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# taz.de -- Debatte Drohnen und Flüchtlingspolitik: Tödliche Luftnummern
> Drohnen sollen helfen, Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer zu
> verhindern. Diese Aufrüstungslogik muss durchbrochen werden.
Bild: Der hergezauberte Plan, Drohnen einzusetzen, erwies sich im Handumdrehen …
Große Katastrophen haben manchmal überraschend positive Nebenfolgen: Auf
das Erdbeben und den Crash der japanischen Atomkraftwerke folgte in
Deutschland der Entschluss, auf Nuklearkraftwerke mittelfristig zu
verzichten. Öfter jedoch werden bizarre Konsequenzen gezogen. Auf die
Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeerraum reagierten Verantwortliche mit dem
Vorschlag, das Meer mit unbewaffneten Drohnen zu überwachen, also die
Antwort auf ein humanitäres Problem in einen quasimilitärischen Rahmen zu
stellen.
Natürlich sind Aufklärungs- und Überwachungsdrohnen für zivile Zwecke
nutzbar zu machen – im Gegensatz zu bewaffneten Drohnen. Aber was ist damit
gewonnen zu wissen, wo sich die Flüchtlingsboote befinden, wenn
andererseits kein Politiker und kein Militär in Europa bereit ist, Teile
der eigenen Flotte zur Rettung abzukommandieren? Und wohin sollen die
geretteten Flüchtlinge gebracht werden, wenn sich die EU-Staaten nicht
einmal über die Verteilung von 60.000 in Griechenland, Malta und Italien
Gestrandeten einigen können?
Der hergezauberte Plan, Drohnen einzusetzen, erwies sich im Handumdrehen
als das, was er ist: eine Luftnummer, mit der vorgegaukelt werden sollte,
die EU-Staaten würden „etwas tun“ – symbolpolitischer Gratis-Aktionismus
als Beruhigungspille.
Aber das ist nur die eine Seite. Es gibt Gründe für die Annahme, dass die
Diskussion über unbewaffnete Drohnen nur angeschoben wurde, um einer
anderen Debatte Schwung zu verleihen: der über die Anschaffung von
Kampfdrohnen und Kampfrobotern. Zumindest der ehemalige
Verteidigungsminister de Maizière und seine Nachfolgerin von der Leyen
sowie der ehemalige Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus und einige Generäle
a. D. haben sich für die Anschaffung ausgesprochen. Geworben wird immer mit
den gleichen Dogmen, wonach Kampfdrohnen eine „saubere und von menschlichen
Fehlleistungen freie und obendrein Soldatenleben schonende Kriegsführung“
erlaubten.
## Rechtlich-philosophische Fragen
Es war Barack Obama, der Kampfdrohnen zur „gezielten Tötung“ einsetzen
ließ. Von 344 Drohnenangriffen in Afghanistan und Pakistan zwischen 2004
und 2012 fallen 52 in die Amtszeit G. W. Bushs und 292 in jene Obamas.
Unter den 2.500 bis 3.300 Opfern waren 500 bis 900 Zivilisten, davon 176
Kinder – wie die Studie „Living under Drones“ der Stanford University
feststellte. Aber auch jenseits dieser skandalösen Befunde und des
Scheiterns der US-Strategie wirft der Drohneneinsatz moralisch-politische
und rechtlich-philosophische Fragen auf, die der Völkerrechtler Robin Geiß
in einer Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung behandelt hat.
Zu unterscheiden wäre zunächst zwischen von Menschen gesteuerten
Kampfdrohnen und vollautomatisierten Tötungssystemen, die allein von
Computerprogrammen gesteuert werden. Im Koalitionsvertrag treten die
Regierungsparteien für eine „völkerrechtliche Ächtung vollautomatisierter
Waffensysteme, die dem Menschen die Entscheidung über den Waffeneinsatz
entziehen“, ein. Vollautomatische Tötungssysteme existieren noch nicht,
aber wie auf allen militärischen Feldern wird die Entwicklung auch auf
diesem forciert, um den Einsatz von Menschenleben und damit das Eigenrisiko
zu verringern.
Nur einmal ist es gelungen, dieser Aufrüstungslogik präventiv
völkerrechtlich verbindliche Schranken zu setzen – bei der Entwicklung der
Neutronenbombe, die Menschen töten, aber Material schonen kann. Und nur in
wenigen Fällen – gegen den Einsatz von Giftgas (1925) und gegen chemische
und biologische Waffen (1933) – gelang die völkerrechtliche Ächtung
nachträglich, wenn auch nicht weltweit und dauerhaft. „Traditionell kam das
Völkerrecht bei der Regulierung neuer Waffentechnologien regelmäßig
mindestens einen Krieg zu spät“ (Robin Geiß).
## Landkriegsordnung von 1899
Gegenüber der These Herfried Münklers, wonach sich die Kritik an
Kampfdrohnen an der „Ethik einer vorbürgerlichen Gesellschaft mit
heroischen Idealen“ und anderen Antiquitäten vom ritterlichen Zweikampf
oder vom „justus hostis“, dem ehrenhaften Feind, orientiere, zeigt Geiß,
dass sich das Völkerrecht auch heute noch an den moralischen Grundsätzen
und rechtlichen Normen ausrichten kann, die Friedrich Fromhold Martens
(1845–1909) für die Haager Landkriegsordnung von 1899 formuliert hat.
Demnach ergeben sich die Grundsätze des Völkerrechts aus „feststehenden
Gebräuchen, aus den Grundsätzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen
des öffentlichen Gewissens.“ Daraus lassen sich immer noch gültige und
praktikable Normen für die Kritik an Kampfdrohnen ableiten.
Auf Münklers späthegelianisch inspirierte Parallelisierung von ethischem
und waffentechnologisch-materialem Fortschritt und seine Spekulationen über
„postheroische Gesellschaften“ muss man dabei allerdings verzichten. Adorno
brachte diese Differenz auf die griffige Formel: „Keine Universalgeschichte
führt vom Wilden zur Humanität, sehr wohl eine von der Steinschleuder zur
Megabombe.“
Daraus folgt erstens: Kampfdrohnen verletzen die Menschenwürde derer, die
solche Waffen konzipieren und lenken. Sie werden zu „bloßen Maschinen und
Werkzeugen in der Hand eines andern (des Staats)“ (Kant). Nach dem Statut
des Internationalen Strafgerichthofs erfüllt eine Kriegshandlung, die die
persönliche Würde beseitigt, den Tatbestand eines Kriegsverbrechens.
Zweitens: Nach heutigem Stand sind Kampfdrohnen nicht in der Lage, das
Prinzip der Verhältnismäßigkeit des Mitteleinsatzes – „einen der
Grundpfeiler des humanitären Völkerrechts“ (Robin Geiß) – adäquat zu
berücksichtigen.
Drittens: Kampfdrohnen können nicht zuverlässig zwischen völkerrechtlich
geschützten Zivilpersonen und Kombattanten unterscheiden. Das trifft auch
auf andere Waffensysteme zu, ist aber kein Argument für Kampfdrohnen, denen
diese Unterscheidungsfähigkeit prinzipiell fehlt, weil sie „per Definition
keine Möglichkeit (haben), außerhalb ihrer Algorithmen zu denken“ (Geiß).
Insofern öffnet der Einsatz von Kampfdrohnen Verantwortungslücken zwischen
Produzenten und Programmierern, Entscheidern und Waffenanwendern.
17 Jul 2015
## AUTOREN
Rudolf Walther
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