# taz.de -- Freiwilliger über Rettung von Flüchtlingen: Schaut man weg, sterb… | |
> Hagen Kopp von der Gruppe „Watch the Med“ über die Grenzschutzagentur | |
> Frontex, die Macht von Öffentlichkeit und alltägliche Dramen auf dem | |
> Meer. | |
Bild: Urlaubsidylle: Eine Touristin auf Kos fährt mit dem Rad an Migranten vor… | |
taz: Herr Kopp, nach den Katastrophen mit Hunderten toten Migranten im | |
April hat die EU versprochen, tätig zu werden. Ist das geschehen? | |
Hagen Kopp: Unser Eindruck ist, dass in den Wochen nach dem schweren | |
Schiffsunglück am 19. April relativ viel passiert ist. Es wurde darauf | |
geachtet, dass es möglichst keine weiteren Toten gibt. Der Fokus der | |
Öffentlichkeit war darauf gerichtet, viel in Bewegung gesetzt. Aber in den | |
letzten drei, vier Wochen hat das Engagement spürbar nachgelassen. Schaut | |
die Öffentlichkeit nicht mehr hin, sterben sofort wieder Menschen. | |
Was bedeutet das? | |
Großbritannien beispielsweise hatte damals ein großes, leistungsfähiges | |
Marineschiff, die „Bulwark“, in die Region geschickt. Die wurde nun durch | |
eine kleineres ersetzt, die „HNC Protector“. Auch die Bundeswehr hat zwei | |
Fregatten geschickt, die „Hessen“ und die „Berlin“. Sie haben sich zun�… | |
bewusst nicht der EU-Grenzschutzagentur Frontex unterstellt, sondern dem | |
Kommando der zivilen römischen Rettungsleitstelle MRCC. In den ersten | |
Wochen nach Einsatzbeginn haben diese beiden deutschen Schiffe | |
Rettungseinsätze durchgeführt. | |
Es scheint aber, dass sie nicht mehr an der Frontlinie – also vor der | |
libyschen Küste – sind, sondern sich bis auf weiteres an den Hafen von | |
Catania auf Sizilien zurückgezogen haben. Sie sollen künftig wohl im Rahmen | |
der Anti-Schlepper-Operation der EU aktiv sein, so verstehen wir jedenfalls | |
Äußerungen des Verteidigungsministeriums. Die erste Aufklärungsphase der | |
Anti-Schlepper-Mission, eine Operation namens Eunavfor-Med ist nun | |
angelaufen. | |
Werden die Schiffbrüchigen deshalb sich selbst überlassen? | |
Nein. In der letzten Woche wurden etwa 500 bis 900 Menschen täglich | |
gerettet und nach Italien gebracht. Daran sind aber wieder verstärkt | |
italienische und zivile Handelsschiffe, die zufällig vor Ort sind, | |
beteiligt. Gleichzeitig gibt es immer wieder Unglücke mit Todesfällen. | |
Allein in der letzten Woche sind an zwei Tagen jeweils zwölf Menschen ums | |
Leben gekommen. Diese alltäglichen Dramen verschwinden in den Nachrichten. | |
Berichtet wird nur bei Unglücken mit Hunderten Toten. Aber auch, wenn die | |
Rettungskapazitäten größer sind und schnell am Unglücksort ankommen, wird | |
es immer wieder Tote geben, solange die Menschen gezwungen sind, solange es | |
keine legalen sicheren Wege gibt. | |
Die EU hat im April vor allem auf einen Ausbau der Frontex-Mission Triton | |
gesetzt. Nach langen Protesten hat sie auch deren Mandatsgebiet vergrößert. | |
Hat das etwas gebracht? | |
Die Triton-Schiffe sind für uns unsichtbar. Sie haben ihre Kennungen in | |
öffentlich zugängliche maritimen Ortungssystemen abgestellt. Wir gehen aber | |
davon aus, dass Frontex mit seinen Schiffen in der Lage wäre, sich stärker | |
an Rettungseinsätzen zu beteiligen, dies aber zivilen Akteuren überlässt. | |
Anders ist die Situation, wie wir sie erleben, nicht zu erklären. | |
Wen meinen Sie? | |
Die Schiffe der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, „Dignity One“ und | |
„Bourbon Argos“, ein Schiff des MOAS-Projekts, das ein maltesisches | |
Millionärsehepaar betreibt, und die Sea Watch, eine deutsche Initiative. Im | |
Rahmen der Arbeit unseres Alarm Phones haben wir sehr frühzeitig von der | |
„Sea Watch“ gehört, uns an ihren Vorbereitungen beteiligt und sie | |
unterstützt. Es hat sich nun erwiesen, wie richtig und wichtig es war, dass | |
diese Mission gestartet ist und sich durchgekämpft hat, mit ihrem kleinem | |
Boot, trotz aller Zweifel und aller Kritik. | |
Weshalb? | |
Die „Sea Watch“ hat in den letzten Tagen Menschen gerettet, die sonst ums | |
Leben gekommen wären. Am Samstag gab es einen besonders dramatischen Fall: | |
Ein Boot mit über 100 Menschen an Bord sank, darunter schwangere Frauen und | |
Kinder. Die „Sea Watch“ war das einzige Schiff in der Nähe. Es hat die | |
Menschen versorgt, bis die Küstenwache kam und die Schiffbrüchigen | |
übernommen hat. Auch am Tag davor gab es einen Rettungseinsatz und jetzt | |
gerade, während wir sprechen, läuft wieder einer. | |
Die „Sea Watch“ hat nur Platz für acht Besatzungsmitglieder. Wie muss man | |
sich so einen Rettungseinsatz vorstellen? | |
Es geht vor allem darum, Rettungsinseln aufzublasen und zu Wasser zu | |
lassen, Schwimmwesten und Trinkwasser zu verteilen, damit die Menschen | |
ausharren können, bis Hilfe kommt. Gerade ist ein Tanker unterwegs, weil | |
keines der Schiffe von Triton vor Ort ist. Das ist für die Besatzung | |
schwierig. Der Seebereich umfasst die Region vor der Küste Libyens, | |
zwischen Zuwara im Westen und Misurata im Osten und etwa 150 Kilometer ins | |
Meer. Da dauert es manchmal bis zu zehn Stunden, bis ein Unglücksort | |
erreicht ist. | |
Wie erfahren die Helfer von Notfällen? | |
Die italienische Rettungsleitzentrale MRCC greift mittlerweile auch auf die | |
„Sea Watch“ zu. Im erwähnten Fall von Samstag hat die MRCC einen Notruf | |
erhalten und die „Sea Watch“ gebeten, an den Unglücksort zu fahren. In | |
anderen Fällen, etwa heute, hat die „Sea Watch“ selbst mit Ferngläsern die | |
Schiffbrüchigen entdeckt. Ein Video ihrer Einsätze der letzten Tage ist bei | |
YouTube zu sehen. Dabei kam die italienische Küstenwache, in anderen Fällen | |
wird mit den Schiffen von Ärzte ohne Grenzen kooperiert. Die sind groß | |
genug, um die Schiffbrüchigen selbst aufzunehmen. Das Problem ist: Sie | |
müssen dann nach Sizilien fahren, die Leute abladen und auftanken. Es | |
dauert ein paar Tage, bis sie zurück sind. | |
Sie betreiben ein Alarmtelefon, an das sich Schiffbrüchige wenden können. | |
Wie läuft diese Arbeit im Moment? | |
Wir melden Notfälle an die Rettungsleitstelle, haben aber auch enge | |
Kooperation mit Ärzte ohne Grenzen und der „Sea Watch“. Wenn wir einen | |
Anruf bekommen, klären wir, ob eines der Schiffe in der Nähe ist. Vor zwei | |
Wochen war es etwa einer täglich, in der letzten Woche waren es fünf aus | |
dem zentralen Mittelmeer. Zusätzlich bekommen wir Notrufe aus der Straße | |
von Gibraltar und aus der Ägäis. Die Ankunftszahlen auf den griechischen | |
Inseln sind immer höher geworden, die Versorgungslage dort ist hoch prekär. | |
Wir bekommen nicht nur Anrufe von Menschen in Booten, sondern auch von | |
solchen, die orientierungslos auf den Inseln ankommen. | |
13 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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