| # taz.de -- Homophobe Proteste in Italien: Wer definiert eine Familie? | |
| > Denkt denn niemand an die Kinder? In Rom demonstrierten Hunderttausende | |
| > Menschen gegen mehr Rechte für Schwule und Lesben. | |
| Bild: Ein regenbogenfarbenes Spektakel in Rom gegen die Ehe für alle. | |
| Rom taz | „Verteidigen wir unsere Kinder!“ Groß prangte der Slogan auf Roms | |
| weitestem Platz, der Piazza San Giovanni – ein Slogan der Hunderttausende | |
| Demonstranten angezogen hatte. Nein, sie protestierten nicht gegen | |
| Pädophilie in der Kirche oder anderswo. Sie demonstrierten am Samstag gegen | |
| das Ansinnen der Regierung, endlich auch in Italien den Status schwuler und | |
| lesbischer Paare auf eine rechtliche Grundlage zu stellen. | |
| „Hände weg von unseren Kindern!“ war auf einem Transparent zu lesen, ein | |
| anderes zeigte, in naiver Strichmännchen-Manier gezeichnet, die | |
| Modellfamilie, bestehend aus Mama, Papa, Sohn und Tochter. Ein anderes | |
| Plakat verkündete: „Gender – Kot des Dämonen“. Überhaupt war gern vom | |
| „Dämon“, von „Satan“ die Rede und von den Homosexuellen, „die allmä… | |
| wie Gott sein wollen“. | |
| „Eine Million“ seien zur Kundgebung gekommen, verkündeten die vom eigenen | |
| Erfolg überraschten Veranstalter. Ganz so viele waren es wohl nicht, doch | |
| auf der Piazza San Giovanni, direkt vor der Lateransbasilika, drängten sich | |
| Hunderttausende quer durch die Generationen. Angereist waren sie aus ganz | |
| Italien, mit 2.000 Bussen, mit Zügen, mit Fähren von Sardinien. | |
| Hauptaufreger für die Demonstranten war der dem italienischen Parlament | |
| vorliegende Gesetzentwurf, den Ministerpräsident Matteo Renzi bis September | |
| durchbringen will. Danach sollen Homo-Paare bei der steuerlichen | |
| Behandlung, bei Rentenansprüchen oder dem Erbrecht weitgehend | |
| gleichgestellt werden. Für Italien wäre das eine mittlere Revolution. Auch | |
| heute noch haben schwule oder lesbische Partner zum Beispiel keinerlei | |
| juristischen Anspruch darauf, im Krankenhaus ihrem Freund oder ihrer | |
| Freundin beizustehen und sind allein auf die Gnade der behandelnden Ärzte | |
| angewiesen. | |
| ## Nur ein Ausschnitt des Katholizismus | |
| Eben das Vorhaben, diese Situation zu ändern, passte den Fundi-Katholiken | |
| auf dem Platz nicht. „Gott schuf sie männlich und weiblich“ konnte man auf | |
| einem Transparent lesen. Neben der Homo-Ehe trieb die Gekommenen nämlich | |
| ein weiteres Gespenst um: die „Gender-Erziehung“. Auch zu diesem Thema | |
| liegt ein Gesetzentwurf vor, das in den Schulen die Auseinandersetzung mit | |
| den vielfältigen Formen gesellschaftlicher Diskriminierung verbindlich | |
| machen will. | |
| Doch so mächtig die Kundgebung war, so sehr repräsentierte sie doch nur | |
| einen Ausschnitt des italienischen Katholizismus. Der progressive Flügel, | |
| die große Scout-Bewegung etwa, die Laienbewegung Comunità di Sant’Egidio | |
| oder die katholischen Arbeitnehmer hielten sich ebenso fern wie die eher | |
| konservative Laienbewegung Comunione e Liberazione. | |
| Mobilisiert hatte dagegen die Gemeinschaft der Neokatechumenalen, die in | |
| Italien mittlerweile zahlreiche Pfarreien dominiert und selbst auf dem Feld | |
| „traditionelle Familie“ mit gutem Beispiel vorangeht: Kinderreichtum gilt | |
| ihnen als einer der höchsten Ausweise eines gottgefälligen Lebens. Und so | |
| waren auch in Rom am Samstag Familien mit einer Schar von acht oder zehn | |
| Kindern zu besichtigen. Neben ihnen hatten diverse Pro-Life-Vereine wie | |
| „Scienza e Vita“ (“Wissenschaft und Leben“) aufgerufen. Und Zuspruch ga… | |
| auch von einem Imam aus Rom, der auf der Kundgebung sprach, sowie von dem | |
| Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Roms, der ein Grußtelegramm schickte. | |
| Abseits stand bei der Mobilisierung dagegen die italienische | |
| Bischofskonferenz, die verlauten ließ, das Anliegen der Protestierer sei | |
| „in der Sache, jedoch weniger in den Formen unterstützenswert“. Gegenüber | |
| der Tageszeitung Corriere della Sera sagte der Sprecher des | |
| Protestkomitees, „die Bischöfe sind ganz normale Personen, die auch irren | |
| können“. | |
| ## Die Bischöfe fehlten | |
| Eben hier liegt der große Unterschied zu früheren Katholikenprotesten gegen | |
| die Homo-Ehe, vorneweg zum „Family Day“ von 2007, als ebenfalls | |
| Hunderttausende gegen den von der damaligen Mitte-links-Regierung unter | |
| Romano Prodi vorgelegten, windelweichen Gesetzesvorschlag für eine | |
| eingetragene Lebenspartnerschaft aufmarschiert waren. Seinerzeit hatte die | |
| Amtskirche mit der Bischofskonferenz des Landes selbst die Speerspitze des | |
| Protestes gebildet, und sie konnte sich auf die Rechtsparteien unter | |
| Führung des Familienmenschen Silvio Berlusconi als treue Alliierte | |
| verlassen. Ja selbst zahlreiche katholische Politiker des | |
| Mitte-links-Lagers waren damals beim „Family Day“ dabei. | |
| Doch an diesem Samstag fehlten nicht bloß die Bischöfe; auch Italiens | |
| Rechte waren bloß durch einige Protagonisten aus dem zweiten Glied | |
| vertreten. In ihren Reihen haben sich die Positionen in den letzten Jahren | |
| deutlich verschoben. Berlusconi zum Beispiel hat seine Gegnerschaft gegen | |
| eingetragene Lebenspartnerschaften revidiert, ja er empfing vor einigen | |
| Monaten die Transaktivistin und ehemalige Links-Parlamentarierin Vladimir | |
| Luxuria zum trauten Gespräch über das Thema. | |
| So verkörperte die Kundgebung vom Samstag am Ende auch nicht mehr das Gros | |
| des italienischen Katholizismus, sondern nur noch dessen rechten, | |
| fundamentalistischen Rand, der ebenso lautstark wie minoritär ist. So tönte | |
| ein Redner, mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf zur eingetragenen | |
| Lebenspartnerschaft werde „eine Bombe geworfen, und wir müssen die Familie | |
| wie die Mauer einer belagerten Stadt verteidigen“. | |
| Monica Cirinnà, Autorin des angefeindeten Gesetzentwurfs, kommentierte: | |
| „Ich glaube, dass es sich da um eine Kundgebung von privilegierten | |
| Heterosexuellen gehandelt hat, die sich ihre Privilegien erhalten wollen.“ | |
| Privilegierte allerdings, die sich im Kampf zunehmend isoliert fühlen. | |
| Bezeichnend war, dass in den Reden zum Beispiel Johannes Paul II. viel Lob | |
| erfuhr, aber der aktuelle Papst, Franziskus, kein einziges Mal erwähnt | |
| wurde. | |
| 21 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
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| Matthias Matussek | |
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