-Konzept überhaupt ist. Denn das Themenspektrum, das man bei dieser | |
musikalischen Demo abarbeiten wollte, wirkte ziemlich weit gefasst, um | |
nicht zu sagen: beliebig. Von einem Plädoyer für mehr Open Air-Festivals in | |
Berlin bis zum Aufruf gegen Pegida war so ziemlich alles dabei. | |
In der Praxis funktionierte der „Zug der Liebe“ dann aber doch ziemlich | |
gut. Ein schier endloser Pulk von, so schätzt die Polizei, um die 25.000 | |
Ravern, schlängelte sich von Friedrichshain durch den Prenzlauer Berg und | |
Kreuzberg nach Treptow. Man konnte gut von einem Themenwagen zum nächsten | |
hoppen, immer wieder anderen DJs folgen und irgendwann, spätestens nach | |
vier Stunden Laufen und Tanzen, wirkten die Debatten im Vorfeld des Umzugs | |
nur noch kleinkariert. | |
## Federn und Stachelpunks | |
Nein, die Welt wird diese Party auf den Straßen tatsächlich nicht | |
verändern, aber immerhin zeigen, dass Berlin bunt und durchaus ein wenig | |
verrückt zu bleiben hat. Dazu trugen auch die vielen kleinen Szenen am | |
Rande des Zugs bei. Von einem der Umzugswagen wurden ständig Federn auf die | |
Tänzer geblasen, ganze Bettdecken scheint man da zerkleinert zu haben. | |
Lustig war auch der Punk mit Stachelfrisur, der Bier verkaufte und mit | |
einem eigenen Soundsystem neben dem Umzug herzog, auf dem härterer Techno | |
lief als auf jedem der Wagen, was nicht wenige gar nicht so schlecht | |
fanden. | |
Oder dann dieser Typ, der wie aus dem Nichts auftauchte und einen | |
anbrüllte: „Move! Before you die!“ Vor allem aber blieb ein Spruch hängen, | |
der auf einem Stoffbeutel eines Ravers zu lesen war und der letztlich wie | |
das wahre Motto des „Zug der Liebe“ erschien: „Wir müssen aufhören, wen… | |
zu raven.“ | |
Hinterher zeigten sich die Veranstalter sehr zufrieden. Ein „voller Erfolg“ | |
sei der Umzug gewesen, sagte Veranstalter Jens Schwan. Und das, obwohl der | |
„Zug der Liebe“ wegen eines heranziehenden Sturms nach guten sechst Stunden | |
bereits an der Stralauer Allee endete, statt wie geplant in Treptow. | |
26 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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