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# taz.de -- Die Wahrheit: Runter von der Brücke!
> Kapitäne schwimmen seit einiger Zeit im Mahlstrom der öffentlichen
> Meinung. Nun drohen sie krachend unterzugehen.
Das Bild des Kapitäns ist in letzter Zeit sehr in Verruf geraten. Beim
jüngsten Schiffsunglück auf dem Jangtse im Juni dieses Jahres wurden nur
vierzehn Personen gerettet. Glücklicherweise war der Kapitän des
Unglücksboots dabei. Anstatt sich darüber zu freuen, fragt der Tagesspiegel
misstrauisch: „Warum gehört der Kapitän zu den Geretteten?“
Noch heftiger als der namenlose chinesische Schiffsführer wurde der
unglückliche Kapitän der im Jahr 2012 vor der Insel Giglio gesunkenen
„Costa Concordia“ in der Presse kritisiert. Alles nur, weil Francesco
Schettino beim Rettungsversuch einer Bella bionda versehentlich in ein
Rettungsboot fiel und dem Treiben auf dem sinkenden Schiff hilflos vom Pier
zusehen musste.
Kritik und Häme statt Anteilname und Verständnis waren vonseiten der Medien
der unverdiente Lohn. Die Presse war spätestens seit dem Untergang der
„Oceanos“ 1994 auf schneidige Kapitäne nicht mehr gut zu sprechen. Der
griechische Kapitän des 39 Jahre alten Seelenverkäufers türmte Hals über
Kopf, als sein Schiff leckschlug, berichtete der Spiegel.
Der geschmeidige Schiffsführer saß als einer der Ersten im rettenden
Hubschrauber, während 170 Männer, Frauen und Kinder an Bord noch um ihr
Leben bangten. Und was sagte Kapitän Jannis Avranas, der alles von oben aus
beobachtete? Er begründete seine forsche Absetzbewegung damit, „dass er die
Rettungsaktion nach dem Verlassen des Schiffes besser dirigieren konnte“.
## Unzeitgemäße Regeln für Kapitäne
Gut argumentiert, und der Erfolg gab ihm recht. Die Rettung verlief
perfekt, alle Passagiere konnten dank seiner Umsicht geborgen werden,
selbst die älteren Urlauber, die sonst umständlich an jeder Ladenkasse
bezahlen und hier die gesamte Aktion gefährdet hätten.
Die alte Regel, nach der der Kapitän sein Schiff als Letzter verlassen
soll, ist längst nicht mehr zeitgemäß, wenn fußballstadiongroße
Containerriesen auf den Meeren kreuzen. Wie soll der Kapitän wissen, wer
noch an Bord so eines Ungetüms ist? Soll er etwa an jede Kabinentür klopfen
und in jedem Container nachsehen, ob sich dort womöglich noch ein blinder
Passagier versteckt? Der griechische Kapitän verzichtete darauf und tat
das, was ein guter Kapitän tun sollte, er verschaffte sich als Erstes einen
Überblick von einer höheren Warte!
Die undankbare Presse fiel anschließend wie ein Rudel Orcas über ihn her.
Dabei gehörte Capitano Avranas zu jener neuen Generation der Kapitäne, die
auch einmal zu unpopulären Maßnahmen greifen. Kein falsches Pathos, kein
verlogenes Heldentum, ist die Devise. Seine unorthodoxe Sichtweise
formulierte Avranas bereits vor seiner Havarie im Gespräch mit der Travel
Times: „Ich werde auf dem ersten Boot sein, welches das Schiff verlässt.“
Die noch schärfere Regel, dass der Kapitän auf dem sinkenden Schiff zu
verbleiben hat, wurde seinerzeit von gewissenlosen Reedern und Eignern
aufgestellt und sollte verhindern, dass ein herrenloses Wasserfahrzeug von
einem Finder übernommen werden konnte und so in seinen Besitz fiel. Die
Anwesenheit des Kapitäns auf einem Schiff verhinderte das.
## Mythen im deutschen Seerecht
Eine Regel eindeutig auf Kosten der braven Bootsführer, genau wie das
ungeschriebene Gesetz, dass der Kapitän als Letzter von Bord zu gehen habe.
Eine Sitte, die Die Zeit im deutschen Seerecht festgeschrieben wähnt. Doch
laut dem Kieler Seerechts-Experten Dr. Uwe Jenisch ist das ein Mythos und
allenfalls ein Gewohnheitsrecht.
Das alles wird von der reederfreundlichen Presse übersehen, die ja allzu
gern über „feige“ Kapitäne herzieht. Anders als die hysterischen Medien
sahen die englischen Richter seinerzeit das Verhalten des griechischen
Kapitäns entspannter und sprachen ihn von allem Fehlverhalten frei. Der
Grieche sollte später als Kreuzschifffahrtskapitän arbeiten, ohne jemals
unterzugehen.
Auch Käpt’n Larsen – nein, nicht der „Seewolf“ – von der „Scandina…
Star“ verließ seine brennende Fähre zügig. „Sollte ich auf der Brücke
bleiben und sterben?“, fragte er anschließend. Selbstverständlich nicht.
Ein guter Kapitän sollte wissen, wann es Zeit ist, den Platz für andere,
Berufenere, freizumachen. Das war seinerzeit an Bord der „Ozeanos“ ein
bärtiger Entertainer aus Kapstadt: Robin Boltmann. Der bekam durch den
unerwarteten Abgang seines Kapitäns die Chance, von der jeder
Stand-up-Comedian träumt: Er hatte ein Publikum, das nicht flüchten konnte.
Und so munterte der Bärtige die Verzweifelten mit Witzchen auf, bis alle im
sicheren Helikopter saßen. Aber wer wird zum Buhmann gemacht? Natürlich der
Kapitän, der die Rettungsaktion von einem höheren Standpunkt aus leitete.
Typisch!
22 Jul 2015
## AUTOREN
Kriki
## TAGS
Kapitän
Seefahrt
Großstadt
Schrumpfung
Fernbus
„Islamischer Staat“ (IS)
Schwerpunkt Klimawandel
Stern
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