# taz.de -- Doku nordkoreanische DDR-Familien: Eine Fußnote des kalten Kriegs | |
> Die Filmemacherin Sung-Hyung Cho erzählt in „Verliebt, verlobt, verloren“ | |
> von Familien, die zwischen Nordkorea und der DDR zerrissen wurden. | |
Bild: Szene aus „Verliebt, verlobt, verloren“. | |
Die Beliebtheit gezeichneter Szenen im Dokumentarfilm ist durch den Erfolg | |
von Ari Folmans durchgängig graphic-novelisiertem Oscargewinner „Waltz with | |
Bashir“ (2008) zweifellos gestiegen. Annekatrin Hendel etwa hat in | |
„Vaterlandsverräter“ (2011) auf dramatische Tableaus zurückgegriffen, um | |
jene quasi inoffiziellen Szenen aus der Lebensgeschichte des Dichters Paul | |
Gratzik zu illustrieren, von denen es kein Filmmaterial gab. | |
Der Reiz solcher gemalten Bilder im gegenwärtigen Dokumentarfilm ließe sich | |
allerdings auch als Druck erklären, den durch die immer breitere | |
Mediatisierung von Privathaushalten in der Folge von Super 8 und Camcorder | |
reich dokumentierte jüngere Begebenheiten auf ältere Geschichten ausüben: | |
Es drohte etwas fad zu werden, wenn das einzige Medium des Rückblicks das | |
Erzählen ist, zu dem man sich dann seine eigenen Vorstellungen machen muss. | |
Umgekehrt birgt die Animation gesprochener Wörter die Gefahr der Redundanz. | |
Ein Beispiel dafür findet sich gleich am Anfang von Sung-Hyung Chos Film | |
„Verliebt, verlobt, verloren“, wenn Renate Hong im Hörsaal der Jenenser | |
Universität erzählt, wie sie sich dort vor fast 60 Jahren in einen | |
nordkoreanischen Kommilitonen aus der ersten Reihe verguckte. Die | |
nachgereichte Illustration (Maren Collet) fügt dem nichts hinzu. Sie ist | |
vermutlich aus dramaturgischen Gründen eingefügt — um ein ästhetisches | |
Mittel einzuführen, das im Laufe des Films noch gebraucht wird. | |
## Verbindung nicht geplant | |
Denn „Verliebt, verlobt, verloren“ steht vor einem Bildermangel von ganz | |
eigener Größe: Nordkorea. Der Film handelt von einer Fußnote des Kalten | |
Kriegs. In den fünfziger Jahren kamen 100 nordkoreanische Männer in die | |
DDR, um sich beim Studium im Bruderland Wissen für den Wiederaufbau des | |
eigenen Landes nach dem Krieg anzueignen. Soziale Verbindungen waren, wie | |
später bei den sogenannten Vertragsarbeitern und Gastarbeitern im Westen, | |
nicht vorgesehen, vermeiden ließen sie sich freilich nicht. | |
Ehen wurden geschlossen, Kinder wurden geboren, bevor der „sino-sowjetische | |
Konflikt“, wie es im Film heißt, Kim Il Sung zur Parteinahme zwang — dass | |
er sich für Maos China entschied und nicht wie die DDR für die Sowjetunion, | |
bedeutete die umgehende Rückreise der nordkoreanischen Studenten zu Beginn | |
der sechziger Jahre. Die anfangs noch per Brief gehaltenen Kontakte brachen | |
irgendwann ab. | |
Der Film „Verliebt, verlobt, verloren“ kriegt sie auch nicht wieder | |
hergestellt. Die späte Familienbegegnung scheitert an den politischen | |
Verhältnissen. In Nordkorea kann nicht frei gefilmt werden, was nicht nur | |
bedeutet, dass mit der Kamera nicht nach den Gatten und Vätern gesucht | |
werden kann. In Nordkorea gilt schon der Bahnhof von Pjöngjang als Ort, von | |
dem keine Foto- oder Filmaufnahmen gemacht werden dürfen — weshalb etwa | |
eine Zugfahrt der erwachsenen Kinder nordkoreanischer Väter von Peking aus | |
nicht bis zur Ankunft begleitet werden kann. | |
## Zwangsläufig einseitig | |
Der Film ist also, ganz unpolemisch gesprochen, zwangsläufig einseitig. Man | |
erfährt die Geschichten der Frauen/Mütter und Kinder, die noch immer in | |
Tränen ausbrechen, weil die Gefühle für den abrupten Verlust von Mann/Vater | |
ins Leere gelaufen sind. „Verliebt, verlobt, verloren“ hat eine fast | |
paradoxale Anordnung: Es ist der Versuch, die Geschichte von Leuten zu | |
erzählen, die darunter leiden, dass sie ihre Geschichte nie erzählen | |
konnten. Der einzige Ort, der Verständnis verspricht, ist der | |
Freundschaftsverein von Schicksalsgenossinnen. | |
Die Bezugspunkte der Frauen und Kinder bleiben vage. Selbst bei Liana | |
Kang-Schmitz, die ihr Wissenwollen in eine Dissertation gesteckt hat und | |
deren Vater noch in Deutschland lebt, weil er seinerzeit vor der Rückkehr | |
nach Nordkorea in den Westen geflüchtet ist, bleibt die Figur unscharf: | |
„Ich weiß immer noch wenig. Es ist nicht so, dass ich das Leben meines | |
Vaters auswendig können würde.“ | |
Auch auf dem privaten Footage-Material von Renate Hong, die vor ein paar | |
Jahren ihren einstigen Gatten in Nordkorea treffen und mit ihm ein paar | |
Tage verleben konnte, ist der Mann namenlos; sprechen hört man den | |
freundlich lächelnden Herren nie. Eine Chiffre, ein Trugbild, ein in die | |
Illustration verallgemeinerbarer Repräsentant einer winzigen historischen | |
Gruppe: der nordkoreanischen Männer, die durch den Kalten Krieg | |
DDR-Familien hatten. Sie habe nichts an ihm wiedererkannt, sagt Renate Hong | |
bestürzt über den ersten Tag der Wiederbegegnung. | |
26 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Matthias Dell | |
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